Von der Kritik zur Konkurrenz. Die Umstrukturierung wissenschaftlicher Konflikte (original) (raw)
Gerade veröffentlicht im Open-Access-Magazin suburban (www.zeitschrift-suburban.de). Die folgenden abstracts finden sich (mit etwas anderem Wortlaut) auch direkt im Artikel. Da Wissenschaft Meinungsverschiedenheiten impliziert, müssen die Beteiligten Wege finden, Auseinandersetzungen zu führen und zu gestalten. Der vorliegende Beitrag soll zeigen, dass dabei lange die Form wechselseitiger Kritik vorherrschte, inzwischen aber zunehmend das Prinzip organisierter Konkurrenz dominiert. Kritik wird tendenziell zum bloßen Mittel für Wettbewerbserfolg herabgestuft. Um diese These zu konkretisieren und zu belegen, werden zunächst Kritik und Konkurrenz als Formen sozialer Praxis eingeführt. In einem zweiten Schritt wird an geschichtlichen Episoden gezeigt, dass wissenschaftliche Kritik regelmäßig politische Unruhe oder systemische Störungen ausgelöst hat. Sie bedroht etablierte Autoritäten, kann sich mit politisch-sozialer Opposition verbünden oder wissenschaftliche Rationalität selbst in Frage stellen. Im dritten Schritt führt eine kleine Bestandsaufnahme neuerer Konkurrenzformen – Wettbewerbe um Forschungsmittel, Wettstreit um angesehene Publikationsorte, globale Hochschulrankings – zur finalen These: Kritik verliert in der Wissenschaft nicht zufällig an Bedeutung, vielmehr wird in vielen (anti-)mikropolitischen Prozessen ihr Störungspotenzial eingehegt. Auf den Erkenntnisprozess wirkt sich diese Störungsreduktion im Kern nachteilig aus. Since the social and natural sciences imply dissent, ways of waging and regulating conflicts have to be found. This paper argues that the prevailing practice of conflict has for a long time been mutual critique, whereas recently organized competition assumed the dominant role. Critique does not vanish, but is progressively turned into a means of achieving competitive success. In order to substantiate this thesis, critique and competition are first introduced as specific forms of social practice. In a second step, episodes from the history of Western science serve to show that scientific critique has always been on the verge of producing political unrest and social disruptions. It has threatened established authorities, cooperated with oppositional social movements, and questioned scientific rationality itself. In the last step I argue that the recent hegemony competition is (in parts) a reaction to this series of threats. In almost all forms of competition – contingent funding, impact-factor-mania, global rankings – traces of minimizing the disruptive potential of critique can be found. The effects on scientific progress and political rationality are nevertheless hardly favourable.