Müller, Jürgen; Kascheck, Bertram: "Diese Gottheiten sind den Gelehrten heilig". Hermes und Athena als Leitfiguren nachreformatorischer Kunsttheorie. 2002. (original) (raw)
Die Kunst des Hendrick Golt zius, die uns so vielgest alt ig vor Augen t rit t , gelangt vor allem in der Darst ellung des nackt en menschlichen Körpers zu ihrer wahren Meister schaft. Schon Karel van Mander hat in der Lebensbe schreibung des Künstlers aus dem Jahre 1604 immer wieder dessen besondere Fähigkeiten in der Wiedergabe lebendigen Fleisches hervorgehoben. So soll Goltzius in Italien allein deshalb, weil er die nackten Sklaven habe rudern sehen wollen, mit einer Galeere von N eapel nach Rom gefahren sein. Sein darstellerisches Vermögen bil dete er aber aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem durch das Studium antiker Statuen aus, was durch zahl reiche erhaltene Zeichnungen ebenso bestätigt wird wie durch van Mander, der behauptet, kein anderer N ieder länder habe jemals in so kurzer Zeit in Rom so viele und gute Zeichnungen gemacht. 2 N icht einmal die Pest und der mit ihr verbundene Verwesungsgeruch hätten ihn daran hindern können, seiner N eigung zum Zeichnen nachzugehen. Die Frage, ob Goltzius tatsächlich nach dem leben den Modell gezeichnet hat, ist umstritten. Der wichtig ste, aber fragwürdige Hinweis auf ein Aktstudium ist einer anonymen Lebensbeschreibung des Karel van Mander zu entnehmen, in der es über Goltzius, van Man der und Cornelis van Haarlem heißt: »Diese drei taten sich zu einer Art Akademie zusammen, um am lebenden Modell zu studieren, und Karel unterwies die beiden anderen in der italienischen Manier [,..].« 3 Wie man sich allerdings das Zeichnen nae't leven vorzustellen hat, be richtet van Mander in der Vita des Cornelis van Haarlem, wo es heißt: »Inzwischen kam Cornelis seiner ihn an spornenden N atur außerordentlich zu Hilfe, indem er äußerst fleißig und viel nach der N atur zeichnete, wozu er sich die besten beweglichen und lebendigen Antiken auswählte, deren wir hierzulande eine genügende An zahl besitzen, als dem sichersten und besten Studium, das es gibt [,..].« 4 In diesem Sinne sind die antiken Statuen in ihrer idealen Schönheit der kruden Wirklichkeit überlegen. Überdies belegen diese Textstellen, in welchem größeren historischen Kontext Akt-und Antikenstudium stehen. Ist doch die Kunst gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf dem Wege, autonome Institutionen hervorzubringen und der Künstlerausbildung durch die postulierte N ach ahmungswürdigkeit der Antike ein solides Fundament zu verschaffen, auf dem sich eine »akademische« Kunst entwickeln kann. 5 Ebensolche akademisch-klassizistischen Tendenzen sind auch in einem Kupferstich zu erkennen, den Jacob Matham im Jahre 1588 nach einer Zeichnung seines Stief vaters und Lehrers Goltzius gestochen hat. Er zeigt Athena, die Göttin der Weisheit, und Hermes, den Gott der Beredsamkeit (vgl. Kat-N r. 9). Goltzius nutzt das my thologische Thema, ganz im Sinne unserer Eingangsbe merkungen, als Anlass für eine virtuose Aktdarstellung. Offenbar ist es ihm darum zu tun, jeweils einen ideal schönen weiblichen und männlichen Körper darzustel len, und nicht zufällig hat man in der Vorzeichnung zum Stich die ersten Anzeichen einer stilistischen Wende sehen wollen. Bauch-und Brustmuskulatur des Merkur sind zwar athletisch durchgebildet, doch frei von