Und was hat das mit mir zu tun? Perspektiven der Geschichtsvermittlung zu Nazismus und Holocaust in der Migrationsgesellschaft (original) (raw)

Das Gedächtnis der Migrationsgesellschaft

Edition Museum, 2021

Das Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird von Millionen Migrant*innen mitgeprägt. Lange blieb ihre Geschichte ungeschrieben, doch 1990 begannen die aus der Türkei stammenden Pionier*innen des »Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland e.V.« (DOMiD) damit, alltagskulturelle Objekte aus der Ära der so genannten »Gastarbeiter*innen« zusammenzutragen und in Ausstellungen zu präsentieren. Heute umfasst die Sammlung über 150.000 Zeitzeugnisse aus der Migrationsgeschichte Deutschlands seit 1945 bis heute. Unzählige unerzählte Geschichten multipler Migrationen knüpfen sich daran. Das Buch zeichnet die Geschichte des Vereins nach.

+++ OPEN ACCESS +++ Henning Gutfleisch, Zerfallene Erfahrung. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft, in: Salome Richter et al. (Hg.): Antisemitismus in der postnazistischen Migrationsgesellschaft, Leverkusen: Budrich 2023, S. 195-212.

Antisemitismus in der postnazistischen Migrationsgesellschaft, 2023

Schulischer Bildung ermangele es nicht nur inhaltlicher und didaktischer Kenntnisse, um Antisemitismus entschieden zu begegnen, vielmehr werde er ebenso, so die sich häufenden Befunde, von Lehrkräften und Schülerinnen reproduziert. Entgegen dieser Diagnose arbeiten freie Träger der außerschulischen Bildung mit einem Antisemitismusbegriff auf der Höhe der Zeit. Diesen jedoch ermangelt es, so meine These, eines Begriffs der Bildung, der sich nicht in der alleinigen Vermittlung von Wissen erschöpft: Weil die gesellschaftlichen Widersprüche, die auf dem Subjekt lasten, unverstanden bleiben, scheitert auch dieser Anspruch auf Bildung, denn in Auschwitz wurden nicht nur Millionen von Menschen vernichtet; der „Zivilisationsbruch“ versehrte ebenso das Verhältnis des Menschen zu sich selbst – was unmittelbar die Frage nach seiner Bildsamkeit und Erfahrungsfähigkeit aufdrängt. Welche Bedeutung die Einsicht in den Zivilisationsbruch für die Grenzen der Forschung zu und der pädagogischen Praxis gegen Antisemitismus hat, bleibt jedoch weitgehend unbeantwortet: in wissenschaftlichen Studien ebenso sehr wie in pädagogischen Handreichungen. Gegenstand dieses Artikels ist die Analyse der Bedingungen antisemitismuskritischer Bildungsarbeit in der Migrationsgesellschaft. Hierfür werden Methoden der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus exemplarisch nach ihrer didaktischen Konzeption befragt und bildungstheoretisch – mittels Walter Benjamins Motiv der Materialistischen Bildungsarbeit – analysiert.

Erinnerung an NS-Verbrechen als Lerngelegenheiten? Eine argumentationsanalytische Rekonstruktion von ‚#Uploading_Holocaust‘

zdg. Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, 2021

Der Dokumentarfilm #Uploading_Holocaust sowie die eigens dafür entwickelten Bildungsmaterialien zielen auf die Erinnerungskulturen in Deutschland, Österreich und Israel ab. Dieser Artikel rekonstruiert argumentationsanalytisch, wie die Erinnerung an NS-Verbrechen mit Lernzielen in Verbindung gebracht wird. Die Analyse verweist auf sowohl intendierte als auch nicht-intendierte Effekte und diskutiert die besonderen Herausforderungen einer Thematisierung von Erinnerungskulturen im Kontext von traditionellen und aktuellen Formen von Antisemitismen.

Was hat der Holocaust mit mir zu tun? 37 Antworten (Hrsg.)

ISBN-13: 978-3570552032, 2014

Der häufig geäußerten Behauptung, wir seien medial übersättigt von Nationalsozialismus und Holocaust, setzt Harald Roth dieses Buch entgegen. Durch seine Arbeit weiß er: Für viele Menschen stellt die Auseinandersetzung mit dem Holocaust eine Erstbegegnung dar. Sie haben Fragen und sie erwarten Antworten. Harald Roth versammelt eine illustre Riege von Autoren, die sich jeder einem anderen Thema widmen von der Frage nach der Verjährung der Verbrechen bis zur Frage, ob Einwanderer an der Erinnerungskultur Deutschlands teilhaben sollen. Mit den letzten Zeitzeugen verschwindet auch das Bewusstsein für den Holocaust in unserer Gesellschaft. Die Jahre 1933 – 45 sind kein Gesprächsthema mehr in den Familien. Generationen wachsen heran, die keinerlei Kontakt mehr zu Menschen haben, die damals Opfer oder Täter waren. Immer öfter hört man die Frage, gerade – aber nicht nur – von Jugendlichen: Was hat der Holocaust mit mir zu tun? Der Antwort kommt man nahe, indem man andere Fragen beantwortet: Wie werden »normale« Menschen zu Massenmördern? Hätte man den Holocaust verhindern können? Ist die Verfolgung der NS-Täter jetzt noch sinnvoll? Gab es überhaupt Liebe in jenen Zeiten des Hasses? Wie singulär ist der Holocaust? Harald Roth hat prominente Beiträger ganz unterschiedlichen Alters und Hintergrunds versammelt, die reflektierte und zuweilen überraschende Antworten geben: Hans-Jochen Vogel, Inge Deutschkron, Wolfgang Benz, Alfred Grosser, Lena Gorelik, Aleida Assmann, Cem Özdemir, Ingo Schulze, Herta Müller und viele andere.

»Ich ist ein Anderer.« Identitäre Krisen im Kontext von Migrationsgeschichten

Identitätskonzepte in der Literatur (Passagen. Literaturen im europäischen Kontext, Bd. 6), 2021

Der Populärphilosoph Richard David Precht betitelt einen seiner Streifzüge durch die Philosophiegeschichte „Wer bin Ich und wenn ja, wie viele?“ Diese Frage, schreibt er, hänge „wie ein Leitspruch über der modernen Philosophie und Hirnforschung im Zeitalter fundamentaler Zweifel am ‚Ich‘ und an der Kontinuität des Erlebens“. Die existentielle Frage „Wer bin ich?“ sowie die Ausweichbewegung in die Fremde als einem Raum der Identitätssuche sind häufig aufzufindende Motive in der Literaturgeschichte. Und schon im Kontext des Umbruchs zur Moderne wird der Ich-Zerfall vermehrt zum Thema. In Migrationsgeschichten der Gegenwart gewinnt die Identitätsfrage aber eine neue Dimension, in der die Frage nach dem Ich eng verklammert ist mit kultureller Identität. Die „Krise des postmodernen Selbst“ findet hier gewissermaßen eine interkulturelle Zuspitzung, in der kulturelle Entfremdung und die Ambivalenz psychischer Identifikation sich einander annähern.