„Everything is connected“. Zum Plastikbegriff des frühen 21. Jahrhunderts – am Beispiel von Matthew Barney und Pierre Huyghe (original) (raw)

„Life in plastic – it’s fantastic“. Roland Barthes und der Mythos vom Plastik als unendlich formbarem Material

Bildbruch, 2021

Seine Formbarkeit ist dem Plastik bereits im Namen eingeschrieben, meint die griechische Wortwurzel plastikós doch das, was zum Bilden und Formen geeignet ist. 2 Doch ‚Plastik'-das sind eigentlich zwei Wörter. Diese unterscheiden sich zwar nur in ihrem grammatischen Geschlecht respektive im vorangestellten Artikel, in ihren Konnotationen liegen sie aber umso weiter auseinander. Das Plastik als amorphes Material trägt die Möglichkeit seiner Formung nur potenziell in sich, geht aber mit dem Versprechen einher, jede nur erdenkliche Form anzunehmen zu können. Die Plastik hingegen hat ihre Formung bereits hinter sich gebracht und wurde in dieser Aktualisierung perfektioniert. Im Plastik-Text der Mythen des Alltags wird la plastique von Roland Barthes zur Gänze verschwiegen; 3 und so soll in der Folge nur von le plastic die Rede sein. Kaum ein anderes Material fand in der Warenwelt der Nachkriegszeit größere Verbreitung, kaum ein anderes Material zog aber auch solch vielfältige Deutungen und Wertungen auf sich, sodass mehrere alltagsmythologische Konstellationen darauf aufbauen. Das Plastik ist eine kulturelle Chiffre der Moderne in all ihren Facetten. Barthes' Plastik. Das Phantasma des unendlich formbaren Materials Ausgangspunkt von Roland Barthes' Überlegungen zum Plastik ist eine Messeausstellung, die als performative Bühne jene technisch-industriellen Produktionsprozesse präsentiert, die in den Fabrikhallen normalerweise vor den 1 Aqua 1997. Einzelne Gedanken dieses Aufsatzes finden sich bereits in der Folge 21-"Plastik!"-des Literaturpodcasts "Nachlese" (2020) von Sina Dell'Anno und Jodok Trösch, https://podcasts.apple.com/ podcast/plastik/id1503925797?i=1000477008014 [17. Juni 2021]. Für Ideen und Anregungen danke ich Janneke Meissner. 2 Der Begriff führt sich etymologisch auf das griechische Adjektiv plastikós zurück: "zum Bilden, zum Formen geeignet" (vgl. Art. ‚Plastik', in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, www.dwds.de/wb/etymwb/Plastik [12.05.2021]); verwandt damit ist auch der technische Begriff der Plastizität. Vgl. auch Meikle 1995, 4: "In Greek the verb πλασσειν (plassein) meant to mold or shape a soft substance like clay or wax; the adjective πλαστικος (plastikos) referred to something capable of being molded or shaped." 3 Mahr 2000 vermutet darin eine gezielte Provokation der bildungs-und kulturbeflissenen französischen Bourgeoisie.

Stoffe sehr verschiedener Art … im Spiel … in eine neue, sprunghafte Beziehung zueinander setzen‘. Komplexität als historische Textur in Kleiner Prosa der Synthetischen Moderne (1925-1955)

Kleine Prosa. Eds. Thomas Althaus/Wolfgang Bunzel/Dirk Göttsche. Tübingen: Niemeyer, 2007

Thomas Althaus Ungebunden, ungekünstelt?-Kleine Prosa um 1770 3 Giulia Cantarutti Zu den großen Zusammenhängen der Kleinen Prosa 25 Detlef Kremer Skeptische Fragmente. Über den Zusammenhang von Skepsis und Fragment in der Spätaufklärung Matthias Schöning Der >Dialekt der Fragmenten Möglichkeiten und Grenzen fragmentarischen Schreibens in der Perspektive Friedlich Schlegels Christian Jäger Vom Sudelbuch zum aphoristischen Zeitalter. Über den Funktionswandel der aphoristischen Produktionen zwischen Lichtenberg und Feuchtersieben Michael Neumann »Totaleindruck« und »einzelne Theile«. Kleine Prosa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Primus-Hein£ Kucher Genrebilder und Brief-Korrespondenzen in österreichischen Zeitschriften/Anthologien vor und um 1848 und deren Relevanz füir das Textfeld >Kleine Prosa< 105 VI

