Komponieren als Handwerk. Ein historischer Streifzug (original) (raw)

Die Sackgasse als Ausweg - Kritisches Komponieren: ein historisches Phänomen?

Musik & Ästhetik, 9. Jg. Heft 36, Oktober 2005, S. 37–60., 2005

„Kritischen Komponierens“ wird zumeist mit einigen wenigen westdeutschen Komponisten der zweiten Nachkriegsgeneration identifiziert. Aufgrund der personellen, ideen- und musikgeschichtlichen Situation seiner Entstehung Ende der 1960er Jahre aus dem Geiste der Frankfurter Kritischen Theorie und dem ebenso tonalitäts- wie gesellschaftskritischen Denken Luigi Nonos handelt es sich um ein historisches Phänomen. Zugleich zeigt die Diskussion der prinzipiellen Möglichkeiten und aktuellen Schwierigkeiten des Ansatzes am Beispiel zentraler Positionen der Hauptvertreter Nicolaus A. Huber und Helmut Lachenmann, dass es sich um eine kompositorische Grundhaltung handelt, die nicht an bestimmte Materialien, Stile oder Techniken gebunden ist, sondern als ästhetisches Konzept auch unter den musikgeschichtlich, sozial und ästhetisch veränderten Vorzeichen zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch nötig und möglich ist.

Komponieren am Hof Maximilians_2013

Senfl-Studien 2, hrsg. von Stefan Gasch und Sonja Tröster, Tutzing: Hans Schneider, 2013

In the present paper the production methods of a visual artist’s workshop around 1500 are compared to the production conditions and the resulting compositions of the musicians at the court of the Emperor Maximilian I. The object of investigation is the song manuscript Mus.ms. 3155 of the Bavarian State Library, which contains compositions by members of the Imperial chapel alongside a high number of anonymously transmitted songs, Lieder which are attributed to Ludwig Senfl in other sources. The beginnings of exemplary songs are classified with regard to their stylistic and compositional texture. It is possible to determine certain formulas which (with minor changes) lead to stereotype forms characteristic for the song settings at the court of Maximilian (as for instance opposed to the Württemberg court). In analogy to a painter’s template, the process of composition with such standardized formulas and modules is therefore interpreted as a “cartone.” The serial character of the Imperial song oeuvre is explained by an analogous mode of production in a workshop-situation and the intention to create homogeneous workshop results.

Ist Komponieren männlich? Ein Forschungsüberblick und eigene explorative Studien

Gender Studies in den Sozial- und Kulturwissenschaften. Einführung und neuere Erkenntnisse aus Forschung und Praxis (S. 360-379). Hg. von Sabine Wesely. Bielefeld: Kleine Verlag, 2000

