Reflexion literarischer (Selbst-)Beobachtung. Skizzen zu einer radikalen Philologie (original) (raw)
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Selbstreflexion und poetologische Skizzen: Die Journale, Skizzen und Aufzeichnungen
2020
Die Elemente von Handkes Poetologie verzeichnen auch die aus Tagebuchaufzeichnungen entstandenen Journale. Das Gewicht der Welt setzt auf die narzisstische Selbstversenkung (GW 171). Die Phantasien der Wiederholung und Die Geschichte des Bleistifts entfalten das poetologische Programm einer Autorschaft, die auf die Meisterschaft der „Wiederholung“ setzt (GB 315). Die Naturbeschreibungen der Journale verknupfen dabei asthetische Bilder und authentische Erfahrungen. Mehr als die Phantasie (GB 76) gewinnt das autonome Zeichensystem der Natur Bedeutung fur das Schreiben. Dieses wird zu einem „Nachsprechen der Welt“ (GB 233). Das 2015 veroffentlichte Notizbuch, das einen Einblick in die Beziehung von Handkes Notizbuchern im engeren Sinn zu den autoreflexiven Aufzeichnungen der Journale gibt, differenziert diese Konstellation des Schreibens. Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982–1987) dokumentiert paradigmatisch die Bedeutung der visuellen Wahrnehmung. Zugleich markiert es ei...
Die Philologie von unten. Das athematische Lesen und der retour sur soi-même
Dictynna (Journal), 2016
Schwindt, Jürgen Paul. “Die Philologie von unten. Das athematische Lesen und der retour sur soi-même”. Dictynna. Revue de poétique latine 13 (2016): 1–15. https://doi.org/10.4000/dictynna.1311 Der Beitrag versucht die Frage nach den Prinzipien und Methoden einer zeitgemäßen Interpretation augusteischer Dichtung so grundsätzlich wie möglich zu fassen. Die Philologie wird als ein Feld von Einstellungen und Handlungsoptionen beschrieben, die noch keine Entscheidung für eine bestimmte Methode der Interpretation nahelegen. Politisch ist die Philologie nicht, weil sie Lesarten generiert, die sich entsprechend semantisieren lassen, sondern weil sie im fortlaufenden Prozeß der Rechenschaftslegung und Selbstaufklärung die prinzipielle Unverfügbarkeit des Textes sicherstellt. Die Rechenschaftslegung nun geschieht nicht vor oder nach, sondern in der Auseinandersetzung mit den Texten. Das „athematische Lesen“ feit die Philologie gegen die unkritische Begegnung mit dem Eigenen im Fremden. Es war Alain Deremetz, der in seinen Untersuchungen zur katabatischen Form auf die Bedeutung der Unterweltsfahrten im Prozeß der Selbstverständigung der römischen Kultur verwiesen hat. Die „Philologie von unten“ ist geeignet, im Verfahren der Rekonstruktion der literarischen Rede die Fragmente jener radikalen Politik zu bergen, die am Grunde der Texte liegt. Neues Licht fällt auch auf „die Form des Erscheinens der Literatur“, i.e. die Philologie: In Horaz c. 2, 13 ist sie der „Traumtext des ‚wirklichen‘ Textes“. Sie ist die Netzhaut, auf der sich das philologische Erkennen in der Erkenntnis des literarischen Textes bricht. In der Denkfigur der katábasis erschließt sich dem Dichter wie dem Philologen das proprium ihres Schreibens: daß sie nämlich Erkenntnis nur um den Preis der Bereitschaft zur Selbstaufgabe gewinnen und „Eigentliches nur uneigentlich oder wie durch einen Spiegel sagen“ können. Der heikelste Punkt der doppelten Hadesfahrt ist der „Augenblick des Umschlags von sicherem Wissen in Nichtwissen“. Wenn eine nichtgemachte Erfahrung zum Zentrum der Konstruktion des Gedichts werden kann, ist zugleich der (paradoxe) Punkt benannt, in dem die radikale Politik und die radikale Philologie konvergieren: Es ist die uneinholbare Erfahrung der absoluten Freiheit.
