Vom Wert des Lebens und der Relevanz des Todes. Das Opfer und die Frage nach Betrauerbarkeit in Gen 22,1-19, in: Joachimides, Alexis/Milling, Stephanie/Müllner, Ilse/Thöne, Yvonne Sophie (Hrsg.): Opfer - Beute - Hauptgericht. Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs, Bielefeld 2016, S. 91-112. (original) (raw)

Denn das Schicksal der Menschenkinder und das Schicksal der Tiere ist eines: wie diese sterben auch jene, und sie haben alle einen Geist. Und es gibt keinen Vorzug des Menschen vor den Tieren, denn alles ist ein Windhauch. Koh 3,19 Die Tötung von Tieren, von Beginn an ein Strukturmerkmal der Mensch-Tier-Beziehung, ist auch im Alten Testament ein wiederkehrendes Motiv. Neben der Jagd wildlebender Tiere (vgl. Gen 27; Spr 1,17; Jes 51,20) und der Schlachtung domestizierter Arten (vgl. Gen 18,6-8; Dtn 12,20f.) ist die Opferung nichtmenschlicher Tiere ein wichtiges Thema. Durch diese rituelle Form der Tötung wird diese, als Wille Gottes deklariert, zu einer heiligen Handlung stilisiert. Zahlreiche Texte, ob narrativ (vgl. Gen 4,3-5; 8,20f.), regulativ (vgl. Lev 1-7; 16), prophetisch (vgl. Hos 4,8; Am 5,21-24) oder poetisch (vgl. Ps 51,18f.; 54,8) geben affirmativ oder auch kritisch Zeugnis von den verschiedenen Opferpraxen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden stets nichtmenschliche Wesen in den alttestamentlichen Texten dargebracht. Jene Texte, die von einer Opferung menschlicher Figuren erzählen (vgl. Ri 11,30-40; 2 Kön 3,27; 16,3; 21,6; 3,27; Jer 32,35), stellen diese als tragische bis abscheuliche Ausnahme von der Regel dar. 1 Als besonders interessant erweist sich die Erzählung Gen 22,1-19, wo eine menschliche Figur auf Gottes Geheiß getötet werden soll, im Verlauf der Erzählung allerdings durch eine tierliche Figur ersetzt wird. Die Erzählung vereint zahlreiche Reibungspunkte in sich, angefangen bei einem problematischen Gottesbild über die Proklamation eines 1 | Religionsgeschichtlich ist das Menschenopfer in verschiedenen Kulturen des biblischen Kulturraums bezeugt, etwa in Ägypten, Phönizien, Ammon und Moab (vgl. 2 Kön 3,27), jedoch immer nur in zeitlich eng begrenzten Perioden. So lässt sich beispielsweise für den südphönizischen Bereich zwischen dem 9. und 6. Jh. v. Chr. eine Kinderopferpraxis nachweisen; vgl. A. Michel: Gewalt, S. 275; C. Westermann: Genesis, S. 437f.