'Schopenhauers Erlösung' (original) (raw)
Weil er das inhärente Elend und Leid der Welt darstellte, ist Schopenhauer berühmt als der Philosoph des Pessimismus. Er ist auch bekannt als nihilistischer und militanter Atheist. Uns wird nahegelegt, dass Schopenhauer nicht an Gott glaubt und dass seine Weltauffassung für die Menschen wenig Hoffnung bietet. Tatsächlich wird oft angenommen, die Konsequenz seines Pessimismus bestehe in der Behauptung, unsere Existenz sei so elend, dass es besser für uns wäre, überhaupt nicht zu existieren. Ich versuche in diesem Artikel zu zeigen, dass es jedoch genau diese düstere Weltanschauung ist, die Schopenhauer zu einer ausgesprochen optimistischen soteriologischen Schlussfolgerung inspiriert. Schopenhauers Konzept der Erlösung wird oft als Bedingung des absoluten und dauerhaften NichtSeins, des Zustands totaler Vernichtung nicht nur des Selbst, sondern des gesamten Seins, interpretiert. Dieses Verständnis des Erlösungsbegriffs trägt zur gängigen Interpretation Schopenhauers als Nihilisten und als Philosophen der ultimativen Verzweiflung bei. So behauptet etwa Christopher Janaway, dass Schopenhauers abschließendes Urteil über den Wert der menschlichen Existenz in zwei miteinander verbunden Thesen enthalten ist: "that for each individual it would have been better never to have been born, and that the world as a whole is the worst of all possible worlds" (Janaway 1997, p. 323) 1 Ich werde versuchen, dieser orthodoxen Lesart eine optimistische Interpretation des Erlösungsbegriffs entgegenzustellen. Diese optimistische Interpretation eröffnet sich dann, wenn wir uns selbst von der Welt loslösen. Schopenhauers Philosophie endet im Mystischen und damit vielmehr mit Hoffnung anstelle von Verzweiflung. Ich werde argumentieren, dass die gewöhnliche körperliche Existenz des Menschen einen positiven Wert für 1 Christopher Janaway, Schopenhauer in Roger Scruton et al.: German Philosophers (Oxford University Press, 1997). Schopenhauer besitzt, ist sie doch notwendige Voraussetzung der Erlösung. Daraus ergibt sich, dass die Standardinterpretation, Schopenhauer ziehe die NichtExistenz der Existenz vor, falsch ist. Damit möchte ich allerdings nicht über die Düsterheit in Schopenhauers Philosophie hinwegtäuschen. Schopenhauer ist der Meinung, dass der Wesenszug des Empirischen und des Lebendigen ein abstoßendes Moment enthält. Alle diejenigen, die das Leben als etwas betrachten, das dankbar genossen werden sollte, sind entweder so geistlos und sentimental, dass sie nur der Verachtung würdig sind, oder fühlen sich dermaßen von der Realität ihrer Existenz bedroht, dass sie Trost in metaphysischen Illusionen suchen müssen. Allerdings lässt sich Schopenhauers metaphysisches System als Ganzes so verstehen, dass es in einer soteriologischen Vision eines (prinzipiell durch jedes menschliche Wesen erreichbaren) summum bonum kulminiert. Diese Deutung der Erlösung ergibt sich aus Schopenhauers Metaphysik und besonders aus seinem Pessimismus. Das erste Buch von Die Welt als Wille und Vorstellung beschreibt die empirische Welt als bloße Idee oder Repräsentation des Dings an sich, welches wiederum im zweiten Buch als fundamentale und alles hervorbringende Kraft oder Energie (Wille) identifiziert wird. Die Welt der Phänomene, die empirische Welt, erscheint als Objektivation des noumenalen Willens. Es gibt unterschiedliche Stufen dieser Objektivation: Naturkräfte, Sterne, Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen, Bewusstseinszustände etc. Individuelle Einzeldinge sind Kopien platonischer Ideen, die wiederum als Archetypen der die empirische Welt ausmachenden vielfältigen Besonderen verstanden werden können. Der Wille tritt in Form eines beständigen Strebens in die Sphäre des Menschen ein. Alle selbstbewussten Wesen sind durch ein permanentes und inhärent schmerzliches Wollen gekennzeichnet. Dieses Wollen ist eine hinreichende Bedingung des Leidens, weil jedes Streben notwendigerweise mit einem Bedürfnis oder Mangel verbunden ist. Ein Bedürfnis zu erfahren heißt jedoch zu leiden: Leben ist wollen; wollen ist leiden; demnach ist leben auch leiden. Die Natur als Ganzes ist destruktiv und amoralisch. In Anlehnung an die Idee einer gefallenen Welt verleiht Schopenhauer einem nihilistischen Hass auf das Empirische und einer gequälten Sehnsucht nach metaphysischem Trost Ausdruck. Er zitiert Paulus: "Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar." 2 Es gibt drei mögliche Auswege aus diesem unglücklichen Zustand. Der erste Weg überwindet durch die Betrachtung (guter) Kunst, durch die wir zumindest zeitweise die Illusion des Phänomenalen überkommen und unsere egozentrische Orientierung innerhalb der Welt verlieren können, die Trennung zwischen Subjekt und Objekt. Hier widerspricht Schopenhauer ausdrücklich Platon: Gute Kunst kopiert nicht die Einzeldinge, sie geht auf das Universelle. Der zweite Weg liegt im instinktiven Mitgefühl. Moralität überhaupt betrifft das Ding an sich und ist daher "incomparably more important than the physical which concerns only phenomena or representations". Die Moral offenbart "die Tiefen unsers eigenen Innern" (WWV, II, Werke, Band II, p. 676). Der dritte Weg betrifft das Leugnen des Willens bzw. die "Resignation", die Entsagung von Selbst und Welt. Hierunter versteht Schopenhauer die "endgültige Emanzipation" vom Willen und unsere "wahre Erlösung" -der Zustand, in dem wir zu dem kompletten Gegenteil werden, was wir sind, i.e. Nicht Wille. Demnach empfindet Schopenhauer Erfahrungsweisen, die die Auflösung der eigenen individuellen Subjektivität beinhaltet und so vom Leid befreien, als wertvoll.