Fritz Krafft: Das Reisen ist des Chemikers Lust – auf den Spuren Robert Bunsens. Zu Robert Wilhelm Bunsens 100. Todestag. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 22 (1999), 217 - 238. (original) (raw)
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Einem Naturwissenschaftler ist heute meist nicht bewußt, daß die von ihm vertretenen Disziplinen, daß die Naturwissenschaften auch eine Geschichte haben. Die Vergangenheit, das Herkommen heutiger Theorien und Ideen, wird über den Blick nach vorn meist ignoriert oder verdrängt. Aber auch die Naturwissenschaften leben in und von ihrer Tradition -wie es in den Geistes-und Sozialwissenschaften selbstverständlich gesehen und entsprechend jeweils auch in die Lehre mit einbezogen wird. Die Loslösung von der eigenen Geschichte erfolgte innerhalb der Naturwissenschaften im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Verselbständigung und Emanzipierung der naturwissenschaftlichen Disziplinen von der übergreifenden und sie ursprünglich einschließenden Philosophie. Die Vorstellung von einer vermeintlichen Geschichtslosigkeit der Naturwissenschaften gegenüber den im Selbstverständnis jeweils geschichtlich orientierten und als geschichtlich aufgefaßten Geistes-, Kultur-und Sozialwissenschaften hat die gegenwärtige tiefe geistige Trennung dieser beiden Bereiche sicherlich zumindest mitbewirkt. Man umschreibt sie heute schlagwortartig mit dem Begriff der ‚two cultures', der ‚zwei Kulturen' (zu denen sich inzwischen eine dritte gesellt haben soll). Geprägt wurde dieser Begriff 1956 von dem englischen Physiker, Philosophen, Soziologen und Literaten Sir Charles Percy Snow (geb. 1905). Gemeint ist damit die in der modernen Welt fast unvermeidliche Gegenüberstellung zweier soziologischer Gruppen, der Vertreter der Naturwissenschaften und der Technik auf der einen Seite und der Vertreter der Geistes-und Kulturwissenschaften sowie der Literatur und Kunst auf der anderen Seite. Im englischen Denken wird dieser Graben noch deutlicher, weil der englische Begriff ‚science' nur die exakten Erfahrungswissenschaften umfaßt, während der deutsche Begriff ‚Wissenschaft' darüber hinaus auch die Geistes-und Kulturwissenschaften einschließt. Der Begriff ‚Naturwissenschaft' seinerseits wurde im 18. Jahrhundert geprägt -als Übersetzung des lateinischen Begriffs ‚physica' (eigentlich ‚scientia physica'), der daneben über das Französische auch zu ‚Physi(c)k' eingedeutscht worden war, wofür als anderes deutsches Wort dann noch ‚Naturlehre' (zur Unterscheidung von der methodisch anders vorgehenden ‚Naturgeschichte' oder ‚Naturkunde') geprägt wurde. Alle drei deutschen Begriffe wurden im 18. (und auch noch im 19.) Jahrhundert parallel und synonym verwendet -neben anderen, älteren Ausdrücken wie ‚scientia naturalis' und ‚philosophia naturalis' (welch letzterer im deutschsprachigen Kulturraum erst im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert auf den Teilaspekt eingeschränkt wurde, den man seitdem ‚Naturphilosophie' nennt; während im Englischen ‚Natural Philosophy' bis in die Gegenwart durchaus noch die ‚philosophischen' Aspekte der Physik benennt, die Theoretische Physik). Alle diese Bezeichnungen gehen jedoch zurück auf den griechischen Begriff φυσική (eigentlich φυσικ¬ ¦πιστήµη). Schon dieser Überblick über die begriffliche Differenzierung zeigt, daß die Naturwissenschaft und die sich aus ihr seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts loslösenden und dadurch neu entstehenden