Faktizität und Anwendung des Rechts. Elemente der Normativität und Grundlagen einer Anwendungstheorie (original) (raw)
Der Konflikt legt nahe, dass das Axiom O~p folgendermaßen beschrieben werden muss: "Ich darf mein Kind nicht aufgeben.", während Op "Ich darf mein Kind aufgeben" entsprechen würde. Der Sinn vom Axiom Op kann wiederum nicht korrekt verstanden werden, ohne dass dasjenige verstanden wird, was in ihm impliziert ist: das Gebot alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das bestmögliche Ergebnis für den Schutz beider Kinder zu erreichen, was miteinschließt, das ältere Kind loszulassen. Für das, was in Op impliziert ist, sind also zwei Ausformulierungen denkbar, welche zwischen der allgemeinen Aufforderung, eine Entscheidung zu autorisieren, was denn angesichts von Ausnahmesituationen das Beste ist (Op1), oder -eher objektiv -eine Aufforderung, die angesichts der konkreten Umstände das Gebot zur Aufgabe des Kindes sofort erkennt (Op2), oszillieren. Op1 könnte also folgendermaßen beschrieben werden: "Ich muss so handeln, dass für den Schutz meiner Kinder das bestmögliche Resultat erzielt wird.", während für Op2 folgende Aussage zutreffend wäre: "Ich darf (ja ich muss sogar) ein Kind opfern, wenn das die einzige Handlungsmöglichkeit ist, den Tod aller meiner Kinder zu verhindern." Das Axiom O(~p V p) beschreibt innerhalb der Grenzen der Aussagen, die von Op abgeleitet sind, nämlich Op1 und Op2, die logische Plicht, entweder nicht zu opfern, oder aber zu opfern. Es beschreibt jedoch nicht zwei Normen a priori, die um die beste Lösung des Dilemmas konkurrieren. Angenommen es wäre unbestreitbar, dass das moralische Gebot existiert, Kinder nicht zu opfern, gibt es nur eine Norm a priori: diejenige die durch O~p beschrieben wird. Ein näheres analytisches Eingehen auf die möglichen Propositionen für Op zeigt, dass Op1 die Aufgabe mit sich bringt, die vorliegenden faktischen Umstände angemessen zu überprüfen, um sich für das bestmögliche Ergebnis entscheiden zu können, direkt auf den Augenblick der Entscheidung. Die Lösung bestünde dann darin, ein kontingentes Rationalitätskriterium zu finden, das in Ausnahmefällen das Aufgeben eines Kindes als "das bestmögliche Ergebnis" (Op1) rechtfertigt. Wenn jedoch der Inhalt von Op1 aufmerksam analysiert wird, dann wird schnell klar, dass es sich im Vergleich zu O~p um ein irrelevantes Axiom handelt.