Kopf (original) (raw)

Kopf einer Mänade

Festgabe des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Leipzig zur Erinnerung an Johann Joachim Winckelmann, Leipzig am 9. Dezember 2019, 2019

Den Kopf seiner Eltern fressen

Dieb des Feuers, beladen mit Menschlichkeit,sogar für Tiere» (Rimbaud. 15 Mai 1871) «Um allein zu leben, muß man ein Tier oder Gott sein» -sagt Aristoteles. Bleibt noch ein dritter Fall: man muss gleichzeitig beides sein... Philosoph...» * (Nietzsche) Die Emotion war stark, als gegen Ende des letzte Jahrhunderts die englische anthropologische Schule versuchte « die Überbleibsel eines wilden Zustandes» im Denken und in der Gesellschaft anzuprangern, in der die abendländischen Zivilisation ohne Sorge ihre Prinzipien und ihre Werte verortet hat. Die Griechen, die auf wundersame Art und Weise die im Menschen inkarnierte Vernunft entdeckt hatten und die als Erste die privilegierte Stellung des menschlichen Wesens in der Welt anerkannt hatten, hatten sie das Menschenfleisch genießen und den Menschen essen können wie die Irokesen und die Wilden aus Melanesien? Wenn die Mythen sehr wohl Zeugnis eines überkommenen sozialen Zustandes trugen, wie es Tylor und seine Schüler bewiesen, dann mussten das Mahl des Thyestes, das Opfer von Lyakon, die Geschichte von Kronos ebenso belastende Beweise sein, dass die Vorfahren von Platon außerordentlich den amerikanischen Indianern ähnelten. 1 Wenn die Hellenisten heutzutage Opfer von Schlaflosigkeit sind, so liegt es zweifelsohne nicht mehr am Kannibalismus eines Urgroßvaters von Platon. Und das Problem stellt sich mit anderen Begriffen. 2 Abgesehen vom ungewöhnlichen Ritual, wie jenes des Wolfmenschen, in dem die Initiierten sich Menschenfleisch, gemischt mit Stücken eines tierischen Opfers teilten, ist die Anthropophagie im antiken Griechenland grundlegend «gut zu denken», sei es in den Mythen, in den religiösen Repräsentationen oder in den politischen Ideologien. Die Entzifferung des Kannibalismus kann infolgedessen auf zweierlei Arten in Angriff genommen werden. Die erste ist eine Art thematischer Lektüre, deren Feld sich auf die Serien von Mythen und Erzählungen ausweitet, in mehr oder weniger episodischer Form das Motiv der Anthropophagie auftaucht. Dionysos, der von den * Detienne Marcel, Dionysos mis à mort (Paris: Gallimard 1977), S. 133-160. * Detienne übersetzte hier wohl frei, sofern es sich um die Passage aus: Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1888 handelt. «Um allein zu sein, muß man ein Tier oder ein Gott sein» -sagt Aristoteles. Beweisen wir, daß man Beides sein muß … Müßiggang ist aller Philosophie Anfang. -Folglich -ist Philosophie ein Laster? Wie wenig gehört zum G l ü c k ! D e r T o n e i n e s D u d e l s a c k s . . . O h n e M u s i k w ä r e d a s L e b e n e i n I r r t h u m .» http://www.nietzschesource.org/#eKGWB. Titanen aufgefressen wird, Tereus und Thyestes, die ihre Kinder verschlingen, die thebanische Sphinx, die die jungen Knaben verzehrt, mit denen sich kopuliert, Tantalus und Lykaon, die den Göttern ein Mahl aus Menschenfleisch