Schnelle Autos, Schnaps & Rock’n’Roll. Der Halbstarkenfilm DIE FRÜHREIFEN (1957) und die Jugendkultur der 1950er Jahre (original) (raw)
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FILMBLATT 55-56 (2014/15), pp. 3-23, 2015
Es ist Freitag, die Aufregung über den Hitler-Ludendorff-Putsch in München hat sich gelegt, und die Leute freuen sich aufs Wochenende. Gerade stolziert ein Mann mit Schnauzbart, Stöckchen und Melone durch eine schäbige Hinterhausgasse, vorbei an Mülltonnen und Kehricht. Seine einstmals vornehme Garderobe ist vollkommen ramponiert und hat die guten Zeiten lange hinter sich. Nun hält er erst einmal inne, nimmt eine Zigarettenkippe, die er irgendwo aufgelesen hat, aus einem Döschen, steckt sie sich an und klopft den Staub von den Ärmeln. Ein Bündel am Boden erregt seine Neugier -ein Säugling, hilflos schreiend, ausgesetzt neben einer Mülltonne. Mit dieser Begegnung beginnt die wunderbare Erzählung von Charlie Chaplin, dem Tramp, und Jackie Coogan, dem Findling, die gemeinsam als Vater und Sohn dem akuten Geldmangel, der Polizei und der Jugendfürsorge trotzen, bis zu guter letzt die reich gewordene, reuige Mutter ihren Jungen zu sich holt. Chaplin hingegen bleibt der Tramp oder, wie er in Deutschland auch genannt wird, der Landstreicher. The Kid ist eine Fantasie, mit der Chaplin die Menschen bei der deutschen Premiere an diesem 9. November im Tauentzien-Palast zum Lachen und Weinen bringt. Mit knapp tausend Plätzen zählt das Haus unweit des Wittenbergplatzes im schicken Westen Berlins zu den größten Kinos der Stadt und heißt nicht ohne Grund "Palast". Gelacht oder geschmunzelt wird an diesem Abend sicherlich über die merkwürdige Diskrepanz, die die Figur des Tramps auszeichnet: den so lakonisch hingenommenen Widerspruch zwischen zerlumpter Kleidung und beinahe dandyhaften Manieren, zwischen dem Reichtum des Protagonisten an menschlichen Qualitäten und seinem leeren Portemonnaie. Ob damals im Kino wohl auch noch eine weitere Diskrepanz spürbar warjene zwischen denen auf der Leinwand und denen im Saal, zugespitzt: zwischen Armen und Reichen, Verlierern und Gewinnern? Der durchschnittliche Mindesteintrittspreis fürs Kino beträgt kurz vor dem Höhepunkt der Inflation 40.000.000.000 Mark, doch dürfte eine Premierenkarte ein Mehrfaches gekostet haben. 1 Selbst wenn in dieser Woche jeder Deutsche einmal Milliardär sein durfte, so haben die kleinen Leute, die Arbeiter, Händler und Handwerker, die Alten,
Jugendrebellion und Generationenkonflikte der 1950er und 1960er Jahre in Filmen der DDR
Generationenverhältnisse in Deutschland und China Soziale Praxis - Kultur - Medien. Herausgegeben von: Almut Hille, Liaoyu Huang und Benjamin Langer. Band 4 der Reihe Chinese-Western Discourse, 2016
Jugendrebellion und Generationenkonflikte der 1950er und 1960er Jahre in Filmen der DDR Jugendkultur und Amerikanisierung in beiden deutschen Staaten Das Verhältnis der Gesellschaft zur Jugend ist wohl immer ambivalent. Für die Generation der Erwachsenen verkörpert die Jugend sowohl ein Zukunftsversprechen als auch eine Bedrohung und Infragestellung der eigenen Werte. Die stärkere Sensibilität Jugendlicher für kulturellen Wandel (vgl. Kurme 2006, 11) macht die Jugend auch anfällig für aus Erwachsenensicht problematische Einflüsse und damit zu einer potentiell gefährdeten Gruppe, die einerseits Schutz benötigt, vor der aber andererseits auch die Gesellschaft zu schützen ist. Eben jener kulturelle Wandel, dem die Erwachsenen mit oftmals extremer Skepsis begegnen, kann jedoch auch als wesentliches Element der Dynamik einer Gesellschaft gelten. Ein besonders anschauliches Beispiel für diese Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse und die Rolle der Jugend in ihnen stellt die Jugendkultur