Betrachtet man die Geschichte der Produktion abendländischer Musik, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese eine Geschichte männlichen musikalisch-kreativen Schaffens ist. Doch auch im Bereich der Populären Musik dieser Tage ist die Situation nicht eine wesentlich andere: Auch hier dominieren männliche Songwriter. In gleicher Weise verhält es sich mit dem schöpferischen Nachwuchs in beiden Bereichen. Es stellt sich nun die Frage nach den Ursachen dieser geschlechtstypischen Orientierung. Liegt sie in einer geschlechtsspezifischen Sozialisation begründet oder in einer grundsätzlichen Diskriminierung des weiblichen musikalisch-produktiven Schaffens? Vergleiche der Biographien von Komponisten und Komponistinnen des 20. Jahrhunderts belegen, daß dies heutzutage nicht die alleinigen Gründe sein können. Einen überraschenden Lösungsansatz bieten die Forschungen von Marianne Hassler, die einen Zusammenhang zwischen physischer sowie psychischer Androgynität und Kompositionstalent feststellte. Dies bedeutet, daß Komponisten deutlich weniger männlich, Komponistinnen dagegen sehr viel männlicher sind, jeweils im Vergleich zu nicht-komponierenden, gleichgeschlechtlichen Kontrollgruppen. Es erklärt jedoch noch nicht die männliche Dominanz im Bereich der Komposition. Hinzu tritt aber eine zusätzliche Korrelation des Kompositionstalents mit der Fähigkeit zum räumlichen Denken. Da sich das räumliche Denken nur bei männlichen Personen in der Pubertät unter dem Einfluß eines erhöhten Testosteronspiegels stärker ausprägt, könnte hiermit ein Erklärungsansatz für den relativ geringen Anteil an Komponistinnen gefunden sein. Meines Erachtens greift jedoch auch dieser Lösungsansatz, der einmal wieder die Bedeutung der genetischen Anlage hervorhebt, nicht tief genug. Gar nicht in die Überlegungen einbezogen wurden nämlich bisher motivationale Grundlagen, nämlich die Frage danach, was beispielsweise Jugendliche überhaupt dazu bewegt, mit dem Komponieren anzufangen und es auch im Erwachsenenalter aufrechtzuerhalten. Auch hierbei könnten sich selbstverständlich geschlechtstypische Unterschiede zeigen. Die vorliegende explorative Studie befaßt sich mit den Gründen für die Entdeckung des Komponierens als wesentliches Hobby und den Motivationen für die Wahl des Berufs „Komponist“ bzw. „Songwriter“. Hierbei sollen auch geschlechtstypische Unterschiede herausgearbeitet werden. 87 aktive und ehemalige Sieger des Bundeswettbewerbs „Schüler komponieren“ und 45 Gewinner in jeweils einem von drei wichtigen Band Contests wurden nach Wegen zum Komponieren, grundsätzlichen Motivationen, Funktionen und Stellenwert innerhalb des Lebens, zum kompositorischen Prozeß und zu ihrer Persönlichkeit befragt. Dies erfolgte zumeist mit Hilfe eines Fragebogens und zum Teil zusätzlich mit einem problemzentrierten Interview, das längere Narrationen ermöglicht. Die Mehrheit der Wettbewerbssieger ist männlich, nämlich ca. 94% (klassischer Bereich) bzw. 82% (populärer Bereich) der Stichprobe. Allerdings nimmt von vornherein ein größerer Anteil an männlichen Jugendlichen bzw. jungen Männern an solchen Wettbewerben teil. Überraschenderweise gilt Umgekehrtes für Literaturwettbewerbe, wo Frauen – auch unter den Siegern – deutlich dominieren. Kommunikation und vor allem der Austausch von emotionalen Bedeutungen ist für alle befragten Wettbewerbsteilnehmer die wichtigste Motivation für das Komponieren. Dies gilt insbesondere für Personen, die sich sprachlich eher gehemmt zeigen. So verwundert es im Grunde nicht, daß männliche Jugendliche eher Komponieren als Hobby entdecken als weibliche, verfügen letztere doch zumeist über wesentlich bessere Fertigkeiten im sprachlichen Ausdruck. Weibliche Jugendliche vertrauen ihre Gedanken und Gefühle eher einem Tagebuch an, besitzen also eher die Tendenz, sich literarisch zu äußern. Besonders in der Pubertät ist die Beschäftigung mit den eigenen Gefühlen und dem mutmaßlichen Eindruck, den man auf andere hat, sehr wichtig. Dies erklärt die Bedeutung der Pubertät für die endgültige Entscheidung, Komponist als Beruf zu wählen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, daß Komponieren eine wichtige Rolle bei der Identitätsfindung insbesondere bei Jungen spielen kann. Mädchen wählen dagegen eher andere Ausdrucksformen.

