Heft 2 / 1994 (original) (raw)
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Freizeitpadagogik 1994, 2011
Das böse Wort von der Bundesrepublik Deutschland als .. kollektivem Freizeit· park" macht seit geraumer Zeit die Runde. Interessanterweise gab und gibt es fast keine Zustimmung zu dieser Aussage, dafür umso mehr Widerspruch. Ist Deutschland also kein "Freizeitpark"? Oder wollen wir dies vielleicht nicht wahrhaben? Eines scheint sicher zu sein: Wer arbeitet, soll auch Freizeit haben. Darf aber jemand, der nicht arbeitet, keine Freizeit haben? Wo sind beute die Grenzen, für die Arbeit, aber auch für die Freizeit? Haben wir vielleicht schon die Grenzen des Akzeptablen überschritten? Freizeit ist eine der größten Wachstumsbranchen in unserer fortgeschrittenen Indu· striegesellschaft, in Europa steht sie an Nummer drei nach Energie und Verkehr. Ihre Umsätze sind enorm, die Zahl der im Freizeitbereich beschäftigten Personen nimmt ständig zu. Freizeit kurbelt also die WIrtschaft an und sie schafftArbeitsplät· ze. Es scheint also etwas Wahres daran zu sein, an der eingangs zitierten Aussage, oder etwa nicht? Tatsache ist, daß Freizeit ein hochgeschätztes Gut ist, daß viel Geld dafür ausgegeben wird, daß viele Menscben für die Freizeit leben, für sie ar beiten und für sie bereit sind, anderes aufzugeben. Wenn dem so ist, dann spielt Freizeit offensichtlich eine größere Rolle, als wir oft glauben wollen. Dennoch stimmt das zu Beginn zitierte Wort vom "kollektiven Freizeitpark" nicht, denn alle die zuvor genannten Aspekte und Facetten der Freizeit spielten beim Ur sprung der Aussage keine Rolle: Daß Freizeit kein bedeutender Wrrts chaftsfaktor ist, das bat unser Bundeskanzler ganz sicher nicht gemeint, denn er sprach im glei chen Atemzug von der Notwendigkeit, mehr zu arbeiten. Und Arbeit hat die Frei zeitindustrie wahrlich genug. Nein, er meinte etwas anderes, nämlich, daß es seiner Meinung in unserer Gesellschaft zuviel Unterhaltung und Vergnügen gebe, dies meinte er, und daß der Ernst des Lebens damit verlorengehe, dies meint er, und daß die Neigung zu arbeiten abnehme. Wie recht er hat! Aber stecken wir hier nicht in einem Widerspruch? Auf der einen Seite ist Freizeit eine wichtige Stütze unserer Wirtschaft, schafft Arbeitsplätze und verhilft der Konjunktur nicht wenig zum Auf schwung, auf der anderen Seite wird sie als Verursacher des Niedergangs der Werte gebranntmarkt. Auf der einen Seite ist sie Teil der Lebensqualität geworden, auf der anderen Seite würde sie zugunsten der Arbeit und des Wachstums gerne wieder abgeschafft werden wollen. Keine der heutigen politischen Parteien, kein Politker, Freizeitpädagogik 16 (199 4) 3 209 Tab. 1 Freizeit alsArbeitgeber in der Bundesrepubülc Deutschland Wirtschaftsbereiche Anzahl dar Berufstätigen -Spielwarenindustria, Spieleutometenbeuiebe, Spielbanken, -clubs, Wett-, Lotteriewesen 45000 -Heimwerkerbedarf, Hobby, Do·lt-yourself, Handerbeiten 60000 -Sportartikelindustrie, Camping, Caravaning, Boots -, Yacht bau, Sportorganisationen 65 000 -Herstellung und Handel von Foto-und Filmger!ten 70 000 -Kino, Theater, Orchester, Bühnen, Schaustellergewerbe, kulturelle Einrichtungen 75000 -Gartenpflege, -bau, Haustiere, Forstund Jagdwirtschaft, Handel mit zoologischem Bedarf, Pflanzen, Blumen
Freizeitpadagogik 1993, 2011