Literatur: Selbstbetrachtung und Selbstdarstellung
Der Donauraum, 1999
sich mit der rumänischen Literatur vertraut-ein Schnellkurs in zwanzig Minuten"-so ähnlich hätte der Titel meines Vortrages lauten können. Statt Ihnen aber einen solch anstrengenden Kraftakt zuzumuten, habe ich mich für etwas anderes entschieden: Lassen Sie mich berichten, wie die Rumänen sich selber betrachten und darstellen, indem ich Ihnen zeige, wie die Rumänen ihre eigene Literatur betrachten und darstellen. Auf diese Weise werden Sie auch etwas über mein Land und die dort vorherrschenden Mentalitäten erfahren. Noch immer ist die Vorstellung weit verbreitet, daß in den Beziehungen zwischen den Völkern, die Kunst im allgemeinen und die Literatur im besonderen ein gutes Tauschobjekt darstellen, zumindest im Stadium der Vorverhandlungen. Aber auch die ersten Menschen auf dem Mond des H. G. Wells versuchten mit den Seleniten/Mondbewohnern über Zeichnungen mit geometrischen Figuren zu kommunizieren. Spielbergs Techniker der Begegnungen der dritten Art wählten als Dialogmodus musikalische Schemata. Die mehr terrestrischen, interethnischen Beziehungen scheinen allerdings von Ausdrucksformen geprägt, die den logisch-mathematischen Universalia völlig entgegengesetzt sind. Die Menschen des vergangenen Jahrhunderts waren jedenfalls fest davon überzeugt, daß die Literatur eines Volkes etwas ausdrückt, was als "Geist" dieses Volkes bezeichnet werden kann. Daraus konnten eine Reihe praktischer Schlüsse gezogen werden. Willst du die Engländer, die Franzosen, die Österreicher, die Russen, die Rumänen kennen und verstehen lernen? Wenn ja, so lese ihre Bücher. Natürlich wurde dieses Privileg der Nationalliteratur nicht gleichmäßig auf alle ihre Werke verteilt. Es gab Auswahlschwierigkeiten. Einige Werke oder Werktypen galten und gelten als besonders repräsentativ und authentisch oder sogar als die "Wahrheit" an und für sich über ein Volk, während andere als unspezifisch, marginal, abweichlerisch, wenn nicht gar als "falsch" und "lügnerisch" angesehen wurden oder noch werden. In der rumänischen Kultur hat diese Art von Differenzierungen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eingesetzt und rasch an Boden gewonnen. Eine ganze Reihe von Schriftstellern, die damals im Ausland studiert hatten und, von den Ideen der Französischen Revolution bewegt, auch Politik machten, setzten sich seit 1840 mit dem Hauptdilemma ihrer Zeit auseinander: In welche Richtung sollte sich die rumänische Gesellschaft entwickeln? Der Einfluß dieser Schriftsteller in ihrer Epoche war überwältigend, umso mehr als es keine politisch oder soziologisch ausgebildeten Denker in ihrem Umkreis gab. "Die Menschen des Aufbruchs", wie man sie später sehr richtig nannte, waren den Umständen entsprechend Dilettanten. Sie hatten die Chance, aber auch das Pech, in einer frenetischen und frustrierenden Zeit zu leben: es gab so viel zu tun, daß nur enttäuschend wenig vollendet werden konnte. Die erste Generation des Asachi in der Moldau und des Heliade Radulescu in der Wallachei engagierten sich von aufklärerischem Enthusiasmus bewegt in ehrgeizigen Kulturprojekten, die ihre eigenen Möglichkeiten, aber auch jene ihrer Epoche weit überstiegen. Ihre Nachfolger der zweiten Generation-Alecsandri, Kogalniceanu, Alecu Rus-60
Zwei Regresse des Selbstbewusstseins bei Fichte (2015)
In this paper, I propose two different reconstructions of Fichte's famous regress-objections for reflexive theories of self-consciousness. The first one of them is built on the concept of consciousness and bares a remarkable resemblance to Sartre's argument for a pre-reflexive 'cogito'. The second one is build on the concept of the 'I'. I argue that although traces of both objection can be found in Fichte's text they should not be confused. I also argue that the second reconstruction provides Fichte with a philosophically much more interesting insight than the first.
