Jenseits des Schattens der Alten? Zum Umgang mit der Tradition in der volkssprachlichen Erzählliteratur (original) (raw)

Editorial. Fortsetzung Themenschwerpunkt: Tradition (er)finden

IASL, 2019

In unserer Einführung in den ersten Teil des Themenschwerpunktes Tradition (er)finden. Erhalten und Erneuern im Spannungsfeld von Romantik und Realismus (IASL 44/1) konstatierten wir als Ausgangsbeobachtung, dass sich der Diskurs des Bewahrens und Erneuerns im ›langen‹ romantisch-realistischen 19. Jahrhundert zwischen den Polen fingierter Faktualität und der Poetisierung von Realität bewege. Diese kulturhistorische Diskursfigur sei hier eingangs noch einmal kurz zusammenfassend skizziert: Spätestens seit Johann Gottfried Herders Wiederentdeckung des Volkslieds wird das Sammeln, Archivieren und Aufbereiten von Zeugnissen der Vergangenheit zu einem kulturpolitischen Programm. Bereits Johann Wolfgang Goethe hatte diesem Denkmalbewusstsein 1771/1772 in der Feier des Straßburger Münsters Von deutscher Baukunst Ausdruck verliehen. Die Romantik verbindet mit ihren Bemühungen um ein kulturelles Erbe, das letztlich mit unterschiedlicher Pointierung etwa bei den Brüdern Grimm oder Achim von Arnim und Clemens Brentano das Erfinden von Tradition ist, die Hoffnung auf nationale und religiöse Erneuerung. Diese Bemühungen sind noch in den restaurativen Tendenzen des Realismus wirksametwa in Adalbert Stifters Schriften, die er als »Restaurateur alter Bilder und Geräthe nebst Gerumpel« angefertigt hat. 1 Die darin beschriebenen Techniken lassen sich aber auch in seinen literarischen Arbeiten identifizieren, etwa in Bunte Steine oder Der Nachsommer (vgl. die Beiträge von Juliane Vogel und Christoph Gardian in IASL 44/1). Formuliert wird in allen diesen Beispielen ein Interesse am Vergangenen, das dann jedoch als Res-

Editorial. Tradition (er)finden. Erhalten und Erneuern im Spannungsfeld von Romantik und Realismus

IASL 44/1, 2019

In diesem Jahr werden Feiern zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane und Gottfried Keller Anlass sein, ihr Leben und Werk zu würdigen und aus der Perspektive gegenwärtiger Forschungsparadigmen neu zu betrachten. Solche Gedenkroutinen sind heute derart eingefahren, dass sie den Alltag sowohl des politischen (in Gedenkveranstaltungen), des literarischen (mit Neuauflagen, Sonderbeilagen) wie des wissenschaftlichen (in Tagungen und Sammelbänden) Feldes prägen. Auch für diese Tradition gilt, dass mit ihr eine kulturelle Herkunft bestätigt (oder überhaupt erst erzeugt) werden soll und dabei die eigene Position der Diskursteilnehmer in der Gegenwart einerseits überhöhend konsekriert sowie andererseits durchaus auch kritisch reflektiert wird.

"Den Jungstier auf den goldenen Schultern tragen". Mythos, Ritual und jenseitsvorstellungen im Mithraskult

There is intenral evidence for post-mortem expectations in the Roman cult of Mithras. Despite Robert Turcan's Demonstration in 1975 of the biases of the Neo-platonist reports of Mithraic belief, it continues routinely to be supposed that, as a 'mystery-cult', the cult of Mithras must have had expectations about the after-life. This paper suggests an alternative model, and offers three 'thought-experiments' as to possible evocatory 'nodes' that individual Mithraic Fathers might have started thier own speculations.

Hofmannsthals "Andreas" : das Fragment als Erzählform zwischen Tradition und Moderne

1995

Obwohl Fragment geblieben, steht der "Andreas" im Zentrum von Hofmannsthals Schaffen. Um die Bedeutung und den fragmentarischen Status des "Andreas" zu erklären, ist ein Blick auf seine Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte unerläßlich. Hofmannsthal arbeitete an seinem Romanprojekt "Andreas" zwischen 1907 und 1927. Circa 500 Manuskriptseiten umfaßt der "Andreas" im Nachlaß Hofmannsthals. Davon entfallen annähernd 100 Seiten auf den relativ geschlossenen Hauptentwurf von 1912/13, - er wurde postum, im Jahre 1930, unter dem Titel "Andreas oder die Vereinigten" erstmals veröffentlicht - der Rest verteilt sich auf insgesamt knapp 400 Entwürfe, Skizzen, Notizen und Exzerpte

Diederich Historiographische Traditionen im Carmen paschale des Sedulius

Gegenstand dieser Skizze ist ein bislang unerforschter Bereich der Wirkungsgeschichte hellenistischer Historiographie, und zwar das komplexe Verhältnis von epischer, rhetorischer und historiographischer Tradition im spätantiken Bibelepos am Beispiel von Sedulius’ Carmen paschale. Dabei stellt sich die Frage, wie über die rein literarisch-ästhetische Rezeption historiographischer Gattungselemente hinaus auch deren Wertesysteme weitertransportiert werden, da Gattungen mehr sind als bloß akzidentelle ästhetische Präsentationsformen, nämlich Strategien, mit denen Weltbilder in literarischer Form vermittelt werden können. Somit hat die Übernahme von Gattungslementen fast zwangsläufig einen Einfluß auf die vermittelten Inhalte, hier auf die literarisch bearbeiteten biblischen Erzählungen.