Das Unsichtbarmachen von Macht. Angela Merkel in Brüssel (original) (raw)
Abstract
Das Unsichtbarmachen von Macht Martin Kohlrausch Ehrendoktorate zu vergeben gehört zur akademischen Routine und dass dabei nicht selten auch Politiker bedacht werden – in Löwen bereits die Kanzler Adenauer, Schmidt und Kohl und Bundespräsident v. Weizsäcker – ist alles andere als überraschend. Die Ausreichung eines Ehrendoktorats an Angela Merkel durch die Universitäten Löwen und Gent am 12. Januar 2017 war allerdings etwas Einmaliges. Trotz ihres langen Bestehens haben die zwei flämischen Universitäten solch einen gemeinsamen Akt noch nie vollzogen. Konsequenterweise fand das Ereignis dann auch nicht in Gent oder Löwen, sondern in einem ‚The Egg‘ genannten Veranstaltungszentrum im gegenüber dem der Bundeskanzlerin gut bekannten Europaviertel deutlich raueren Anderlecht statt. Wie meistens, erhofften sich auch diese Ehrenden, dass vom Glanz des bzw. der Geehrten etwas auf sie selbst zurückstrahlt. Auch ohne die Aura der Löwener Alma Mater im Hintergrund war das Brüsseler Event ein willkommener Auftakt für das Wahljahr an der KU Leuven und in Gent für die dortigen Jubiläumsfeierlichkeiten, die die Mühen der akademischen Ebene überstrahlen sollen. Diese ‚Rückstrahlung‘ ist ganz zweifellos geglückt. Das straff durchgetaktete Ereignis verlief reibungslos. Der belgische und der flämische Ministerpräsident feierten die Kanzlerin, ohne sich gegenseitig in die Quere zu kommen. Die beiden Rektoren spielten sich zwar nicht rhetorisch die Bälle zu, aber stellten sich auch nicht gegenseitig in den Schatten und ließen vor allem die unwahrscheinliche Biographie der Bundeskanzlerin scheinen. Angela Merkel wiederum bedachte beide Universitäten gleichermaßen mit Aufmerksamkeit (freilich ohne dabei auf die, milde formuliert, nicht ganz unproblematische deutsche Dimension in der Geschichte beider Hochschulen einzugehen). Aber in der immensen Medienaufmerksamkeit, die das Ereignis zumindest in Flandern generierte, stand natürlich etwas ganz anderes im Vordergrund als die Geschichte oder selbst die Universitäten. Merkels Auftritt wurde als genuin politisches Ereignis wahrgenommen. Für den am politischen Zeremoniell des Europa des 19. Jahrhunderts geschulten Historiker bietet der Auftritt der Bundeskanzlerin zunächst allerdings eine tiefgreifende Ernüchterung. Dies gilt für das oft beschriebene betont unauffällige Äußere der Kanzlerin – daran konnte auch die Toga nicht viel ändern. Das gilt aber vor allem für die Abwesenheit jeglicher rhetorischer Überwältigungsgesten. Merkel scheint noch immer gerade eben aus ihrem Labor der Akademie der Wissenschaften der DDR zu kommen und sie spricht so, wie es der politisch etwas versiertere Institutsdirektor auch könnte. Zumindest scheint es so. Denn diese Nüchternheit kann eine erstaunliche Kraft entfalten und hat dadurch auch einen politischen Kern. Vielleicht haben die letzten Jahre mit Merkel auf den Titelseiten amerikanischer Magazine und François Hollande mit seinem verzweifelten, spektakulär gescheiterten Versuch, in die Welt zu rufen, was „un président ne devrait pas dire“ gerade dies gezeigt. Die äußere Repräsentation der enormen Machtfülle in Frankreich gleicht einem Käfig, der wen auch immer darin sitzt, unerhört einschränkt, gerade wenn der Präsident, so wie Hollande, ostentative Normalität öffentlich ausstellen will. Das Kanzleramt, verstanden nicht Sinne des Gebäudes, lässt dessen Inhaber dagegen ganz andere Möglichkeiten der Anpassung und Öffnung nach außen. Dieser Gedanke lässt sich noch etwas weiter spinnen. Die Gesichter der meisten im ‚Egg‘ Anwesenden begleiteten den Auftritt der Kanzlerin mit einem lang anhaltenden Lächeln. Ganz offensichtlich konnte die Bundeskanzlerin die allermeisten für sich einnehmen. An den vage bleibenden politischen Botschaften – deren kaum sichtbare Kerne auch nicht alle im Publikum unterschreiben würden – kann das nicht gelegen haben. Vielmehr schafft es Merkel Authentizität auszustrahlen und vor allem zu vermitteln. Authentizität wird heute noch mehr beschworen als früher. Gleichzeitig ist sie ein extrem rares Gut. Zwei der Großtrends der medialisierten