darbeiten, Kronos, der die Sprösslinge herunterschlingt, die ihm Rhea gebärt, so viele Mythen, in denen der Kannibalismus unmittelbar auftritt, die aber, sobald sie für das Bedürfnis einer Untersuchung zusammengetragen werden, sich als voneinander deutlich unterschieden erweisen. Denn die Bedeutung dessen, was sich wie ein anthropophagisches Verhalten auszugeben scheint, offenbart jedes mal einen Kontext, der alleine über den wahren Sinn entscheiden kann. Zwei Beispiele sollen ausreichen, um die Aporien der ersten Methode darzulegen. Jenes von Kronos zuerst. Eine naive Lektüre von Hesiod kann glauben machen, dass Kronos ein kannibalischer Vater ist, weil er jedes Neugeborene hinunterschlingt, alsbald es Rhea zwischen ihrem Schoß hält. 3 Aber einmal wieder in den Kontext der Mythen über die Souveränität gestellt, wohin sich seine Geschichte einschreibt, nimmt das Verhalten von Kronos einen ganz anderen Sinn an. 4 Wie Zeus, der im Mythos von Hesiod sein Amtskollege ist, ist Kronos ein souveräner Gott, dessen Schicksal es ist, von seinem Sohn entthront zu werden, von einem Kind, das viel mächtiger ist, als sein Vater. Um dieser Gefahr zuvorzukommen, greifen Kronos und Zeus auf die gleiche Prozedur zurück: das Schlucken (katapíneei). Kronos verschlingt seine von Rhea gezeugte Nachkommenschaft nicht Körperteil für Körperteil, er schlingt sie ganz lebendig, wobei er darauf wartet, sie unter der Wirkung der Droge, die ihm die Komplizin von Zeus, Metis, verabreicht, wieder auszuspucken. Eben jene Metis, die Zeus, seinerseits bedroht, ein viel mächtigeres Kind zu erwarten, das ihm die Souveränität entzieht, beschließt zu verschlucken, nachdem sie ihn geheiratet hat, um sich auf eine Art und Weise seine ganze listige Intelligenz zu eigen zu machen, ohne die seine Regierung ebenso ephemer wie jene von Kronos wäre. Weder der eine, noch die andere sind echte Kannibalen: sie sind souveräne Götter, die ihre Gegner hinunterschlucken, um ihre Macht zu verteidigen oder zu begründen. Das zweite Beispiel wird uns von den Mythen um Tereus und Polytechnos 5 geliefert, zwei Versionen einer Geschichte, in der ein Mann, ohne es zu wissen, das Fleisch seines Kindes isst, das ihm sorgfältig von seiner Gattin zubereitet wurde. Von seinem Kontext isoliert, erlaubt diese monströse Mahlzeit jeglichen Widersinn, darunter jenen des dionysischen Banketts und des omophagischen Mahls 6. Eine Analyse des mythologischen Kontextes erlaubt es hingegen, weil er diese Mythen in ein um den Honig zentriertes Ensemble einschreibt, den Sinn der von Tereus und Polytechnos praktizierten Allelophagie zu präzisieren 7. Schließlich sind diese beiden Mythen parallele Versionen einer Erzählung, die von einem ausschweifenden Honigmond ausgeht und in der Umwandlung des Honigs in Fäulnis und Exkremente mündet. In der Version von Tereus wird 3 Théog., 459-460. 4 Cf. J.-P. Vernant, «Mètis et les mythes des souveraineté», Revue de l´histoire des religions, 1971, 29-76 (bes. 41-44) aufgenommen in M. Detienne und J.-P. Vernant, Les Ruses de l´intelligence. La mètis des Grecs, Paris, 1974, 70-74. 5

