Übersetzung als Aufbau des Vergleichbaren (Auf Ricoeurs Pfad mit Wittgenstein) (original) (raw)

Nimm nicht die Vergleichbarkeit, sondern die Unvergleich‐ barkeit als selbstverständlich hin. (Wittgenstein, CV 84) Was ist die Relation zwischen Übersetzungstheorie und Sprachauffassung? Eine erste, intuitive Ant‐ wort auf diese Frage dürfte wohl sein: Beide Dimensionen sind so innig miteinander verschränkt, dass man das eine vom anderen kaum entkoppeln kann. So scheint auch in der Fachliteratur die Dis‐ kussion zu verlaufen, v.a. wenn man berücksichtigt, wie sehr die linguistischen Übersetzungstheorien (insbesondere bis zu den 1980ern) vom Code‐Modell abhängen oder, am gegenüber liegenden Pol, wie sehr die Vorstellung des ständigen Gleitens des symbolischen Sinnes die verschiedensten post‐ modernen Ansätze prägt. Ist dem aber wirklich so? Sind die gängigen Sprachauffassungen und Übersetzungstheorien in der Tat miteinander so kompatibel, wie man aus guten Gründen erwarten sollte? Denn Übersetzung ge‐ schieht mittels Sprache, darum müsste jegliche Übersetzungstheorie im logischen Rahmen der ihr zugrunde liegenden Sprachauffassung bleiben. Anette Kopetzki (1996, 19‐43) hat mit ihrer sprachphi‐ losophisch angelegten Diskussion der Übersetzungsgeschichte sehr überzeugend gezeigt, dass oft ein eklatanter Widerspruch zwischen universalistischen und relativistischen Zügen im jeweiligen Konzept von Sprache und Übersetzung verschiedener Traditionen vorliegt. Aus ihrer Beschreibung lässt sich entnehmen, dass das damit zu tun hat, dass man in der Theorie das eine oder andere idealisiert und dann versucht, die eigentliche Praxis unter den Hut dieser Idealisierung zu bringen. Dabei entstehen notgedrungen logische Inkonsistenzen, die jedoch in der Regel übergangen werden, weil man selten bereit ist, solchen Problemen auf den Grund zu gehen. Darum wird auch oft übersehen, dass schein‐ bar konträre Ansätze gemeinsame Grundgedanken teilen. So hängt z.B. auch die traditionelle Rede von Unübersetzbarkeit im literarischen Bereich indirekt mit dem Code‐Modell zusammen, denn es wird angenommen, pragmatische Texte ließen sich ohne grö‐ ßere Schwierigkeiten unter Zuhilfenahme der Referenz sozusagen objektiv übersetzen, während beim Literarischen die Subjektivität des Interpreten die Hauptrolle spielen würde. Auf die Idee einer irgendwie verborgenen Essenz des zu übersetzenden Werks wird in der Regel aber nicht verzichtet. In ähnlicher Weise hängt auch der dekonstruktivistische Begriff der différance von der Idee ab, so‐ wohl die Wiederholung als auch die Übersetzung setzten eine gegebene Identität voraus (OLIVEIRA 2005). Da keine vollkommene Identität zu erzielen sei, gäbe es auch keine Übersetzung im tradierten Sinne und stattdessen könne man nur von " regulierter Transformation " sprechen (DERRIDA 1967). Die Rede von einer theoretischen Unübersetzbarkeit setzt in diesem Sinne den Begriff der Überset‐ zung als Wiederholung des Gleichen logisch voraus und hängt insofern davon ab. In der Praxis er‐ kennt man jedoch die verschiedensten Zieltexte als legitime Übersetzungen ihrer jeweiligen Aus‐ gangstexte an. Daraus folgert Gideon Toury (2012, 35‐46), dass es keine Lösung für das Problem der abstrakten (Un‐)Übersetzbarkeit gibt, während man durchaus bereit ist, praktische Lösungen als ge‐ glückte Übersetzungen zu akzeptieren. Ein zentraler Bestandteil dieser ganzen Problematik hat m.E. mit der traditionellen Suche nach einer für alle möglichen Fälle zugrunde liegenden Essenz des Phänomens zu tun, wie sie Wittgenstein