Jacobus de Kerle (1531/32-1591): Komponieren im Brennpunkt von Kirche und Kunst

Jacobus de Kerle was known to music historians primarily as Palestrina’s contender for the epithet ‘saviour of church music’. The monograph unpicks the precarious consequences of this attribute for the study of Kerle and the historiography of 16th-century music. On this basis, it re-examines Kerle’s career as composer of sacred music in Flanders, Italy, Germany and Bohemia, who constantly re-negotiated the conflicting factors of religious/denominational and aesthetic concerns. Art and religion, while often making opposing demands on a composer, were far from incompatible, but provoked the creative mind to a variety of musical responses, tailored to varying circumstances. Retter der Kirchenmusik“ – mit diesem Prädikat ist der Name des flämischen Komponisten Jacobus de Kerle unzertrennlich verbunden, seit er durch Otto Ursprungs wegweisende Studien zu Beginn des 20. Jahrhunderts überhaupt ins Blickfeld der Forschung rückte. Ursprung knüpfte die historische Bedeutung de Kerles an die These, dank seiner Preces speciales (1562) sei es gelungen, das drohende Verbot kirchlicher Mehrstimmigkeit auf dem Konzil von Trient abzuwenden. Dies hatte ebenso nachhaltige wie zwiespältige Konsequenzen: Einerseits war de Kerle damit ein fester Platz in der Musikgeschichte gesichert, der aber andererseits schnell zum bloßen Gemeinplatz verkam. De Kerles Leistung wurde in der Folgezeit auf die vermeintliche Rettungstat verkürzt; weitere Studien zu oder Editionen von seiner Musik blieben indessen aus. In vorliegender Monographie erfährt de Kerles kompositorisches Schaffen nun eine umfassende, differenziertere Neubewertung, die auf der Erschließung seines gesamten Œuvres basiert. Wenn de Kerle folglich der Ehrentitel des „Retters der Kirchenmusik“ aberkannt werden muß, so zeigt sich, daß er nicht nur ein einziges Werk, sondern sein ganzes schöpferisches Leben in den Dienst der Kirchenmusik stellte. Sein Ziel war es, „katholische“ Musik zu komponieren, d.h. Musik, die sich den liturgischen Anforderungen unterordnete und das konfessionelle Selbstverständnis der römischen Kirche akzentuierte. Dabei lag es de Kerle fern, lediglich „Gebrauchsmusik“ zu komponieren oder allein propagandistischen Zwecken zu dienen. Vielmehr versuchte er stets, die kirchlichen Vorgaben mit einem ambitionierten Kunstanspruch zur Deckung zu bringen, ein labiles, jeweils individuell auszuwägendes Gleichgewicht zwischen den Gestaltungskräften Kirche und Kunst zu finden. Auch mußte de Kerle im Laufe seiner bewegten Karriere, die ihn unter anderem nach Orvieto, Rom, Ypern, Augsburg, Cambrai, Köln und Prag führte, immer wieder neue Wege einschlagen, um seine Zielvorgabe in den jeweils gegebenen Umständen zu erfüllen.

Komponieren in Südtirol Anfang des 20. Jahrhunderts: zu Leben und Werk Erwin Vales

2019

Die Biographie und das Lebenswerk des größtenteils unbekannten Südtiroler Komponisten Erwin Vale spielen sich in einer soziologisch wie historisch sehr spannenden Epoche ab. Geboren im Jahr 1906 erlebte Vale als junger Mann die Annexion Südtirols durch Italien in der Folge des ersten Weltkrieges. Damit gingen die systematische Unterdrückung der deutschen Volksgruppe in der Region und die politische Agenda einer gezielten Italianisierung einher. Vale studierte in den frühen Zwanzigerjahren Violine in Trient, versuchte später, sich eine Existenz in Innsbruck aufzubauen, verbrachte den Großteil seines Lebens dann aber doch im heimatlichen Tramin im Südtiroler Unterland. Dort arbeitete er als Volkschullehrer, Gastronom und Kapellmeister/Chorleiter. Gleichzeitig entstand aber auch ein ansehnliches Oeuvre aus vornehmlich deutschsprachigen Klavierliedern – allein schon das womöglich ein rebellischer Akt gegen den Faschismus im Italien der Zwischenkriegszeit. Die Stile, in denen sich Vale d...

Kreieren - Kollaborieren - Komponieren

transcript Verlag eBooks, 2022

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 21/22 an der Hochschule für Musik Freiburg als Dissertation unter dem Titel »Wege ins gemeinsame Komponieren im Musikunterricht aus praxeologischer Perspektive. Eine dokumentarische Entwicklungsstudie zu kreativen Handlungs-und Lernprozessen sowie deren Didaktisierung in der gymnasialen Sekundarstufe I« angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig modifiziert. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-n b.de abrufbar.