Cat. nos. 100, 101, 102, in: Peter Forster, Elisabeth Oy-Marra & Heiko Damm (eds.): Caravaggios Erben. Barock in Neapel. Exh. Wiesbaden, Museum Wiesbaden, October 14, 2016 – February 12, 2017. Munich: Hirmer 2016, pp. 368–73 (original) (raw)
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J oris van Gas tel Detail aus Luca Forte, Stillleben mit Tuberose und KristaUschale, 1630/ 40er J ahre, Rom, Galleri a Corsin i. 226 A n keinem Ort auf der italienischen H albinsel fiel die Stilllebenmalerei auf solch fru chtbaren Boden wie in Neapel. Und doch hat es sich als besonders schwierig erwiesen, die Geschichte des n eapolitanischen Stilllebens niederzuschreiben. Wenig verlässliche Zuschreibungen und unbekannte Namen in den Beständen m achen es fast unmöglich, ein umfasse ndes Bild zu erhalten. Dies liegt teilweise im internationalen C h arakter der neapolitanischen Kunstszene Anfang des 17. J ahrhunderts begründet. Schlüsselfiguren in der Entwicklung des Genres der Stilllebenmalerei, darunter Joris H oefn agel (1542-1601), 1 J an Brueghel der Ältere (1568-1625 ), 2 Filippo Napoletano (ca. 1587-1629) 3 (Abb. 1) und natürlich Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) 4 hielten sich alle über kürzere oder längere Zeiträume in Neapel auf, und auch wenn sich keiner dieser Künstler dort anscheinend mit der Stillleb enmalerei besch äftigte, bekommen wir einen Eindruck davon, wie leicht Grenzen überschritten wurden. Neapel zog in besonderem Maße Künstler ganz unterschiedlichen Hintergrunds an, ein Umstand der für die Forschung die Schwierigkeit mit sich bringt, die vorsichtig hergestellten Grenzen, die Kunsthistoriker gerne zwischen verschiedenen Schulen ziehen, aufrech tzuerhalten. Wenn Camillo Tutini, eine der frühesten Quellen zu diesem Them a, anmerkt, d ass "im M alen von Blumen und Früchten n ach der Natur Luca Frate, Iacovo Russo und Ambrosiello überaus bekannt [".] und alle von ihnen Neapolitaner waren [".]", 5 h atte er d abei ein gen aues Ziel; doch liefern Hinweise in neapolitanischen Inventaren auf oft kaum zu iden tifizierende "fi amminghi" ein wesentlich breiteres Bild. 6 Konzentriert m an sich ausschließlich auf die Neapolitaner, lassen sich ab den 1630er J ahren einige bedeutende Künstler bestimmen: Die wichtigsten Protagonisten waren Luca Forte (ca. 1615ca. 1670) und Giacomo Recco (1603-vor
Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums Wien, 2018
We have known for some time that a number of paintings in the Kunsthistorisches Museum – e.g. significant works by Carlo Maratta, Guido Reni and Francesco Trevisani – were once in the collection assembled by the Albani family. But until now little was known about how these artworks (c. 35 pieces) had come to Vienna. Recently discovered sources, an examination of inventories, and markings on the paintings themselves closely link their history to Napoleon’s looting of art; removed from the Palazzo Albani in 1798 during the French occupation of Rome, they were on their way to France when seized by Austrian troops at Ferrara in 1799. Regarded as booty, the paintings were subsequently sent to Vienna. Some of them were later returned to Prince Carlo Albani while others were acquired from him. The authors show, however, that paintings from the Albani Collection were not the only works to find their way to Vienna; they were joined by other major works from the Vatican, among them Giorgio Vasari’s altarpiece from the Chapel of St Peter Martyr and pictures from the collection of Pope Pius VI (Braschi). Circa 350 paintings with a Roman provenance were confiscated at Ferrara, Bologna and Milan in 1799–1800, many of which can now for the first time be identified in the holdings of the Kunsthistorisches Museum Vienna. This re-evaluation leads also to several new attributions.