Naturwissenschaften eine lange Geschichte haben müssen. Es ist allerdings nicht das heutige Lehrbuchwissen, das wir in dieser Geschichte vorfinden können. Das ist ‚wachsen' bedeutet -es ist derselbe Wortstamm, der auch in φυτόν (Pflanze, Gewächs) enthalten ist. Die Gesamtnatur, die Welt, wird von den Griechen auch stets als eine organische Einheit ähnlich einem pflanzlichen Gewächs, also mit Eigendynamik versehen aufgefaßt; und das Universum galt Griechen und Römern entsprechend auch als wie jedes andere Lebewesen beseelt. φύσις ist also so etwas wie das ‚Hervorbringen' und die ‚Herkunft', jeweils in organologischem Sinne, der aus sich heraus die natürlichen Dinge hervorbringende ‚Ursprung', der ‚Lebensquell' (‚Mutter Natur'), und zwar sowohl für ein einzelnes Ding als auch in abstrahierender Zusammenfassung der ‚Naturen' aller einzelnen Dinge für alle Dinge, wobei die Konstitution, das Verhalten usw. jedes einzelnen Dinges beziehungsweise aller Dinge von diesem ‚Ursprung' her geprägt und bestimmt ist -in demselben Sinne, wie wir auch heute im Anschluß an die Griechen noch sagen: Es liegt in der ‚Natur' der Sache begründet -was nämlich gleichzeitig besagt, daß man dieses nicht weiter begründen kann, daß die Suche nach den Ursachen beim letzten ‚Prinzip' angelangt ist, das nicht weiter zu hinterfragen ist. Es wird sogleich dargelegt werden, wie dieses letzte Prinzip ‚Natur' seinerseits ebenfalls entsprechend seinem Herkommen geprägt ist, daß also diese Art der Naturauffassung sich durch das erklärt, was die Griechen ursprünglich darunter verstanden und woraus ihre Wissenschaft von der ‚Natur' ihren Ursprung nahm. -Die Art griechischen naturwissenschaftlichen Denkens zeigt dann auch generell, daß diese Grundbedeutung stets bewußt blieb -was auch dadurch deutlich wird, daß die Römer im ersten vorchristlichen Jahrhundert diesen Begriff nicht einfach mit der Wissenschaft von der Natur als Fremdwort übernahmen, sondern ihn übersetzten. Dazu benutzten sie den entsprechenden gleichbedeutigen Wortstamm ihrer Sprache, der auch dem Verb (nascere) / nasci zugrundeliegt, das dieselbe Bedeutung hat wie φύειν / φύεσθαι und soviel wie ‚erzeugt werden', ‚geboren werden', ‚entspringen', ‚hervorgehen', ‚wachsen' heißt. Auch der lateinische Begriff natura, den die modernen europäischen Sprachen als Fremd-oder Lehnwort übernahmen (weil in ihnen nicht mehr dieselbe Bedeutung mit ‚Natur' gleichgesetzt wurde), bedeutet also ‚Ursprung', ‚Herkommen' in biologischorgalogischem Sinne, das ‚Entspringen', der ‚Lebensquell' im Sinne von ‚Mutter Natur'ohne daß dem Fremdwort ‚Natur' die ursprüngliche Bedeutung noch anhaftete.
Das abendländische Denken und Handeln ist seit Beginn der Neuzeit soweit und zunehmend dominant durch Wissenschaft, speziell Naturwissenschaft, und wissenschaftlich initiierte Technik geprägt, dass sich abendländische Kultur insbesondere hierdurch in seinen Stärken -und in seinen Schwächen -von sämtlichen früheren und anderen Kulturen und Zivilisationen unterscheidet. Aber Wissenschaft, und selbst Wissenschaft im Sinne des englischen ‚science', also Naturwissenschaft, ist nicht etwas dem Menschen objektiv Vorgegebenes, dem er bedingungslos ausgesetzt wäre und für das er keine Verantwortung zu tragen hätte -zu dem er dann aber eigentlich auch nichts beizutragen hätte. Sie ist vielmehr durch ihre Stellung im Spannungsfeld zwischen (‚objektiver') Natur und (‚subjektiver') menschlicher Geschichte geprägt, welche Pole sie miteinander verknüpft und in sich vereint.
