(1998) Heimat in Holland, Deutsche Dienstmädchen 1920-1950 (original) (raw)

Zwischen den beiden Weltkriegen kam eine große Anzahl weiblicher Arbeitsmigranten in die Niederlande. In der Berufsstatistik des Jahres 1920 wurden insgesamt 9.100 Frauen als ausländische Berufstätige aufgeführt. 1930 gab es 30.500 dieser Frauen, unter ihnen gut 24.000 deutscher Nationalität. Diese Zahl stieg bis 1934 noch auf 40.000 an, verringerte sich aber bis zum Kriegsausbruch in den Niederlanden im Jahre 1940 auf einige Tausende. Die Einreise und der Aufenthalt der deutschen Frauen erregten die Gemüter sehr. Sowohl von privater als auch von behördlicher Seite wurden Maßnahmen zur Förderung der Vermittlung und der Aufnahme deutscher junger Frauen getroffen. Spätere Maßnahmen zielten auf eine Einschränkung ihres Aufenthaltes in den Niederlanden ab. Die Presse verfolgte diese Entwicklungen mit großem Interesse. Auch niederländische Schriftsteller wurden immer wieder von diesen vor allem als Dienstmädchen tätigen Frauen inspiriert (wie zum Beispiel Else Böhler von Vestdijk). In geschichtswissenschaftlichen Veröffentlichungen findet dieses Thema jedoch kaum Beachtung. Nicht nur das Ausmaß, sondern auch der spezifische Charakter dieser massenhaften Migration junger, unverheirateter, deutscher Frauen rechtfertigt eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema. Angesichts der massenhaften Einwanderung deutscher Mädchen stellen sich die Fragen, warum sie aus Deutschland auswanderten, wie in den Niederlanden auf ihre Einwanderung und ihren Aufenthalt reagiert wurde und wie sie sich hier zurechtgefunden haben. Die Kombination aus schriftlichen Quellen und persönlichen Erinnerungen ehemaliger, deutscher Dienstmädchen <196> auch Oral History genannt <196> ermöglicht eine Analyse der Frage, wie sich die allgemeinen Entwicklungen im wirtschaftlichen, politischen und sozial-kulturellen Bereich auf die individuellen Lebensgeschichten einwirkten und wie die betroffenen Frauen damit umgegangen sind. Das Buch ist chronologisch und thematisch gegliedert. Nach der Einleitung (Kapitel 1) widmet sich Kapitel 2 den Umständen, die zahlreiche, ledige Frauen dazu brachten, selbständig für einen unsicheren Aufenthalt in einem fremden Land aus Deutschland auszuwandern. Außer den wirtschaftlichen Verhältnissen, die eine wichtige Rolle spielten - und die in der einschlägigen Literatur als Push- und Pull-Faktoren umschrieben werden - wird dem persönlichen Kontext der betreffenden Mädchen Aufmerksamkeit geschenkt. Mit den wirtschaftlichen Entwicklungen läßt sich zwar der allgemeine Trend erklären, nicht aber die jeweils individuelle Entscheidung für Emigration. Diese wurde vor allem durch Vorstellungen und Erwartungen von Leben und Arbeit in den Niederlanden bestimmt. Dieses Kapitel beschäftigt sich auch mit der moralischen Unruhe und den unterschiedlichen Maßnahmen in bezug auf die grenzüberschreitende Mobilität lediger Frauen und Mädchen. Das dritte Kapitel beschreibt die Arbeitsverhältnisse der eingewanderten deutschen Mädchen. In erster Linie waren die meisten von ihnen als Dienstmädchen tätig. Es werden die Umstände untersucht, unter denen sie sich in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen oder aber sich ausgeschlossen fühlten. Ein prekäres Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz prägte das persönliche Arbeitsverhältnis der Dienstmädchen im Haushalt. Darüber hinaus wird die unterschiedliche Position deutscher Dienstmädchen im Vergleich zu ihren niederländischen Kolleginnen untersucht. Das Leben deutscher Dienstmädchen in den Niederlanden beschränkte sich nicht nur auf den Haushalt; sie waren auch außerhalb dieses Bereiches aktiv. Das Thema des vierten Kapitels betrifft die Auffassungen und Aktivitäten der niederländischen und vor allem auch der deutschen, konfessionellen Mädchenvereine und die diesbezüglichen Erfahrungen der deutschen Dienstmädchen. Hier wird die Frage erörtert, inwieweit die deutschen Vereine eine Integration der Mädchen ermöglichten, indem sie ihnen eine vertraute Umgebung boten, oder ihre Integration in die niederländische Gesellschaft