David Jünger: Jahre der Ungewissheit. Emigrationspläne deutscher Juden 1933–1938 (=Schriften des Simon-Dubnow-Instituts, hrsg. v. Dan Diner, Bd. 24), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016. (original) (raw)
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Aus der Perspektive der jüdischen Bevölkerung stellt er die ersten sechs Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft ohne Bezugnahme auf den kurze Zeit später folgenden Zivilisationsbruch der Shoa dar. Mit der Fokussierung auf diese Zeitspanne wählt Jünger eine in der aktuellen Forschung ungewöhnliche Perspektive, befassten sich die meisten Forschungsprojekte zum deutschen Judentum der letzten Jahre entweder mit der Zeit der Weimarer Republik oder der Judenvernichtung nach 1938. Jünger ist mit dieser zeitlichen Fokusverschiebung in eine neue Generation von Historikerinnen und Historiker einzuordnen, die nach Kontinuitäten und Brüchen zwischen dem Ende der Weimarer Republik und der Machtergreifung der Nationalsozialisten fragen.[1] [1] Den gewählten Betrachtungszeitraum bezeichnet er in seiner als Publikation vorliegenden Dissertation als " Politik der Entrechtung " und grenzt ihn von der 1938 beginnenden " Politik der Vertreibung " (S. 24) ab. Die quantitativen Zahlen, hinter denen jeweils individuelle Schicksale stehen, bezeugen die Relevanz der Studie: Bis 1938 emigrierten ungefähr 150.000 der 550.000 im Jahr 1933 in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden, ein Großteil verblieb demnach trotz nationalsozialistischer Machtübernahme in Deutschland. (S. 13) Der Frage nach der Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine Emigration geht Jünger in seiner Forschung nach. Die Arbeit ist in drei Hauptkapitel unterteilt, in denen jeweils zwei Jahre als gemeinsamer Zeitabschnitt betrachtet werden. Der quantitative Schwerpunkt liegt hierbei auf den ersten beiden Kapiteln, die die Entwicklung der Jahre 1933 bis 1936 beschreiben. Betrachtet wird die Debatte um Emigration deutscher Jüdinnen und Juden auf vier Ebenen: den öffentlichen Debatten in Zeitungen und anderen Publikationen, den institutionellen Planungen durch jüdische Hilfsvereine, den Verhandlungsbemühungen zwischen jüdischen Institutionen und Einzelpersonen mit deutschen Behörden, sowie durch die Betrachtung individueller Lebensplanungen, die aus Tagebüchern oder anderen zeitgenössischen Notizen rekonstruiert werden konnten. (S. 15f.) Umrahmt wird die Analyse durch die Beschreibung der politischen Ereignisse auf nationaler und internationaler Ebene. Im ersten Hauptkapitel zeigt Jünger, dass ein Großteil der deutschen Jüdinnen und Juden den 30. Januar 1933 nicht als eine epochale politische Veränderung des Lebens in Deutschland wahrnahmen. Die nationalsozialistische Machtergreifung wurde von ihnen vielmehr als eine in verschärfter Form auftretende Kontinuitätslinie einer Krise der jüdischen Emanzipation in Deutschland eingeschätzt, die in der Endphase der Weimarer Republik begann. (S. 115) Unterschiedliche jüdische Organisationen und Repräsentanten bemühten sich von Beginn an trotz aggressiver antisemitischer Rhetorik um " Möglichkeiten einer realpolitischen Verständigung " (S. 143) mit den nationalsozialistischen Staatsstrukturen. Liberale, zionistische und orthodoxe Organisationen versuchten durch Korrespondenz und persönliche Beziehungen einen Kommunikationsweg zu staatlichen Stellen zu finden, um gesetzliche Regelungen in Bezug auf den Umgang mit Jüdinnen und Juden in Deutschland festzuschreiben. Jünger sieht diese Entwicklung im Erfahrungsraum des damaligen jüdischen Lebens begründet, der sich aus den Lebenswelten der vergangenen Jahrhunderte, der " historisch verbürgte[n] Annahme einer Ungleichzeitigkeit von antisemitischer Propaganda und konstruktiver Realpolitik " (ebd.) und aus der Situation der jüdischen Bevölkerung in Mittelosteuropa seit Ende des 19. Jahrhunderts ergab. Im Gebiet des Russischen Zarenreichs war für die seit den 1880er Jahren durch Pogrome immer wieder bedrohte haGalil » Jahre der Ungewissheit » Print
This article deals with the passage of German Jews to Palestine between 1933 and 1938 and concentrates on the ship passage itself. I focus on the stories, descriptions and reflections of the travelers that can be found in diaries, letters, travelogues, or even novels, which some of them wrote after the trip. On the ship these travelers found themselves torn between different spaces: Europe, Asia, and “the Orient” and also between different times: the Old Europe of the enlightenment of the individual and the New Jewish Homeland of the redemption of the Jewish collective. The overall topic that came to the fore in the reflections of the travelers is the search for the meaning of contemporary Jewish life as well as future prospects under worsening conditions not only in Germany but also in many other parts of Europe.