der 1950er Jahre dar, die gemeinhin als bedeutender Akteur innerhalb des Prozesses der ‚Amerikanisierung' (west-)europäischer Konsum-und Verhaltensmuster beschrieben wird (vgl. Wasmund 1986 und Janssen 2010, 14), wobei die Essenz des Prozesses der Amerikanisierung bündig in Rolf Lindners viel zitierter Formulierung vom "Übergang vom moralischen zum kommerziellen Code" (Lindner 1986, 282) gefasst ist. Die Konsequenzen, Konflikte und Verwerfungen dieses Prozesses lassen sich gerade in der ‚heißesten' Phase des Kalten Krieges, in den 1950er und 1960er Jahren, in beiden deutschen Staaten beobachten, denn auch die Jugend der DDR war keineswegs immun gegen die Amerikanisierung. In der BRD wie der DDR stieß dieses Phänomen vor allem bei den Älteren auf extreme Vorbehalte, wobei die Gründe für diese Ablehnung zum Teil durchaus ähnlich waren. Im Westen wurde "die amerikanische Kultur von den Erwachsenen […] als vulgär und materialistisch diffamiert"; so kam es bei den Jugendlichen zu einer "Identifikation von ‚jugendgemäß' und ‚amerikanisch'" (Lindner 1996, 46). Hier stand die politisch gewollte West-Ausrichtung also in Konflikt mit einer kulturell und sozial bedingten Ablehnung des ‚American Way of Life', der, so die zentrale These von Kaspar Maase, zu einer Kräfteverschiebung zugunsten der "nicht an
Die Halbstarken. Bilder einer neuen Jugend
Gerhard Paul (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder – 1949 bis heute, Göttingen 2008, S. 154-161.
Ausgehend von dem deutschen Spielfilm "Die Halbstarken" (Regie: Georg Tressler, 1956) untersucht der Aufsatz die visuelle Repräsentation eines Konfliktthemas, das die Westdeutschen in der zweiten Hälfte der 1950er umtrieb: Das Auftreten Jugendlicher, die wegen ihrer Abweichung von Normen und Lebensauffassungen der Älteren als bedrohliche Herausforderung und Inbegriff problematischer "Amerikanisierung" wahrgenommen wurden. Ein Befund ist, dass die Ängste des Kalten Kriegs die visuelle Repräsentation des Problems erheblich prägten.
Das politische Lied in Ost- und Südosteuropa , 2010
Die Anfänge des Art-Punk in Ungarn Symbole und Wertvorstellungen von Subkulturen wurden und werden oft bemerkenswert einfach in die Lebensführung und in die Denkweise von Intellektuellen integriert. Auch Art-Punk war keine Ausnahme. Symbole und Wertvorstellungen von Punk waren leicht übertragbar und zum Teil kompatibel mit der Lebensart und Lebensweise der kritischen Intelligenz-nicht zuletzt wegen der bemerkenswerten Übereinstimmung zwischen den subversiven Stilmerkmalen dieser Subkultur und der Zeichensprache der avantgardistischen Strömungen. 2 Die Geschichte des ungarischen Punk begann in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Sie verlief von Anfang an entlang zweier divergierender Traditionslinien und vermittelte sich durch zwei verschiedene Kommunikationskanäle. Die Synthese der einen Linie vollbrachte die Gruppe Beatrice. Ihr Punk bestand aus Elementen von Hard-Rock, Kunstvolkslied, Operette und Diskomusik. Die andere Linie, also Art-Punk wurde von Gruppen wie Spions, URH, Bizottság, später dann Neurotic und VHK repräsentiert. 3 Von den Art-Punk-Gruppen taten sich die ersten drei mit avantgardistischen Experimenten hervor. Diese bezogen sich nicht nur auf die aggressive Musik, sondern auch auf die Textwelt der Songs: Die Bands begründeten einen ausgesprochen politischen Stil, der teils den Totalitarismus des Systems kritisierte, teils neodadaistische und neosurrealistische Elemente der Gegenkultur zur Auflockerung der Textwelt verwendete. Auch VHK lässt sich der Art-Punk-Strömung zurechnen, da die Gruppe Elemente der archaischen, prächristlichen Glaubenswelt-in erster Linie des Schamanismus-verwendete, um sie zu unverwechselbaren Texten zu montieren.
