Der Mythos der spanischen Invasion (original) (raw)
Moderne Mythen in den Literaturen Portugals, Brasiliens und des portugiesischsprachigen Afrikas, Frankfurt/Main, 1998, S. 15-40.
{15} Die spanischen Invasion ist ein Mythos, der für das aktuelle Portugal relevant ist. Dies ist eine kühne Behauptung, denn heute steht die Angst, vom Nachbarland annektiert zu werden, in dem Ruf, antiquiert und irrational zu sein. Der Mythos der spanischen Invasion ist noch oder leider noch für Portugal relevantso würden es Skeptiker ausdrücken, die die Portugiesen gerne näher am ersehnten Zielpunkt postnationaler globalisierter Gesellschaft sehen würden. Im öffentlichen Leben erscheint alles Vergangene, was sich nicht zu grandiosen Gedenkfeiern der Gegenwart ummünzen läßt (siehe Comemorações dos Descobrimentos, EXPO 1998), als Ballast eines angeblich überkommenen Nationalismus. Den häßlichen Negativ-Mythos der spanischen Invasion sollte man auf dem Dachboden verstecken oder unter den Teppich kehrenin der Hoffnung, daß er einmal vollkommen vergessen sein möge. Aber dann lugt er doch hervor, denn es läßt sich eben nicht alles in modernen Aufklärungs-und Fortschrittsmythos 1 auflösen, assistiert durch die in die Zukunft projezierten alten Vorzeige-Mythen eines glorreichen Seefahrervolkes. So gehen wir von folgender These aus: Es gibt Erfahrungen in den verschiedenen Bereichen aktueller portugiesischer Lebenswelt, die den Mythos von der spanischen Invasion wachrufen. Gemeinplätze, die vor allem in den Medien zitiert werden, geben diesem Mythos zwar Stimme, entziehen ihm aber zugleich auch Relevanz für zukunftsorientiertes Handeln in der Gegenwart. {16} Dies geschieht nicht nur im Rahmen gegenwärtiger Realpolitik nach dem EG-Beitritt Portugals und Spaniens 1986 und im Einigungsprozeß eines Europas ohne Grenzen, sondern auch im Hinblick auf ein angeblich modernisiertes selbstreflexives Kollektivbewußtsein. Tatsächlich werden allenthalben die alten Vorurteile überlegen als 1 Dabei sind wir offensichtlich von Niet zsche wie auch von Adorno und Horkheimer in ihrer Dialektik der Aufklärung (1947) vert retenen Position inspiriert: Sie geht davon aus, daß Aufklärung, wie auch Vernunft und Fortschritt, selber Mythen sind.