Was der Welt verloren geht (original) (raw)

Wo bleibt der Aufschrei im Westen über die drohende Zerstörung von Palmyra durch den IS? Die Stadt war einst eine Metropole und gemahnt an das vielfältige Erbe, das der Weltgemeinschaft verloren ginge, wenn die Islamisten in Palmyra wüten dürfen. Nimrud-Hatra-und jetzt Palmyra. Orte, mit denen die Öffentlichkeit im Westen wenig bis nichts verbindet, absolvieren dieser Tage traurige Kurzauftritte in den trüben Nachrichten aus dem Nahen Osten. Stätten, die das Bildungssystem der europäischen Länder, in dem Antike kaum noch vorkommt, bereits dem Vergessen anheim gegeben hat, werden ihm für kurze Momente entrissen, seit das Berserkertum des selbstproklamierten "Islamischen Staates" (IS) sie mit Dynamit vom Erdboden sprengt. Ausgerechnet die Horden, die das Inventar von Museen mit Brechstangen kurz und klein schlagen und Steingesichter, die Jahrtausende überdauert haben, mit den Geschossgarben ihrer Schnellfeuergewehre pulverisieren, erinnern das Abendland für einen Moment daran, dass seine Geschichte weiter zurückreicht als bis zur Französischen Revolution, weiter auch als bis zu Karl dem Großen. Nimrud, Hatra, Palmyra-Namen, die, im deutschen Geschichtsunterricht wenigstens, keiner mehr nennt, auch kaum jemand kennt. So durfte man selbst in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vom 18. März 2015 lesen, bei Hatra habe es sich um eine "assyrische Stadt" gehandelt. Aufklärung tut bitter Not, denn hinter jedem der drei Namen verbirgt sich eine Stadt, die einmal Metropole war und Geschichte schrieb. Nimrud war das politische Gravitationszentrum eines mächtigen Staates, so wie heute Washington oder Peking; Hatra ein Anziehungspunkt für Scharen von Pilgern, so wie heute Rom, Jerusalem oder, ja, Mekka; Palmyra eine Handels-und Wirtschaftsdrehscheibe, so wie heute London oder New York. Nur, wer um die Bedeutung dieser Orte für lange vergangene Epochen weiß, kann ermessen, was der Welt gerade verloren geht. Zwischen Mittelmeer und Tigris stirbt vor unser aller Augen das kulturelle Gedächtnis der Menschheit. Nimrud: Zentrum eines Weltreichs Im Januar 2015 legten IS-Milizionäre Teile der Mauern von Ninive, einer assyrischen Ruinenstadt am Tigris, gegenüber von Mossul, in Schutt und Asche. Wenig später planierten die Rebellen im syrischen Rakka die ursprünglich aus dem türkischen Arslanta stammende Kolossalstatue eines Löwen. Am 26. Februar tauchte im Internet ein Video auf, das die Zerstörung der noch im Museum von Mossul verbliebenen assyrischen Kunstwerke durch Angehörige des IS zeigt. All das ließ nichts Gutes ahnen für andere Kulturgüter, die sich im Einflussgebiet des IS befinden. Tatsächlich brauchte die Welt nicht lange zu warten, bis neue Bilder von mutwilligen Zerstörungen im Internet die Runde machten. Vermutlich am 5. März rückten die IS-Männer Nimrud, dem alten Kalchu bzw. Kalach der Bibel, mit Bulldozern und Sprengstoff zu Leibe.