Die Kunst, das Gekrümmte in das Gerade zu verwandeln. Coincidentia oppositorum und Grenzübergänge bei Nikolaus von Kues (ZÄK 62/2 · 2017) (original) (raw)

Während Cusanus heute für seine theologisch-metaphysischen Arbeiten bekannt ist, galt er noch den Forschern des 18. und 19. Jahrhunderts in erster Linie als Mathematiker. 1 Diesen Ruf brachten ihm seine Bemühungen um die Quadratur des Kreises ein. In mindestens zehn Versuchen beschäftigt er sich mit dem Problem, einen Kreis (mittels Zirkel und Lineal) 2 in ein flächengleiches Quadrat zu verwandeln. 3 In diesen Abhandlungen taucht auch jenes Prinzip auf, das an den Namen Cusanus heute angeheftet scheint und das für meine Überlegungen zentral sein wird: die coincidentia oppositorum. In den mathematischen Schriften wird sie weder begründet noch plausibel zu machen versucht, sondern vorausgesetzt. Cusanus zeigt sich euphorisch über die Ergebnisse, die er auf Basis der coincidentia oppositorum kurze Darstellung, die auch den philosophischen Kontext der Arbeiten bei Cusanus anspricht, findet sich in Jean-Michel Counet: Mathematics and the Divine in Nicholas of Cusa, in: Mathematics and the Divine -A Historical Study, hg. von Teun Koetsier und Luc Bergmans, Amsterdam et al. 2005, 275-290, hier 286-289. Vom Standpunkt des Mathematik-Historikers vermögen Cusanus' Überlegungen zur Kreisquadratur Interesse wecken, aus der Sicht der heutigen Mathematik bleibt nichts von ihnen bestehen, zumal sie sich dem nachweislich unlösbaren Problem der Kreisquadratur widmen und Cusanus Näherungslösungen heute nicht mehr relevant (und fehlerhaft) sind. Auch Cusanus selbst hielt die Quadratur des Kreises -die Konstruktion eines zu einem gegebenen Kreis flächengleichen Quadrats mit Zirkel und Lineal -jedenfalls in gewisser Hinsicht für unmöglich, allerdings aus metaphysischen Gründen, die schon in der Antike formuliert wurden: Kreis und Quadrat sind als gekrümmte und gerade Figur ihrem Wesen nach verschieden. Welchen Standpunkt genau Cusanus zur Kreisquadratur einnimmt, ist allerdings umstritten, vgl. etwa Fritz Nagel: Nicolaus Cusanus und die Entstehung der exakten Wissenschaften, Münster 1984, 61-63; Jean-Michel Counet: Mathématique et dialectique chez Nicola de Cues, Paris 2000, 268-272.