Zwischen Empirie und Evidenz - (Re)Aktivierung der Veterinärphytotherapie (original) (raw)
2014, Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine
Die Arbeit in der tierärztlichen Praxis findet tagtäglich im Spannungsfeld zwischen der eigenen Erfahrung und (neuesten) wissenschaftlichen Erkenntnissen statt. Im Vergleich zur Humanmedizin findet sich der Tiermediziner, unabhängig von der Therapierichtung, die er bevorzugt einsetzt, jedoch wesentlich öfter in der Situation, Entscheidungen ohne verfügbare wissenschaftliche Evidenz treffen zu müssen . Die Empirie hat folglich nach wie vor einen besonderen Stellenwert im tierärztlichen Praxisalltag. Aus dem Bedarf systematischer Dokumentation und Aufbereitung des traditionellen Erfahrungswissens hat sich ein eigenes Forschungsfeld entwickelt, das interdisziplinär sozial-und naturwissenschaftliche Methoden verbindet, und zu dem beispielsweise die Ethnobotanik, die Ethnopharmakologie oder auch die Ethnoveterinärmedizin zählen. Wo ist nun traditionelles Erfahrungswissen zur Veterinärphytotherapie zu erwarten? Einerseits in Asien, beispielsweise in China, wo die traditionell chinesische Veterinärmedizin seit Jahrtausenden ununterbrochen bis heute die Basis der dortigen tierärztlichen Tätigkeit ist. Und in Europa? Hier ist diese doch zumindest auf Jahrhunderten tierärztlicher Erfahrung beruhende Therapieform nahezu erloschen, doch noch gar nicht allzu lang, wie sich an Typoskripten veterinärpharmakologischer Vorlesungen aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ablesen lässt . Auch sonst ist das Erfahrungswissen der traditionell europäischen Veterinärmedizin nicht gänzlich verloren, ist es doch zumindest in Büchern erhalten geblieben [3]. Dennoch lässt das Studium dieser historischen Literatur immer wieder den Wunsch aufkeimen, noch einmal genau nachzufragen, wie einzelne Arzneipflanzen ganz konkret angewendet wurden, und es ist bedauerlich, dass die damaligen Therapeuten hierfür nicht mehr zur Verfügung stehen. Und doch ist die Kräuteranwendung beim Tier in Europa gegenwärtig. Bäuerinnen und Bauern haben diese Tradition bis heute erhalten. Dank ihrer großzügigen Kooperationsbereitschaft konnten in den vergangenen 10 Jahren in den beiden Alpenländern Österreich und Schweiz ethnoveterinärmedizinische Forschungsprojekte erfolgreich abgeschlossen werden [4][5][6], und weitere laufen aktuell oder sind in Planung. Es besteht also eine solide Basis, um die Veterinärphytotherapie zu aktivieren und somit das reichhaltige Potential der Arzneipflanzen zukünftig in der veterinärmedizinischen Forschung, Lehre und Praxis wieder verstärkt zu nutzen. Mit dem Parallelsymposium Veterinärmedizin möchten die Organisatoren der Tagung «Phytotherapie 2014» genau dies aktiv anregen.