Als die Tagesschau vom 8. Mai 1980 über eine Demonstration von 5000 Menschen berichtete, unter denen sich hunderte von Rollstublfahrern und viele geistigbehin derte Personen befanden, da wurde wohl zum ersten Mal eine größere Öffentlich keit mit derTatsache konfrontiert, daß behinderte Mitbürger in unserem Staat trotz vielfältiger medizinischer, pädagogisch-psychologischer und rechtlicher Rehabili tationshilfen noch immer von der selbstverständlichen Teilhabe an normalen sozia Jen Gesellungsformen, die Nichtbehinderten offensteben, ausgeschlossen sind. Der Protest richtete sich damals gegen das als Zumutung empfundene Urteil des Landgerichts FrankfurtIM. vom 25. Februar 1980, wonach die Anwesenheit von "Schwerbehinderten" eine "Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses" darstellen soll und mithin "einen zur Minderung des Reisepreises berechtigenden Mangel". (Die wesentlichen Passagen dieses in die deutsche Sozialgeschichte eingegangenen "Frankfurter-Behindertenurteils" finden sicb bei Wuken, U.: Reisen mit Behinder ten. Animation 11/1982.) Wenn auch dieses Urteil in der deutschen Rechts sprechung über zwölf Jahre bin keine Fortsetzung gefunden hat, weil die besonde ren Umstände der Gesamtsituation dies nicht rechtfertigen, so sind damit die Be fürchtungen der Reisebranche noch nicht gegenstandslos, daß dieAnwesenheit be hinderter Menschen zu Klagen auf Ermäßigung des Reisepreises führen könnten. Der jüngst unter dem AZ 63 C 265/92 erfolgte gleichsinnige Richterspruch des Amtsgerichts Flensburg bedeutet in dieser Hinsicht eine neuerliche Verunsiche rung, Im Gefolge des ersten Urteils und als ein Ergebnis der dem Internationalen Jahr der Behinderten 1981 folgenden UNO-Dekade der Behinderten 1983-1992, arbei ten die großen deutschen Reiseveranstalter und die relevanten Behindertenorgani sationen zusammen, um behinderten Reisenden verstärkt touristische Angebote offerieren zu können. Das alljährlich erscheinende "Reise ABC" des Bundesver bandes Selbsthilfe Körperbehinderter in Krautheim / Jagst vermittelt diesbezüglich aktuelle und verläßliche Informationen, die für eine erfolgreiche Urlaubs-und Rei seorganisation basierend sind. Nun sind zwar Urlaub und Ferien nur ein Teilbereich der dem einzelnen als Gestaltungsaufgabe zukommenden Freizeit. Aber die touri stische Feriengestaltung kann als freizeicpädagogischer Mikrokosmos betrachtet werden, in dem Chancen und Probleme der Freizeitgestaltung fokussieren. So fühlen sich denn auch die Autoren dieses Heftes, jeder von seiner spezifischen Disziplin ausgehend, herausgefordert, Möglichkeiten und Bedingungen für ein partizipatives und integratives Freizeitleben zu entwickeln, u.z. im Blick auf Men schen mit Behinderungen und deren noch immer "behinderter" Teilhabe an den in unserer Gesellschaft ansonsten durchaus "nonnalen" freizeittypischen Gesel1ungs-Freizeitplldagogik 15 (1993) 1 15
Spektrum Freizeit 1996, 2011
