“Nikodemismus und Konfessionalisierung am Hof Maximilians II.” Frühneuzeit-Info 22 (2011), 112-128. (Co-author: Paola Molino) (original) (raw)

Nach einem längeren Aufenthalt in Wien analysierte der Gesandte der Republik Venedig, Paolo Tiepolo, 1557 in seinem Schlussbericht ausführlich die Wesenszüge von Erzherzog Maximilian, dem Sohn Ferdinands, dem Anwärter auf den ungarischen Königstitel und die Kaiserkrone. 1 Seinen Erzählungen zufolge hatte Maximilian große Zukunftspläne, zu deren Verwirklichung er auch die nötigen Fähigkeiten besaß, zum einen war er klug zur Welt gekommen, zum anderen hatte er sich neben seinem Vater, bei den Spaniern (an deren Hof er mehrere Jahre verbracht hatte) Geschicklichkeit und Scharfsinnigkeit angeeignet, indem er sich deren Raffinesse und Geschliffenheit zu Eigen gemacht hatte. Als Folge habe er bereits fast alle Spanier vom Hofe vergrault, und "er ist berühmt dafür dass er, mit derselben Methode besser als jeder Andere täuschen (dissimulare) und sich selbst Jedem gegenüber mäßigen kann". Tiepolo verband diesen Gedankengang mit größter Selbstverständlichkeit mit Maximilians konfessioneller dissimulatio: "Während er sich von den Katholiken nicht vollständig entfremdet hat, hat er die Lutheraner gänzlich an sich gebunden." Zwar hatte er die Messe und den Großteil der römischen Riten beibehalten, sein Hofprediger jedoch hatte Familie und bekannte sich offen zu den Lehren Luthers. "Seit geraumer Zeit wurde er in keinen Prozessionen, bei keinen Totenzeremonien gesichtet, wodurch man mit Sicherheit hätte feststellen können, ob er seiner inneren Überzeugung nach katholisch ist." Was auch immer der genauen Wahrheit entsprach, Tiepolo sprach Maximilian frei, da dessen Heuchelei seiner Ansicht nach politischen Zielen diente: Auf diese Weise war zumindest jeder davon überzeugt, dass er auf seiner Seite sei. Der Herzog von Österreich wusste darüber hinaus genau, dass es unvorstellbar gewesen wäre, das Wohlwollen der lutheranischen Fürsten -auf das das Reich auch wegen der Türken angewiesen war -ohne gegenseitiges Vertrauen hinsichtlich der Glaubensfrage zu gewinnen. 2 Die für den kaiserlichen Hof charakteristische Heuchelei wurde von Zeitgenossen, darunter auch von hochgebildeten Höflingen wie Augerius Busbequius oder Lazarus von Schwendi, oft scharf kritisiert. 3 Diese Kritik wurde durch eine strenge rhetorische und moralische Tradition bestimmt, die sich auf politische (oder höfische) und nicht auf religiöse Heuchelei bezog. Wie wir sehen werden, dachten die Höflinge (allen voran Maximilian) viel nuancierter über die religiöse dissimulatio, deren Hauptkritiker am kaiserlichen Hofe diejenigen Katholiken waren, die Maximilians Irenik als einen Mangel an religiöser Politik verstanden. Ursprünglich waren es allerdings nicht die Katholiken, sondern die Anhänger des neuen Glaubens, die sich besorgt über die religiöse Heuchelei geäußert hatten. Johannes Calvin war als Erster dagegen zu Felde gezogen und hatte für all die jenigen, die sich nicht offen zu ihrer Religion bekannten, den Begriff Nikodemiten geprägt. 4 Die Ursache des Nikodemismus sah der Genfer Reformator in seinen Briefen und Abhandlungen (1537)(1538)(1539)(1540)(1541)(1542)(1543)(1544)(1545) in der Gewinnsucht, dem Drang nach gesellschaftlichem Aufstieg, der Gleichgültigkeit und der Feigheit der Menschen. Er war der Auffassung, dass Gott sowohl im Geiste als auch im Körper geehrt werden müsse, und die innere Überzeugung nicht von der äußerlichen Praxis trennbar sei, wie es die Nikodemiten behaupteten. Der einzige Grund für die ‚körperliche' dissimulatio könne nur die Angst sein, doch der Körper müsse eher in das Feuer gestoßen werden, als dass man zulassen dürfe, dass er der Sünde der Heuchelei verfällt. 5 Calvin (und seine Anhänger) wollten nicht akzeptieren, dass die Heuchelei auch von einer Indifferenz gegenüber den Äußerlichkeiten des Glaubens herrühren kann, der zugleich eine tiefe Glaubensüberzeugung zu Grunde liegt: Die Nikodemiten behandelten die Zeremonien, als hätten diese nichts zu bedeuten, warf Calvin ihnen vor. Es sei nicht genug, dass sie in den strittigen Fragen keine Stellung bezögen, sie lachten jene, die es ernst meinten, sogar geradewegs aus. Er unterteilte die Nikodemiten in verschiedene Gruppen, geißelte dabei aber vor allem die Gruppe der Schriftgelehrten, die der indolenten Humanisten, die aus dem Christentum eine Philosophie fabrizierten, mithilfe ihrer geschliffenen Sprache und stilvollen Formulierungen selbst den Heiligen Paulus als Nikodemiten darstellten und in ambivalenter Form redeten, um andere zu täuschen. 6 Letztendlich kamen für Calvin nur zwei Lösungen in Frage: das Märtyrertum (es sei den Märtyrern zu verdanken, dass der christliche Glaube sich so weit verbreitet hat) oder die Aus-und Abwanderung. 7