6 Sekunden. 20 Bilder – Anmerkungen zum Kino der 90er Jahre
In: Müller, Jürgen (Hrsg.): Filme der 90er Jahre. Köln 2001, S. 4-14
Anmerkungen zum Kino der 90er Jahre Im Kino der 90er Jahre gibt es unsichtbare Bilder. Einstellungen können derart beschleunigt werden, dass sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen. Ein solches, nur Bruchteile einer Sekunde dauerndes Aufblitzen von Bildern findet sich etwa am Ende von Jonathan Demmes Das Schweigen der Lämmer (The Silence ofthe Lambs, S. 34) aus dem Jahre 1991. Der Film enthält den wahrscheinlich kürzesten Showdown der Filmgeschichte: Der Schusswechsel zwischen der FBI-Agentin Clarice Starling und dem Frauen mörder .Buffallo Bill' dauert gerade einmal sechs Sekunden, obwohl er aus mehr als zwanzig Bildern besteht. Bei einem nahezu zweistündigen Film nur sechs Sekunden für dessen spannendsten Teil zu verwenden, mutet gera dezu kurios an. Demme lässt den Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes implodieren und verwendet Bilder von großer visueller Kraft. Dabei weiß der Regisseur den Showdown geschickt vorzubereiten. Nach einer spannenden Parallelmontage, an deren Ende wir die Ergreifung des Mörders erwarten, steht nicht die FBI-Einsatztruppe, sondern Clarice allein vor dessen Tür. Ohne es zu wissen, hat sie .Buffallo Bill' aufgespürt. In dem Moment, in dem sie erkennt, wen sie vor sich hat, flüchtet Bill in den Keller seines Hauses. Hier hält er sein letztes Opfer gefangen. Der Mörder löscht das Licht, nachdem ihm die FBI-Agentin in den Keller gefolgt ist.
2008
MoUrir à trente ans (sterben Mit 30, 1982)-Erinnerung an einen Erinnerungsfilm oder ‚Trau keinem über 30', wenn von 68 die Rede ist Mourir à trente ans von Roman Goupil ist ein diskursiv und ästhetisch überraschender Film jenseits der ausgetretenen Pfade einer im Dekadenturnus ritualisierten Mai 68-Erinnerung. Ein Solitär in der jahrestagsgenerierten Eventkultur, deren Aufmerksamkeitsökonomie häufig auf skandalisierende und mythologisierende Plattitüden setzt. Trotzdem oder gerade deswegen ist die Form der Erinnerungsarbeit des Films so aktuell, nicht zuletzt vor dem Hintergrund jüngster Entwicklungen im medialen Umgang mit Geschichte: Im Rahmen des "History Boom" 1 in Film und Fernsehen haben sich eine Reihe neuer hybrider Formen und Formate-Stichwort Docudrama/Docufiction 2-entwickelt, deren Darstellungsstrategien Goupil reflexiv verwendet. Mourir à trente ans ist ein autobiografischer, (selbst-)kritischer, essayistischer Erinnerungsfilm, in dem ein ehemaliger Protagonist der Proteste die eigene Jugend reflektiert, das Filmemachen thematisiert und zugleich den Pariser Mai 68 in einen größeren sozialhistorischen Rahmen stellt. Damit durchbricht Mourir à trente ans die Spektakel-Dramaturgie einer sich auf die Unruhen konzentrierenden Berichterstattung ebenso wie nostalgische oder anklägerische Schwarzweiß-Bilder mit ihrer polarisierenden Mythologisierung. Wie der Erinnerungsfilm Mourir à trente ans eine anti-mythologische Wirkung entfalten kann, möchte ich mit der Erinnerung an die eigene erste Seherfahrung einführend kurz schildern, bevor die Inhalte des Films und seine ästhetischen Verfahren einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Mai 68 à la Rouch Mai 1997, Samstag morgen, Pariser Cinémathèque, Seminar von Jean Rouch "Cinéma et sciences humaines" noch im alten, von Henri Langlois gegründeten Kinotempel des Palais de Chaillot. Mehr oder weniger verpflichtend für die in ‚visuelle Anthropologie' eingeschriebenen Studierenden von Nanterre, stand die Veranstaltung allen Filminteressierten offen. Das Prinzip lautete: Wer einen Film zeigen und diskutieren will, bringt ihn zur Vorführung mit, ansonsten präsentiert Rouch,