1983 wurde schließlich die wacl/Sende ErlebIlisorientierung kritisch hinterfragt und psyehologisch·pädagogisch problematisiert: "Wie wirkt sich die prognosti� zierte ExploJ·ioll des Erlebllübereiclts aus -auf die eigene Erlebnisfähigkeit, die QualiUit der Erlebnisse und die angebotenen Produkte der Erlebllisindllstrie? Kommt es zur Pseudo-[ndividualisierung?" (Opasehowski 1983. S. 96). * Was passiert eigentlich, wenn man sich in der zukOnrtigen Erlebllisgesellscha[1 dem pausenlosen Erleben kaum mehr entziehen kann? * Wird der Erfeblli.f/llmger des passiven Erlebniskollsumellien so grenzenlos sein, daß er nicht mehr zwischen Selbslerlebell und Nacherleben unterscheiden kann? Spektrum Freizeit 18 (1996) 1 Wer zu spät kommt ... Von Nachbardisziplinen ist keine Befreiung mehr zu erwarten. Gerhard Schulzes kultursoziologische Analyse der "Erlebnisgesellschaft" (Schulze 1992 und 1993) kam ein Jahrzehnt zu spät. Heute wären eher Analysen gefragt, die Antworten auf die Fragen geben, welche psychosozialeIl Folgen die Erlebnisgesellschaft hat und was "nach" der Erlebnisgesellschaft kommt oder kommen könnte. Stattdessen flüch let sich Schulze in die Alltagstheorie des schönen Lebens. Alles wird ästhetisiert; Ar mut wird ignoriert. Wer zu spät kommt, neigt auch zu Fehleinschätzungen: "Lerne wieder, mit einem Nichts zu spielen" (Schulze 1993, S. 419) lautet seine schlichte Botschafl, die die Lösung bringen soll. Die Botschafl kommt doch viel zu spät. Die "bom-to-sllOp"-Erlebllisgeneratjon hat es längst verlernt, mit einem Nichts zu spie len. Sie hat eher Angstvor dem persönlichen Nichts. Dann droht die Öde und inne re Leere. Zum Teil kommt Panikstimmung auf, wie aus der qualitativen Analyse projektiver Gruppenverfahren hervorgeht (vgl. Opaschowski 1995, S. 93): * "Dann ekelt es mich vor dem Wochenende und ich freue mich auf den Montag". * "Was uns heute als Freizeit dient, ist überwiegend materiell. Wenn das mal wegfällt, steht man da und hat im Grunde nichts, auch gefühlsmäßig nichts mehr". Hinter dem Appell "lerne wieder, mit einem Nichts zu spielen" verbirgt sich die resi gnative Hoffnung: "Man könnte noch einmal ganz von vorne anfangen". Dahinter steht das persönliche Eingeständnis, nicht von selbst aus eigener Kraft dazu fähig zu sein. Die meisten erhoffen sich den Anstoß von außen -eine Art "Urkllall" oder "Phönix aus der Asche". Das Gefühl herrscht vor, die Warenweh der Erlebnisgesell schaft müsse erst einmal untergehen, ehe eine neue, bessere Welt auferstehen kön ne. Auf die "deus·ex-machilla"-Lösung aber können wir lange warten -wenn wir nicht selber etwas tun. Durchaus realistisch, wenn auch gänzlich unsoziologisch, gibt Gerhard Schulze die Empfehlung an Alice Miller weiter, ein neues Buch zu schreiben -diesmal nicht mit dem Titel "Am Anfang war Erziehung", sondern "Am Anfang fehlte die Erziehung" (Schulze 1993, S. 413). Die vorhersehbaren Probleme der Erlebnisgesellschaft mu ten heute in der Tat wie verlorene Aufgabenfc\der der Pädagogik an. Kampflos hat die Pädagogik das Feld der Erlebnisindustrie überlassen. Die Folgen bleiben nicht aus: Erlebnismürkte statt ErlebIliswerte. Ebenso subtil wie systematisch drohen Me dien, Mobilität und MassenkLilturvermarktet und als Aufbruch in neue Erlcbniswel ten gefeiert 7.U werden. Wieder einmal eine vertane Chance der Pädagogik und ein schon fast verlorenes Terrain für Erziehung und Bildung? Quo vadis, Erlebnisgesellschaft? Als Ndous Huxley 1931 seinen Zukunftsroman "Brave NewWorld" schrieb, war er davon überzeugt, daß wir bis zum 6. oder 7. Jahrzehnt "nach Ford" noch viel Zeit hätten: Von der ständigen Ablenkung durch Unterhaltungsangebote des Sports und der Musicals über die Verabreichung einer pharmakologisch hervorgerufenen Spektrum Freizeit 18 (1996) 1