Politik der vergangenen Jahre sind an der Bundeskanzlern offenbar großenteils vorbeigegangen. Erstens der ‚spin‘, den die wahrscheinlich überschätzten, einschlägig arbeitenden ‚doctors‘ Tony Blair oder Gerhard Schröder verliehen – es sei denn, man begreift gerade dies als bewusst herbeigeführt und stilisiert. Noch auffallender ist der Verzicht auf etwas zweites. Nicht zuletzt als backlash nach dem durchschlagenden Erfolg von PR-Beratern mitkreierter Politikerfiguren trat mit Donald Trump eine neue Variante auf, die schlicht alle bis dahin etablierten Regeln durchbrach (und gleichzeitig nur funktionieren konnte, weil diese Regeln bestanden). Trump und andere Populisten haben auf die überzüchtete politische Repräsentation durch den nicht einmal mehr kalkulierten Regelbruch reagiert – und von der im wahrsten Sinne des Wortes kostenlosen Aufmerksamkeitsgenerierung, die ihnen dieser verschafft, profitiert. Für dieses Phänomen wird man auch in Belgien und Deutschland leicht Beispiele finden, in der Brüsseler Rede der Bundeskanzler allerdings nicht. Merkel sprach bewusst nicht für das Volk, sie verwies vielmehr auf die Notwendigkeit, dass die Bevölkerung lernen müsse, anders über Politik nachzudenken. Merkel tat nicht einmal mehr so, als hätte sie großartige Ideen, sondern sprach länger als für eine Demutsgeste nötig über eigene Fehler. Ist dies nun ein genialer Schachzug, der durch ausgestellte Verwundbarkeit gerade unverwundbar macht? Ist das Unsichtbarmachen von Macht, der Verzicht auf ‚Ansagen‘, die noch bei Gerhard Schröder unabdingbarer Teil seiner politischen Persona waren, sogar die Bedingung der Möglichkeit einer ‚sanften‘ deutschen Hegemonie? Trotz aller Opposition gegen letzteres außerhalb und vielleicht noch mehr innerhalb Deutschlands ist es schwierig diesen Begriff in der Beschreibung außen vor zu lassen. Bei allem Wissen um die eigenartige Logik der Massenmedien fällt auf, dass ein aus engerer politischer Sicht belangloses Ehrendoktorat die flämischen Medien mehrere Tage und sehr tiefgehend beschäftigen konnte, während selbst die deutschen Qualitätszeitungen nur mit einer Randnotiz reagierten. Hat sich hier eine neue europäische Öffentlichkeit herausgebildet mit Berlin als Zentrum und Merkel als thematischer Schrittmacherin und Anker politischer Kommunikation im neuen Europa? Selbst wenn diese Beschreibung stimmen sollte, dann fasst sie doch allenfalls eine Momentaufnahme. Der universitäre Huldigungsakt in Brüssel war kein Triumph, in dem sich Universitäten, Politikerin und Publikum selbst feierten. Es war eine unsichere Selbstvergewisserung, bei der, wenn man die Zwischentöne von Merkels Rede nimmt, die Bundeskanzlerin nicht recht mittun wollte. Die manifesten Erwartungen an Merkel und damit – wie auch immer genau – auch an Deutschland müssen für jeden ‚aufgeklärten‘ Deutschen der Nachkriegsgenerationen befremdlich und auch verunsichernd wirken. Das ‚Line-up‘ wichtiger belgischer Politiker in den ersten Reihen des ‚Egg‘ zeugt von einem intensiven Blick nach Osten, dem aber dort kaum ein Bewusstsein für die zugrundeliegenden Erwartungen entspricht. Mehr noch, das Lächeln im Auditorium kontrastierte mit einigen sehr ernsten und pessimistischen Bemerkungen Merkels. Der Grundton ihrer Rede war ein, ‚es wird alles anders werden‘ und es ist unwahrscheinlich, dass dieses Andere besser sein wird. Die Biographie Merkels, die die beiden Rektoren so stark in den Mittelpunkt rückten, legt nahe, dass die Kanzlern dafür vielleicht besser gewappnet ist als das Publikum. Der langanhaltende Beifall für Merkel schien eher zu suggerieren, dass das Publikum hofft, dass die Tatsache, dass auch Merkels ungewöhnliche Biographie ins Bundeskanzleramt führen kann als Zeichen einer neuen Zeit ausreicht. Der Applaus überdeckte auch das Gefühl, dass die beiden Universitäten die Bundeskanzlerin auf ihrem Höhepunkt nach Brüssel gelockt haben, während östlich der Maas ein Deutschland wartet, in dem viele alte Gewissheiten nicht mehr gelten, wohl aber die eine, dass bisher noch alle Bundeskanzler unfreiwillig aus dem Amt geschieden sind und ein wirklich souveräner Abgang keinem der Vorgänger Merkels vergönnt war.