gerade beeinträchtigten, indem sie sie innerhalb einer deutschen Frauenwelt von der niederländischen Umgebung absonderten. Die außerberuflichen Aktivitäten der deutschen Dienstmädchen stehen auch im Mittelpunkt des fünften Kapitels. Außerhalb der sicheren Geborgenheit der Mädchenvereine gab es viele andere Möglichkeiten der gemeinsamen Freizeitgestaltung für deutsche Dienstmädchen. Eine aufblühende Jugendkultur bot in diesen Jahren Gelegenheit für einen individuellen Lebensstil und eine breite Skala an Identifikationsmöglichkeiten in Jugend-, Sport-, Gesang- und Theatervereinen, Tanzdielen und Kinos. Dies bewirkte eine Annäherung der Geschlechter und förderte den Kontakt zwischen gleichaltrigen deutschen und niederländischen Mädchen. Im sechsten Kapitel wird das Thema der wirtschaftlichen Entwicklungen wieder aufgegriffen. Sind diese Entwicklungen doch die bedeutendsten Beweggründe der Berufstätigkeit deutscher junger Frauen in den niederländischen Haushalten. Es werden die Folgen der Wirtschaftskrise und der wachsenden Erwerbslosigkeit in den dreißiger Jahren für die Position deutscher Dienstmädchen auf dem niederländischen Arbeitsmarkt besprochen. Die verbesserten Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt beeinflußten ihre wirtschaftliche Lage in den Niederlanden in dem Sinne, daß sie die Rückkehr nach Deutschland förderten. Kapitel 7 beschäftigt sich mit der Rolle der deutschen Mädchenvereine nach 1933, die sich immer stärker am deutsch-nationalen Gedankengut und am `neuen' Deutschland orientierten. Dies hatte auch für die deutschen Dienstmädchen in den Niederlanden Folgen. Das achte Kapitel zeigt auf, wie das Nazi-Regime sie ab Dezember 1938 zwang, unmittelbar nach Deutschland zurückzukehren. Die Frauen, die dem Druck des deutschen Regimes widerstanden, wurden in den Niederlanden als `zuverlässig' betrachtet. Dies änderte sich rasant, als die Kriegsdrohungen zunahmen. Demzufolge stiegen die Spannungen zwischen den Niederländern und den gebürtigen Deutschen an, und wurden Gegensätze unvermeidlich. In diesem Kapitel wird der Untersuchungsgegenstand erweitert. Die Hauptdarstellerinnen sind nicht nur die deutschen Dienstmädchen, sondern auch die gebürtigen deutschen Frauen, die nach ihrer Tätigkeit als Dienstmädchen durch eine Heirat die niederländische Staatsbürgerschaft erworben hatten und jetzt niederländische Hausfrauen waren. Als gebürtige Deutsche wurden sie, angesichts des drohenden Krieges zwischen dem dritten Reich und den Niederlanden, alle mit einer Situation konfrontiert, in der ihre nationale Identität erneut konstruiert wurde und eine zentrale Bedeutung erhielt. Die deutsche Besatzung brachte die (ehemaligen) deutschen Dienstmädchen in eine schwierige Lage: Man war entweder deutsch oder niederländisch. Ihre Loyalität der niederländischen Gesellschaft gegenüber wurde von Anfang an angezweifelt. Die Besatzungsmacht forderte von den (ehemaligen) deutschen Dienstmädchen eine `deutsche' Gesinnung, während die Niederländer ihnen mit Mißtrauen entgegentraten (Kapitel 9). Die Frauen drohten in die Isolation zu geraten. Der Druck, dem sie unter diesen Umständen ausgesetzt waren, war sehr groß. Indem man den Dienstmädchen nahezu automatisch eine deutsche Gesinnung unterstellte, schloß man andere Identifikationen und Loyalitäten voreilig aus. Überdies wollte man nicht sehen, daß eine Heimatverbundenheit nicht zwangsläufig dem Gutheißen des jeweiligen Regimes gleichzusetzen ist. Dennoch boten sich individuellen Frauen mehrere Möglichkeiten, auf diese Anfeindungen zu reagieren. Thema des zehnten Kapitels sind die keineswegs fließenden Grenzen zwischen `niederländisch-gut' und `deutsch-häßlich'. Die Zählebigkeit dieser allzueinfachen Aburteilung macht den ehemaligen deutschen Dienstmädchen bis auf den heutigen Tag zu schaffen. Frauen, die als Dienstmädchen in die Niederlande einwanderten, wurden seit dem Zweiten Weltkrieg mit Stereotypen des Deutschen und Deutschlands konfrontiert. Dieses Buch soll auch der Versuch sein, den Weg zu einem Bild, das vielseitiger und menschlicher ist, aufzuzeigen. Übersetzung: Jutta Dalhoff und Esther Koch.