Fiktionskritik. Überlegungen zur ‚Unwahrheit‘ des literarischen Erfindens
Johannes Franzen I. Fiktionalität bedeutet Freiheit: Indem ein Autor einen Text als ‚fiktional' markiert, erwirbt er sich das Recht, bestimmte Lizenzen in der Darstellung wahrzunehmen. Der Verfasser eines fiktionalen Textes ‚darf' mehr als der Verfasser eines faktualen Textes. Ein Romancier muss sich nicht an dieselben Regeln halten wie eine Journalistin, ein Theaterautor hat mehr Freiheiten als eine Historikerin. Diese Freiheit beruht auf dem Versprechen, das fiktionale Texte ihren Lesern in einer konventionalisierten Kommunikationssituation vermitteln: Für die bedeutsamen Elemente der hier dargestellten Handlung (und das heißt in den meisten Fällen für die Protagonisten) existieren keine Referenten in der Alltagswirklichkeit -es handelt sich um erfundene Figuren. 1 Zu den meistgenannten Lizenzen, die sich aus dieser markierten Erfundenheit ableiten lassen, gehören das Recht auf umfangreiche Bewusstseinsdarstellungen; das Recht darauf, die Struktur der Handlung nach den Kriterien literarischer Kohärenzbildung (Leitmotive, poetic justice) zu gestalten, sowie das Recht, von den konventionalisierten Regeln der Wahrscheinlichkeit abzuweichen (Phantastik). Weniger oft genannt, aber meines Erachtens von ebenso großer Bedeutung, ist das Recht auf Rücksichtslosigkeit: Erfundene Figuren können den Autor nicht verklagen oder ihm wütend die Freundschaft kündigen. Eine fiktive Figur kann auch durch die gnadenloseste Charakterisierung nicht verletzt werden -die Nicht-Referenz fiktionaler Texte befreit ihre Verfasser also von Rücksichtnahme. 2 Allerdings ist die Praxis der Fiktion, das markierte Erfinden von Figuren, Schauplätzen und Ereignissen, immer auch historisch und kulturell bedingten Reglementierungen unterworfen. Denn die Freiheit, die den Autoren fiktionaler Texte zukommt, wird je nach soziokulturellem Kontext auch als Gefahr wahrgenommen. Die Vorstellung, dass Fiktion Lizenzen besitzt, begleitet grundsätzlich auch die Angst davor, dass diese Lizenzen missbraucht werden könnten. Fiktionskritik findet hier ihren Gegenstand: Sie ist darum bemüht, vor den negativen
Selbstreferenz als literarische Konstante – Einleitung
2020
Beschäftigt man sich mit dem Phänomen literarischer oder auch künstlerischer Selbstreferenz1 stößt man auf eine Fülle von Konzepten sowie simultan und teilweise synonym verwendeten Begriffen wie ‚Potenzierung‘2, Komposita mit dem Präfix ‚Meta-‘3 oder ‚Selbstreflexion‘4. Lässt man vereinzelte Bemerkungen in größeren Zusammenhängen außer Acht, wurden selbstreferentielle Textstrukturen zwar erst in den 1970er Jahren als lohnenswertes Ziel literaturbzw. kulturwissenschaftlicher Forschung entdeckt,5 doch führte insbesondere die seit Beginn der 1990er Jahre einsetzende rasche Intensivierung der Forschung auf diesem Gebiet6 zu einer Begriffsund Perspektivenverwirrung7. Einen großen Schritt in Richtung einer Systematisierung der nunmehr kaum überschaubaren Forschung leistete schließlich der im Jahr 2007 von Janine Hauthal, Juli1.