Imaginationsgeschichte (original) (raw)
2015, Wilke, Annette, Traut, Lucia (Hg.), Religion – Imagination – Ästhetik: Vorstellungs- und Sinneswelten in Religion und Kultur (Göttingen: Vandenhoek)
Eines der konzeptionellen Bänder, die eine religionsästhetische Perspektive zusammenhalten, besteht darin, dass die Körperlichkeit und Sinnlichkeit religiöser Praxis nicht losgelöst gesehen wird von ihrer geschichtlichen Entstehung. Imagination und Imaginieren, so kann man nicht erst im sogenannten "Jahrhundert des Gehirns" lernen, übernehmen gleichermaßen neuronale und biologische wie soziale und kulturelle Funktionen. Sie befähigen den Menschen, zeitliche wie räumliche Distanzen zu überbrücken und Abwesendes anwesend zu machen, sei es als mentale Bilder und Gefühle, als Erinnerungen, Vorstellungen und Empfindungen. Doch Wahrnehmung und Repräsentation sinnlicher Erfahrungen sind zugleich untrennbar verbunden mit der Geschichtlichkeit des Imaginierens, sei es als die Vergangenheitshorizonte eines Individuums, welche die Formen der Wahrnehmung prägen, oder als die Vergangenheitshorizonte eines Kollektivs, mit denen durch sprachliche und bildliche Konventionen bestimmt wird, welche Wahrnehmungen der Welt und ihren gesellschaftlichen Normen entsprechen und welche ausgeschlossen werden, weil sie über den commonsense in der Praxis von Wahrnehmung und Darstellung hinausgehen.