Auf den Spuren des wissenschaftlichen Wirkens von Friedrich Robert Helmert: Zum 175. Geburtstag
2018
Elfte Allgemeine Conferenz der Internationalen Erdmessung in Berlin (30. September bis 12. Oktober 1895), Exkursion der Tagungsteilnehmer zum Königlich-Geodätischen Institut nach Potsdam, Gruppenaufnahme von Tagungsteilnehmern und Institutsmitarbeitern (z.T. mit Ehefrauen) F. R. Helmert in der hinteren Reihe stehend als 5. von links, rechts von ihm seine Frau Marie; T. Albrecht (Abteilungsvorsteher im Institut) in der vorderen Reihe der Stehenden als 4. Mann von links, davor seine Frau Marie
Sudhoffs Archiv, 2002
Die Entwicklung der Klinischen Chemie ist eng an die Entstehung der naturwissenschaftlich orientierten Medizin im 19. Jh. geknüpft. Als einer ihrer Väter gilt der Wiener Chemiker Johann Florian Heller (1813-1871), der im Jahre 1850 mit ministerialem Stipendium versehen eine Studienreise durch Mittel- und Zentraleuropa unternahm. Alois Kernbauer, Professor für Österreichische Geschichte am Historischen Institut der Universität Graz, präsentiert mit seiner textkritischen Edition des im österreichischen Staatsarchiv aufgefundenen Reiseberichts von Heller ein interessantes Quellendokument. Der vorliegenden Ausgabe ist ein Geleitwort von Johannes Büttner, Prof. em. am Institut für Klinische Chemie der Medizinischen Hochschule Hannover, vorangestellt. Hellers Bericht über seine Pèlerinage zu den wissenschaftlichen Hochburgen der Zeit läßt nicht allein den Stand der Klinischen Chemie vor Augen treten. Vielmehr gewährt er einen tiefen Einblick in die medizinische Universitätslandschaft, die Forschungsstätten sowie die Lebenswirklichkeit von Professoren und Studenten an medizinischen Fakultäten zur Mitte des 19. Jh. In fast buchhalterischer Weise charakterisiert Heller den Zustand der medizinisch relevanten Forschungseinrichtungen an den von ihm besuchten Orten und richtet sein Augenmerk auch auf die Lage der Krankenversorgung und der medizinischen Vereine. Sein Reisebericht bietet damit nicht allein eine besondere Momentaufnahme der Situation in den grundlagenmedizinischen Fächern, sondern kann auch als eine heuristische Quelle für Fragen nach der Binnendifferenzierung zeitgenössischer Forschungslaboratorien herangezogen werden.
Keewords: Johann Christian Wiegleb (1732-1800), Geschichte der Pharmazie (18. Jh.), Apotheker-Ausbildung (18. Jah.), Chemisches Unterrichts-Laboratorium (erstes, 1779), Verwissenschaftlichung der Pharmazie (18. Jh.), Pharmazeutische Lehrbuch-Literatur, Stammbuch Jacob Friedrich Pfister.
Berichte Zur Wissenschaftsgeschichte, 1978
Besonders dann, wenn man uber ein Thema zur Geschichte einer Sache spricht, sollte naturgemafien Bewegungen in sich selber hat' -Bewegungen verstanden als Veranderungen substantieller, quantitativer, qualitativer und ortlicher Art (Translation und Rotation). Nur diese naturlichen Korper und Grofien und ihre Prinzipien sowie deren naturgemaBen Eigenschaften einschliefilich der naturgemaBen Veranderungen be trifft die Wissenschaft von der Natur des Aristoteles und der Aristoteliker der Folgezeit, und das heifit aller Naturforscher und Philosophen bis in die Neuzeit mit Ausnahme der Atomisten und mancher Platoniker. Von aufien auf einen Korper einwirkende ,Krafte' spielen hierbei keine Rolle, weil die naturgemaBen Veranderungen der Korper (teilweise aufgrund eines auBeren Anlasses wieder in Form eines natiirlichen Korpers) von sich aus, spontan erfolgenetwa das Wachsen eines Lebewesens, das Reifen einer Frucht, das Fallen eines schweren Korpers oder Steigen eines leichten.