Barthes ueber Plastik oder: Das Nachleben eines Kunststoffs

Erscheint Anfang 2014 in: Mythologies -Mythen des Alltags. Roland Barthes' Klassiker der Kulturwissenschaften (hrsg. von Anne-Kathrin Reulecke und Mona Körte, Kadmos Berlin). Roland Barthes Text Plastik weist eine erstaunliche Zeitlosigkeit auf. Der als rätselhaft eingeführte Kunststoff wird auf eine Weise beschrieben, dass der Text in beiderlei Richtungen aktuell erscheint -sowohl im Blick auf seine Vergangenheit als auch auf seine Zukunft. Plastik war in den 1950er Jahren, als Barthes darüber reflektierte, ein schon mehr als hundert Jahre altes, in verschiedenen Ausprägungen entwickeltes Material und bot doch Neues, was seine Anwendbarkeit betraf -und genau diese Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem bringt der Text zum Ausdruck. Geschichte Schon mit dem ersten Satz seiner "Mythologie" verweist Barthes das Plastik auf den Kontext, der als sein historischer Ursprung gilt und noch Jahrhunderte später in ihm fortwirkt: "Trotz seiner griechischen Hirtennamen (Polystyren, Phänoplast, Polyvinyl, Polyäthylen) ist das Plastik, dessen gesammelte Produkte jüngst auf einer Messe ausgestellt wurden, in erster Linie eine alchimistische Substanz" 1 . Die Spannung zwischen der griechischen Namensgebung und der neueren Alchimie wird von Barthes zwar deutlich benannt, aber nicht weiter erläutert, für ihn hat der Kunststoff vor der Frühen Neuzeit keine nennenswerte Entwicklung gemacht. Auch die wohl älteste überlieferte Quelle zur Herstellung eines künstlichen Stoffes geht zurück auf die Zeit um 1530 und damit auf die Blütezeit der Alchimie. Wolfgang Seidel, deutscher Mönch und Verfasser wissenschaftlicher Schriften, erfuhr von einem Schweizer Kaufmann die geheime Rezeptur, die es erlaubte, eine "durchsichtige materi" 2 zu schaffen. Dieses künstliche Rinderhorn war haltbarer als Holz, das schnell faulte und fester als Horn, 1 Roland Barthes: Mythen des Alltags. Vollständige Ausgabe. Übers. von Horst Brühmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2010, S. 223. (Weitere Nachweise mit Angabe der Seitenzahl direkt im Text.) 2 Udo Tschimmel: Die Zehntausend-Dollar-Idee. Kunststoff-Geschichte vom Zelluloid zum Superchip. Düsseldorf u.a.: ECON Verlag 1989, S. 10. das sich leicht wölbte. Darüber hinaus schien es im Vergleich zu den damals verwendeten Stoffen, wie dem getrockneten Krötenlaich oder dem verdünnten Ochsenblut, von recht einfacher Natur: Sein Grundstoff war Mager-oder Ziegenkäse. Die Anfertigung wurde von Seidel so genau beschrieben, dass sie sich noch heute leicht kopieren ließe. Zu guter Letzt − und auch damit nahm der frühe Käsekunststoff das spätere Plastik vorweg − schreibt er: "Wenn man es richtig gemacht hat, kann man damit Tischplatten, Trinkgeschirr und Medaillons gießen -also alles, was man will." 3 Diese Omnipotenz des künstlichen Materials bewog Barthes dazu, es zu entmaterialisieren: Plastik ist "nicht nur eine Substanz, es ist die Idee ihrer unendlichen Transformation", mehr noch, es ist "ein wunderbarer Stoff" denn "ein Wunder ist immer eine plötzliche Transformation der Natur" (223). Die Magie war zur Zeit Barthes längst den exakten Wissenschaften gewichen, Chemiker hatten die Alchimisten ersetzt und entwickelten seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprunghaft immer neue, manchmal einander ähnelnde, oft