Die Kultur des Wissens und die Pflege des Subjekts (original) (raw)
Wissen benötigt jemanden, der weiß. In der analytischen Tradition erscheint das als eine Trivialität, die weiteres Nachdenken nicht lohnt. Verstärkt wird diese Haltung noch durch die Überzeugung, Wissen zeichne sich gegenuber der Meinung gerade dadurch aus, dass der Träger in seiner Partikularität austauschbar ist. Dabei ist hinreichend bekannt, dass Wissen, je mehr Praktiken dafur relevant sind, um so mehr zu einer persönlichen Angelegenheit wird (und es ist eine Einsicht, die auch mit dem Begriff der Wissenskultur verbunden ist, dass Wissen ohne Praktiken nicht denkbar ist). Die Rede von Wissenskulturen wirft daruberhinaus noch ein anderes Licht auf die Rolle des Subjekts: Denn nun kommen Kollektive als Träger von Wissen ins Spiel, die nicht mehr auf die bloße Menge ihrer Mitglieder reduziert werden können. In meinem Beitrag möchte ich untersuchen, ob es eine noch tiefere Verbindung zwischen Wissen und Subjekt gibt. Die antike Tradition stellt dafur zwei Modelle bereit: Das eine – aristotelische – besagt, dass das Streben nach Wissen die höchste Stufe der Entfaltung des Menschen ist; das andere – platonische – besagt, dass das Streben nach Wissen fur die Einheit des Subjekts konstitutiv ist. Berucksichtigt man diese Beziehung, gewinnt der Begriff der „Kultur“ eine neue Facette: nämlich den der Kultivierung oder Pflege – nicht nur des Wissens, sondern auch seines Trägers. Vorausgesetzt, die beiden antiken Modelle lassen sich systematisch fruchtbar machen, ist zu fragen, ob sie auch auf das kollektive Phänomen von Wissenskulturen ubertragbar sind, und ob sich daraus Kriterien für die Verwendung des Begriffs der Wissenskultur als Beschreibungswerkzeug finden lassen.