allen Exzessen des Knollenstils. Der Kupferstich reicht insofern über eine bloße my thologische Illustration hinaus, als die Zusammenkunft von Hermes und Athena eine bedeutende kunsttheoretische Allegorie darstellt, die unter dem N amen »Hermathena« in diversen Kunstzentren der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kursierte und noch für Peter Paul Rubens von eminenter Bedeutung war. »Hermathenen« begegnet man in Bologna ebenso wie in Prag oder in Haarlem. Der Ursprung dieses Motivs ist literarischer Her kunft: Man findet ihn bei dem antiken Autor Cicero, der sich in einem Brief an seinen Freund Atticus für eine »IIermathena«(-Statue) bedankt, die er ihm für sein Gymnasium in Tusculum vermittelt habe. 6 Wie diese Statue aussah, ist jedoch nicht überliefert. Die Wieder aufnahme dieses lange vergessenen Motivkomplexes im 16. Jahrhundert wirft die Frage auf, welche Umstände zu diesem Rückgriff geführt haben. Welcher Anlass hat also die Hermathena-Ikonographie nötig gemacht? Wir haben bereits den »akademischen« Kontext an gesprochen, in den diese Allegorie gehört. So ist in der kunsthistorischen Forschung seit langem bekannt, dass die »Ilermathena« als Aushängeschild akademischer und rhetorisch orientierter Kunst zu verstehen ist. 7 Ver einfachend kann man sagen, dass durch die Zusammen kunft von Beredsamkeit (Hermes) und Weisheit (Athe na) die harmonische Vereinigung von Form und Inhalt zum Thema wird. Mit dieser auf Cicero und seine Theo rie vom idealen Redner zurückgehenden Vorstellung ist ein ästhetischer Anspruch formuliert, der sich als Bil dungsauftrag akademischer Künstlervereinigungen be stens eignet. 8 So erscheint die manieristische Kunst unter dem Banner der Ilermathena als eine Bemühung um Aus gleich und angemessene Verbindung von Gestalt und Ge halt. Kurioserweise wurde dem Manierismus in stilge schichtlicher Hinsicht jedoch immer wieder ein Zeitgeist Originalveröffentlichung in: Müller, Jürgen (Hrsg.): Die Masken der Schönheit : Hendrick Goltzius und das Kunstideal um 1600, Hamburg 2002, S. 27-32 carum Quaestionum, De uni v erso genere, quas serio ludebat, Libri Quinque, das zuerst 1555 erschien, hatte er ein Emblem (Abb.l) entworfen, das die Vereinigung von Hermes und Athena sinnfällig vor Augen führt. 23 Die Darstellung zeigt die Ecksituation eines Gebäudes mit rustiziertem Sockelgeschoss, über dem die Hernien von Athena und Hermes appliziert sind. Sie stehen gewisser maßen »über Eck« und haben die Arme ineinandergehakt. Die Götter erscheinen als Paar, und fast könnte man meinen, die Blicke der beiden träfen sich. Verbun den werden sie zudem durch einen kleinen Amor, der ge nau mittig auf der Kante plaziert ist. Einer seiner beiden Arm weist in michelangeleskem Gestus über die Schul ter, während er in der anderen Hand ein Zaumzeug hält, mit dem er einen skulpierten Löwenkopf zu seinen Füßen bändigt. Verschiedene subtile Metaphern der Vereinigung greifen bei dieser Inszenierung ineinander: die Ver schränkung der Arme, der Blickkontakt und der vermit telnde Amorknabe. Hermes und Athena werden auf diese Weise als inniges Paar vorgestellt, das seine sprichwörtli che Gegensätzlichkeit zu überwinden weiß. Diese Deu tung erfährt im Schriftteil des Emblems eine Bestäti gung. So lautet die Inscriptio: »Die Mäßigung lässt die Weisheit vollkommen werden, der Fortschritt (in den u \ itisjft-.. M ^ , t;'4L <ä*ä1