Günter Grass -Unordentliche Erinnerungen gegen die Ordnung der Geschichte (original) (raw)

Das moderne Ich ist der Ort der Erfahrung von Welt und ebenso des Zweifels an der Existenz der Welt, der sich nicht beruhigen läßt. Welt kann ohne das Subjekt als einem Teil von ihr nicht vorgestellt werden. Aussagen über die Welt setzen eine Position in ihr voraus. Die philosophische Skepsis der Neuzeit geht davon aus, daß alles, was wir über die Welt wissen können, aus der sinnlichen Wahrnehmung und damit aus einer Interaktion von Ich und Welt folgt. Dieses Wissen läßt sich nur verstehen, insoweit die Arbeit des Subjekts an seiner Konstruktion berücksichtigt, also das Ich als ein unlösbarer Teil dieser Konstruktion eingeschlossen ist. Radikale epistemologische Skepsis macht jedoch zugleich eine Position des Außen notwendig. Nur soweit der Beobachter seine Position als getrennt von der beobachteten Welt definieren kann, läßt sich der radikale Zweifel an der Existenz der Wirklichkeit denken, ohne daß sich das Ich selbst auslöscht. Das epistemologische Problem der Skepsis ist daher das der Perspektive, aus der Aussagen über die Welt gemacht werden können. In jedem Versuch, ein objektives Bild der Welt zu entwickeln, indem das Subjekt aus sich heraustritt und seine ortsgebundene Position verläßt, bleibt notwendig stets ein Rest des partikularen Subjekts erhalten. Es muß bei aller denkbaren Distanz zu ihr an der Konstruktion eines Bildes von Welt als ihr Teil beteiligt und in ihr anwesend bleiben. Damit ist der Zweifel an der Objektivität nie zu beheben. Aus der Sicht der Skepsis destruiert die Idee der objektiven Erkenntnis sich selbst. Sie verlangt eine Konzeption von Welt, in der die Subjektivität negiert wird, um das Ideal der Objektivität zu erzielen. Zugleich darf jedoch das Subjekt nicht ausgeschaltet werden, sondern muß als Bedingung ihrer Möglichkeit in der Konzeption von Welt erhalten bleiben. Die aus dieser Gleichzeitigkeit der sich ausschliessenden Positionen folgende Unschärfe und innere Widersprüchlichkeit sind keine fehlerhafte Methode des Zugangs zur Welt, die sich korrigieren ließe. Sie sind für die Erkenntnis von Welt konstitutiv. Sobald mit den Systemen der Metaphysik Begiffe wie Gott, Seele und Unsterblichkeit aus dem Erkenntnisprozeß ausgeschlossen werden, wird diese Unbestimmtheit zum unvermeidbaren Element im Verständnis des Wissens von Welt, das nicht zu überwinden ist. Dieser Widerspruch ist für die Skepsis als Epistemologie unaufhebbar. Das skeptische Denken hat zum Ende der Metaphysik und ihrer Folgesysteme wesentlich beigetragen, und es ist vom Zusammenbruch der Systeme und des Glaubens selbst betroffen. Die Erosion von Systemen, deren Kritik die Skepsis über lange Zeiträume hinweg ihr Dasein vedankte, mußte sie im Innersten verwandeln. Seit ihrer Wiederkehr in der frühen Neuzeit war die Skepsis unlösbar mit dem Ideal der Moderne und ihrem Programm der Rationalisierung durch Entmythologisierung verknüpft. Mit David Humes kritischem Sensualismus begann diese Allianz. Seine Widerlegung der Metaphysik und Abwehr des Traditionalismus, der theologischen Dogmatik und der a-priori Argumente und sein Kampf gegen alle Formen des Irrationalismus versetzen ihn in eine zentrale Position der frühen Aufklärung. Sein distanzierter Umgang mit Religion, der den Glauben aus dem Bereich der Philosopie