gefährliche künstliche Stoffe. Industrialisierung und Technisierung hatten zu einer Wissenszunahme beigetragen, die durch Patentierung geschützt und zugleich zugänglich gemacht wurde. Schließlich waren die Herstellungsverfahren Teil der Faszination, die die neuen Kunststoffe auslösten. Wenn nicht die Erfinder selbst, so führten Schausteller auf Jahrmärkten die chemischen Reaktionen vor, meist begleitet von sachlichen Enthüllungen der scheinbar übernatürlichen Vorgänge. Doch all das hielt Barthes nicht davon ab, die Herstellung von Plastik statt als rationalen, nachvollziehbaren Prozess als "magische Operation par excellence" aufzufassen. Es waren nicht die klaren chemischen Reaktionen, die ihn faszinierten, sondern die opake "Verwandlung der Materie". Ihn schien nicht die durchaus bewundernswerte Produktionsweise der Kunststoffe zu interessieren, sondern ihre Wirkung, ihre unbändige Verwandlungskunst. Und damit traf er die Stimmung seiner Zeit genau auf den Punkt. Um Plastik als "Schauspiel" zu bestaunen, standen Menschen Schlange vor der Ausstellung einer "idealen Maschine" (223), in deren Innerem sich das geheimnisvolle Geschehen der Plastifizierung vollzog. Mit dieser Beobachtung versetzt uns Barthes mitten hinein ins 19. Jahrhundert, in welchem sich eben solche Schlangen am Eingang zu den Hallen der Weltausstellungen bildeten, um 3 Ebd. S. 13 3 neue Materialien wie Gummi oder Parkesin zu bewundern. Damals standen ebenfalls nicht die Herstellungsverfahren im Vordergrund, aber auch nicht die Maschinen, sondern die Stoffe selbst: 1851 war der so genannte "Vulcanite Court" auf der "Großen Ausstellung" in London komplett mit vulkanisiertem Gummi ausgekleidet, so dass die Objekte aus demselben Material sich zudem kaum vom Hintergrund abhoben: Gummispazierstöcke, Gummimusikinstrumente, Gummimöbel, riesige Gummiballons von zwei Metern Durchmesser und ein überdimensioniertes Rettungsfloß aus Gummi versetzten die Besucher in Staunen. Während Gummi noch aus haltbar gemachtem, vulkanisiertem Naturkautschuk bestand, kam zehn Jahre später das erste gänzlich im chemischen Labor geschaffene Material auf: Parkesin. 1862 stellte sein Erfinder Alexander Parkes auf der "Großen Internationalen Ausstellung" in London den Alleskönner mit atemberaubenden Versprechungen vor: Parkesin sollte einsetzbar sein für "Medaillons, Tabletts, Schüsseln und Töpfe, Rohre, Knöpfe, Kämme, Messergriffe, […], Kartenbehälter, Kästen, Schreibstifte […]" 4 ; es sollte "Schiffsanstriche seewasserfest machen; […] die junge Telegrafie beflügeln, indem es […] ihre Drähte gegen die Witterung schützte"; und schließlich sollten mit Parkesin "Kunstwerke überzogen werden" 5 . Der alchimistische Traum von der Schaffung einer neuen Substanz schien sich nun zumindest teilweise erfüllt zu haben -wenn Plastik auch keine lebendige Substanz war, sondern eine, die nur so lange formbar blieb, wie sie erhitzt wurde und versteifte, sobald die Hitze nachließ. Dieses Versteifen brachte Roland Barthes zu der Beobachtung, dass Plastik "kaum noch als Substanz existiert" und sich nur "zwischen der Dehnbarkeit von Gummi und der kategorischen Härte von Metall" (224) einordnen lässt. Für Parkes führte das Versteifen zu einer Brüchigkeit des Kunststoffs, die ihn trotz seiner hellseherischen Ideen in den Ruin treiben sollte. Ungeachtet dieses -nicht seltenen -Scheiterns eines