1994 Zwei neue Gatha-Ausgaben - kahmai vananam dada?
Orientalistische Literaturzeitung 89 / 3, 1994
I Zwei wichtige Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Awestaphilologie geben Anlaß zur Besinnung auf Möglichkeiten und Grenzen philologischer Bemühung an einem schwierigen Gegenstand: den sog. Gāthās des Zarathustra. 1 Es handelt sich um 17 religiöse Hymnen in altiranischer Sprache, die den ältesten Teil des Awesta, der heiligen Bücher der Mazdayasnier (Zoroastrier, in Indien auch: Parsen) ausmachen. Ihr Alter gilt als unbestimmbar, ihre Sprache als nicht näher dialektgeographisch einzuordnen, ihr Inhalt als dunkel. Kein Wunder also, daß diese Hymnen seit ihrem Bekanntwerden in Europa im 18.Jh. (erste ワ bersetzung durch Anquetil-Duperron 1771), gefördert durch die sürmische Entwicklung der historischvergleichenden Sprachwissenschaft im 19. Jh., immer wieder die Aufmerksamkeit von Gelehrten auf sich gezogen haben. Der Gang der Forschung ist hier nicht darzustellen (vgl. Geiger-Kuhn 1 Philologisch korrekt ist gāϑā-"Lied" (die mazdayasnische Tradition faßt unter diesem Begriff z.T. mehrere Hymnen zusammen und nennt das einzelne "Lied" hāiti "Abschnitt" -zur Einteilung vgl. Boyce 1975, 164-5) und Zaraϑuštra-(wahrscheinlichste Bedeutung: "dessen Kamele alt werden" i.S.v. "der Kamele gut zu pflegen versteht"); es ist im Deutschen üblich, die durch Nietzsche bekannt gewordene Namensform zu gebrauchen. -Die abgekürzt zitierte Literatur ist in der Bibliographie am Ende zusammengestellt. 1891-1904); den letzten bedeutenden Einschnitt markiert das Erscheinen der Ausgabe von Humbach 1959, wozu u.a. Schlerath 1962 (=1970) und Schmidt 1962 zu vergleichen sind. Die beiden hier zu behandelnden Neuerscheinungen gehen von denselben methodischen Voraussetzungen und von weitgehend gleicher Bewertung der bisherigen Forschung aus. Sie unterscheiden sich also nicht im deutlich philologischen, sprachwissenschaftlich abgestützten Ansatz, wohl aber in vielen Details, die ihr Verständnis der Verkündigung Zarathustras ausmachen. Das Anliegen der beiden Werke ist nicht die [[240]] Religion Zarathustras, sondern die philologisch vertretbare Gestalt des traditionell auf die Gestalt des Propheten zurückgeführten Textes. Die Frage nach dem Sinn der Aussage, des Satzes, Liedes oder Gesamttextes ist für die Autoren nur insoweit von Interesse, als sie mit einer bestimmten Auffassung ein möglichst korrektes grammatisches Textverständnis verbinden können. Es bleibt also zu beachten, inwiefern beide Publikationen, die sich gleichermaßen durch äußerste philologische Solidität auszeichnen, auch über den engsten Kreis der Mitforscher hinaus zu wirken geeignet sind. II Nach 32 Jahren legt Helmut Humbach 2 eine Neubearbeitung seiner längst zum Standardwerk gewordenen und seit langem vergriffenen Gāthā-Ausgabe vor (Humbach 1959). Doch auch 2 Professor emeritus in Mainz. Die auf dem Titelblatt bezeichneten Mitarbeiter werden zwar im Vorwort genannt, ohne daß die Art ihrer Mitarbeit spezifiziert wird, dann aber an keiner Stelle des Buches mehr erwähnt! Josef Elfenbein, dem bekannten Balōčī-Spezialisten (s. zuletzt seinen Beitrag in Schmitt 1989) in Mainz, und Prods O. Skjaervø, der jetzt als Nachfolger von R.N. Frye an der Harvard-Universität lehrt, geschieht hoffentlich kein Unrecht, wenn ich im folgenden einfach von Humbach als Autor spreche.