Dass sich um 1600 in den Künsten große Veränderungen ereignen, ist ein Gemeinplatz der Forschung.' Hier wird und wurde vor allem in der älteren kunsthistorischen Lite ratur, die stärker an der Epocheneinteilung interessiert war, ein epochaler Wandel von der Renaissance oder dem Manierismus zum Barock angenommen. Rom galt und gilt als der zentrale Ort des »Umschlags der Epochen«, und mit Michelangelo Merisi da Caravaggio und Annibale Carracci sind dessen Protagonisten benannt. Befragt man die ältere Forschung nach den Indikatoren künstlerischen Wandels im CEuvre dieser beiden Künsrler, stößt man vor allem auf ein Erklärungsmusrer: Diese Maler hätten nach jahr zehntelanger Orienrierung ihrer Kollegen des späten 16. Jahrhunderts an den zur Norm erhobenen Malern der Hochrenaissance eine neue Leitlinie für ihr Schaffen enrwickelt, und zwar die Nachahmung der Narur. Wirklichkeitsorientierung statt kunstbezogener Manierismen sei also ihr Credo gewesen, und genau dieses verbinde die beiden sehr ver schieden arbeitenden Künstler mireinander. Inzwischen hat eine Reihe von Autoren die nicht nur in der italienischen For schung beinahe dogmatisch verfestigre Vorstellung von Caravaggio als bloßem Nach ahmer der Natur auf vielfältige Weise problematisiert. Vor allem Rudolf Preimesberger, und Wolfram Pichler konnten mit je verschiedenen Erkenntnisinteressen und Frage srellungen zeigen, dass das Denkmodell von Caravaggio als unreflekriertem »Maler Pinsler«, der ausschließlich die ihn umgebende Wirklichkeit als Vorbild genommen, ja emphatisch mit den Normen künstlerischer Tätigkeit gebrochen habe, erheblich zu relativieren ist/ Implizit oder explizit erbrachten ihre Studien, dass der vermeint 1 Dieser Text rekurriert an verschiedenen Stellen auf meine größere Untersuchung Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambyuität, Ironie und Pcr/onnativität in der Malerei um tdoo, Berlin 2009, die ausführliche Litcraturangaben und Diskussionen der verwendeten Begriffe und Konzepte enthält. Im vorliegenden Aufsatz sind Duktus und Präsentationsform des Vortragstexts weitgehend beibe halten, die Fußnoten auf das Nötigste beschränkt. Nach 2009 erschienene Literatur konnte nicht mehr eingearbeitet werden. . Es versreht sich, dass ein solcher Forschungsüberblick keine Voll ständigkeit beanspruchen kann. 471 Originalveröffentlichung in: Pfisterer, Ulrich ; Wimböck, Gabriele (Hrsgg.): Novità : Neuheitskonzepte in den Bildkünsten um 1600, Zürich 2011, S. 471-488 (Bilder-Diskurs) Valeska von Rosen lieh ungebrochene Naturalismus Caravaggios vielmehr ein Strategem, ein artifizieller Modus ist, mit dem Alterität gerade auch gegenüber einem hierfür empfänglichen Publikum in Szene gesetzt wird. Die Vorstellung von einem ungestümen »Malergenie« avant la lettre, das mit allen Regeln künstlerischer Tätigkeit emphatisch bricht, wird zunehmend durch das Bild eines reflektiert und strategisch arbeitenden Künstlers ersetzt, der in seinen Werken die relevanten Parameter des künstlerischen Diskurses seiner Zeit ironisch bricht. Für Annibale Carracci lässt sich in der Forschung dies sei hier nur angedeutet eine ähnliche Tendenz festmachen. Gerade in den frühen genreartigen Knabenbildern und seinen Darstellungen von Fleischerläden werden tradierte Bildmuster spielerisch zitiert und vor der Folie antiker Zuschreibungen und Wertvorstellungen eine den »niedrigen« Gegenständen angemessene, forciert einfache Malweise entwickelt. 4 Hässliche antike Malerei -ein Strategem Mit Bezug auf Caravaggio soll dieser Wandel der Forschungsparadigmen zunächst an einem Beispiel verdeutlicht werden, und zwar dem Knaben mit Fruchtkorb in der Gallc ria Borghese (Abb. 1) bekanntlich eines der ersten römischen Werke des Malers, das sich für die Diskussion der Neuheit seiner Bildsprache geradezu anbietet. 5 Schließlich galt der Knabe mit Fruchtkorb lange Zeit als eines der Excmpla für Caravaggios vermeint lich ausschließliche Wirklichkeitsorientierung, in dem sich das neue Interesse für die »banale« Umwelt des Malers manifestietc. Diese Sicht geriet ins Wanken, als Julius Held und Howard Hibbard erkannten, dass sich Caravaggio mit dem Gemälde durchaus auf ein künstlerisches Muster bezog, nämlich auf Plinius' Schilderung eines Werkes aus der Hand des antiken Malers Zeuxis. 6 Im Anschluss an die berühmte Schilderung des Wettstreits zwischen Zeuxis und Parrhasios um die täuschende Lebensechtheit ihrer Gemälde, die Trauben oder einen gemalten Vorhang darstellten, erwähnt Plinius, dass Zeuxis noch ein weiteres Bild gemalt habe, nämlich einen Knaben, der Trauben hielt. 7 3 Vgl. : »Zeuxis soll später auch einen Knaben gemalt haben, der Trauben trug.«