neuen Materials kam es im Laufe der nächsten Jahrzehnte zu unzähligen weiteren Erfindungen von Kunststoffen, wie Zelluloid, Bakelit, Polymeren, Plexiglas, Nylon, Perlon, Polyester usw., die Parkes' Vorstellungen weitgehend realisierten. Bis zum Zweiten Weltkrieg hatten sich Kunststoffe durchweg als positiv besetzte Materialien etabliert: Sie wurden zu Ersatzstoffen für die Bekleidungsindustrie, der die Rohstoffe ausgingen (Polyester statt Seide); zu Luxusgütern, die auch für das wachsende Bürgertum 4 Ebd., S. 22. 5 Ebd., S. 25. Glanz der Welt" (225). Was das Plastik zu einem demokratischen und umweltfreundlichen Material gemacht hatte, die Reproduktion seltener Rohstoffe, schien nun nicht mehr im Vordergrund zu stehen. Die Plastik-Entwickler orientierten sich statt an anderen Materialien, an ihren potentiellen Einsatzmöglichkeiten, nicht mehr am kunstvollen Rohstoff, sondern an seiner Verwendung. Damit zielte "zum ersten Mal […] das Künstliche aufs Gewöhnliche, nicht auf das Seltene" (225). Statt Schmuck unter die Leute zu bringen, wurde allerhand Nippes verbreitet. Dies erscheint zunächst banal, eine nahe liegende Entwicklung angesichts des zunehmenden Massenkonsums. Doch Barthes schließt hieraus auf etwas Großes: eine Veränderung im Hinblick auf die "Funktion der Natur" -"sie ist nicht mehr die Idee, die reine Substanz, die es […] nachzuahmen gilt" (225). Die Ausbreitung von Plastik als alltäglichem Gebrauchsgegenstand zeigte ihm, dass dieser Kunststoff die Natur noch zu überbieten suchte: "Im Grenzfall wird man Gegenstände erfinden allein aus dem Vergnügen, sie zu verwenden". (225) So wie es für die zahllosen Tupper-Behälter mit luftdichten Deckeln in der Natur kein Vorbild gab und auch nicht für all die teuren Designobjekte aus Plastik, die Mitte der 50er Jahren begannen, die Wohnwelten zu überschwemmen. In der Nachkriegswirklichkeit entstanden künstliche Welten, und nicht nur das -auch der Mensch war in Teilen zumindest künstlich geworden. Roland Barthes faszinierte und irritierte das: "Die ganze Welt kann plastifiziert werden, auch das Leben selbst, denn angeblich beginnt man bereits, Aorten aus Plastik herzustellen". (225) Kunst Mit der Idee des Lebens veränderte sich aber auch die Idee der Kunst. Geradezu parallel zu der Entwicklung der Kunststoffe wandelten sich auch die Stoffe, die in der Kunst Verwendung fanden. So wie Plastik in den 50er Jahren im Alltag nicht mehr ewig haltbare Rohstoffe imitierte, also kein Ersatzstoff mehr für besondere und wertvolle Stoffe war, so wenig tauchten diese wertvollen Stoffe in der Kunst noch auf. Kamen hier zuvor Materialien wegen ihrer Wertigkeit und ihrer Haltbarkeit zum Einsatz, verschwanden sie nach dem 2. Weltkrieg aus der Kunst. Nun hätte Plastik -so würde man erwarten -als das wohl haltbarste Material der Zeit diese durchaus verdrängen können. Statt aber die wertvollen Materialien in der Kunst der Nachkriegszeit abzulösen, trug das Plastik zu einem neuen Kunstbegriff bei, der weniger an materiellen Werten orientiert war. 7 Monika Wagner beschreibt diesen Prozess ausführlich: Von einem System der Künste, das noch bei Hegel die Kunstgattungen hierarchisch entsprechend ihrer materiellen Gebundenheit ordnete, war man über die Materialgerechtigkeit des 19. Jahrhunderts dann Anfang des 20. Jahrhunderts auf "die Vision von der Materialüberwindung" 7 gekommen,...

Tradition und Innovation. 3.0:// Das Forschungsarchiv in den Jahren 1990–2000, in: PAUL SCHEDING – MICHAEL REMMY (Hrsg.), Antike Plastik 5.0: // 50 Jahre Forschungsarchiv für antike Plastik in Köln (Köln 2014) S. 33-42.

LIT GRUSSWORT Artefakte und Architekturen anderer Kulturen -älterer oder fremder -auch ohne den Augenschein des Originals visuell vorrätig zu halten, um so Anhaltspunkte für das Verhältnis der eigenen Kultur zu ihrer Überlieferung und ihren Grenzen zu gewinnen, ist ein Anliegen, das sich seit langem auf die technische Entwicklung der Reproduktionsmedien auswirkt. Für diejenigen Wissenschaften, die ihre Fragen -wenn auch nicht ausschließlich, so doch in erheblichem Maße -in Auseinandersetzung mit Objekten entwickeln, ist eine derartige Datenhaltung geradezu existenziell. An der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln sind wir stolz darauf, auf dem Gebiet der digitalen Datenhaltung in den Geisteswissenschaften in mehreren Disziplinen führend zu sein. Von den objektbasierten Projekten ist das Forschungsarchiv für antike Plastik oder, wie es heute heißt, Cologne Digital Archaeology Laboratory (CoDArchLab) eines der ältesten und bekanntesten.

Alles ist miteinander verbunden

euangel, 2020

Was können wir in Deutschland von der Amazoniensynode lernen? Ausgehend vom ökologischen Grundgedanken der Interrelationalität weist Stefan Silber auf eine christologisch begründete globale Ökologie, auf die Perspektive der Armen, die bereits heute unter den Folgen der ökologischen Katastrophe leiden, und auf den Dialog mit den nichteuropäischen Kulturen hin. Problematisch ist jedoch das Ausbleiben einer Kritik des Patriarchats.

Westermann, A. (2008). "Die Oberflächlichkeit der Massenkultur. Plastik und die Verbraucherdemokratisierung der Bundesrepublik." Historische Anthropologie 16(1): 8-30.

A u f s ä t z e Die Oberflächlichkeit der Massenkultur Plastik und die Verbraucherdemokratisierung der Bundesrepublik von Andrea Westermann Die Kritik am Oberflächlichen ist alt. Das "Deutsche Wörterbuch" von Jacob und Wilhelm Grimm etwa führt Oberfläche und Oberflächlichkeit als Motiv der ästhetischen Diskussion im 18. Jahrhundert auf. Die Oberfläche oder die "außenseite (der äußere schein)" wird dort bereits wertend als "gegensatz des innern, der tiefe" vorgestellt. 1 Durch die Zeitdiagnostiken Siegfried Kracauers und Walter Benjamins gelangte der Topos der Oberflächlichkeit der Massenkultur im deutschsprachigen Raum zu Prominenz. Sie machten Ende der 1920er Jahre aus der traditionellen Metapher für den bloßen Schein einen eigenen Untersuchungsgegenstand von gesellschaftsweiter Bedeutung. Kracauer plädierte dafür, sich an die Äußerlichkeiten einer Gesellschaft zu halten und diese "unscheinbaren Oberflächenäußerungen" zu entziffern. Aus ihnen sei der Charakter einer Zeit "schlagender zu bestimmen als aus den Urteilen der Epoche über sich selbst". 2 Nach Kracauer entfaltete sich zum Beispiel in den Revueshows der Tillergirls das grundsätzliche Muster für den arbeitsteiligen Prozess der Industrialisierung. 3 Die Revueshow illustrierte auch, was der Autor unter der Entsubstanzialisierung der Wirklichkeit verstand, welche die Massenkultur betreibe: Sie ignoriere organisch-natürliche Einheiten und bediene sich nur bestimmter Elemente daraus, füge etwa einzelne Gliedmassen der Tänzerinnen zu einem neuen Ganzen zusammen. 4 Die Massenkultur ist, mit anderen Worten, maßgeblich auf die Idee und den Einsatz von Technik angewiesen, denn nur technische Mittel versetzen eine Gesellschaft in die Lage, ihre Umwelt im großen Stil neu zuzuschneiden. Der vorliegende Aufsatz nimmt den Vorschlag einer thematischen und methodischen Aufwertung des Oberflächlichen ernst. Er möchte aber nicht bei einer Analyse der Zeichenhaftigkeit großflächiger Erscheinungen stehen bleiben, welche die Beobachter des deutschen Großstadtlebens der 1920er Jahre faszinierte. Die Zeitsignatur der Oberfläche bietet, so die Ausgangsüberlegung, gerade deshalb einen Die Oberflächlichkeit der Massenkultur 9