Den Kopf voll Verantwortung

RoSE - Research on Steiner Education, 2024

Ein Beitrag zum Verständnis des 12. Vortrags der Allgemeinen Menschenkunde Rudolf Steiners

Den Kopf seiner Verwandten fressen

aufgefressen wird, Tereus und Thyestes, die ihre Kinder verschlingen, die thebanische Sphinx, die die jungen Knaben verzehrt, mit denen sich kopuliert, Tantalus und Lykaon, die den Göttern ein Mahl aus Menschenfleisch darbeiten, Kronos, der die Sprösslinge herunterschlingt, die ihm Rhea gebärt, so viele Mythen, in denen der Kannibalismus unmittelbar auftritt, die aber, sobald sie für das Bedürfnis einer Untersuchung zusammengetragen werden, sich als voneinander deutlich unterschieden erweisen. Denn die Bedeutung dessen, was sich wie ein anthropophagisches Verhalten auszugeben scheint, offenbart jedes mal einen Kontext, der alleine über den wahren Sinn entscheiden kann. Zwei Beispiele sollen ausreichen, um die Aporien der ersten Methode darzulegen. Jenes von Kronos zuerst. Eine naive Lektüre von Hesiod kann glauben machen, dass Kronos ein kannibalischer Vater ist, weil er jedes Neugeborene hinunterschlingt, alsbald es Rhea zwischen ihrem Schoß hält. 5 Aber einmal wieder in den Kontext der Mythen über die Souveränität gestellt, wohin sich seine Geschichte einschreibt, nimmt das Verhalten von Kronos einen ganz anderen Sinn an. 6 Wie Zeus, der im Mythos von Hesiod sein Amtskollege ist, ist Kronos ein souveräner Gott, dessen Schicksal es ist, von seinem Sohn entthront zu werden, von einem Kind, das viel mächtiger ist, als sein Vater. Um dieser Gefahr zuvorzukommen, greifen Kronos und Zeus auf die gleiche Prozedur zurück: das Schlucken (katapíneei). Kronos verschlingt seine von Rhea gezeugte Nachkommenschaft nicht Körperteil für Körperteil, er schlingt sie ganz lebendig, wobei er darauf wartet, sie unter der Wirkung der Droge, die ihm die Komplizin von Zeus, Metis, verabreicht, wieder auszuspucken. Eben jene Metis, die Zeus, seinerseits bedroht, ein viel mächtigeres Kind zu erwarten, das ihm die Souveränität entzieht, beschließt zu verschlucken, nachdem sie ihn geheiratet hat, um sich auf eine Art und Weise seine ganze listige Intelligenz zu eigen zu machen, ohne die seine Regierung ebenso ephemer wie jene von Kronos wäre. Weder der eine, noch die andere sind echte Kannibalen: sie sind souveräne Götter, die ihre Gegner hinunterschlucken, um ihre Macht zu verteidigen oder zu begründen. Das zweige Beispiel wird uns von den Mythen um Tereus und Polytechnos geliefert, zwei Versionen einer Geschichte, in der ein Mann, ohne es zu wissen, das Fleisch seines Kindes isst, das ihm sorgfältig von seiner Gattin zubereitet wurde. Von seinem Kontext isoliert, erlaubt diese monströse Mahlzeit jeglichen Widersinn, darunter jenen des dionysischen Banketts und des omophagischen Mahls. 7 Eine Analyse des mythologischen Kontextes erlaubt es hingegen, weil er diese Mythen in ein um den Honig zentriertes Ensemble einschreibt, den Sinn der von Tereus und Polytechnos praktizierten Allelophagie zu präzisieren. 8 Schließlich sind diese beiden Mythen parallele Versionen einer Erzählung, die von einem ausschweifenden Honigmond ausgeht und in 5 6 7 8 3 der Umwandlung des Honigs in Fäulnis und Exkremente mündet. In der Version von Tereus wird der Gatte, der den Honigmond missbraucht, zunächst dazu verdammt, seine Schwägerin zu verführen und zu vergewaltigen, um in Folge das Fleisch seines Kindes zu verzehren, bevor er sich in einen Wiederhopf * metamorphisiert, sozusagen ein Vogel, der sich von menschlichen Exkrementen ernährt. In der Version von Polytechnos, der der Specht ist, der Meister des Honigs und der Bienen, führt ein gleichfalls ausschweifender Honigmond den schuldigen Gatten über den gleichen Weg (Vergewaltigung, Allelophagie) dazu, durch den Honig zu Grunde zu gehen, in den man ihn zuerst gerollt hat, bevor man ihn den Insektenbissen und den Fliegenstichen überlässt. Eine Marter, die perfekt zum Schuldigen passt, dessen initiale Schuld darin bestand, sich zu lange im Honig gewälzt und mit Exzess gegessen zu habenum die Ausdrücke wieder aufzunehmen, die die Griechen verwendeten, wenn sie über den Honigmond und die Leidenschaft sprachen, welche sich die jungen Vermählten einander entgegenbringen. Denn die Mythen von Tereus und Polytechnos schildern schlichtweg, wie ein schlechter Umgang mit dem Honig dieses Nahrungsmittel in sein Gegenteil verwandelt, in Exkremente oder in Fäulnis, eine Transformation, die durch eine Phase von Allelophagie vermittelt ist, die andere Mythen der gleichen Gruppe als den Zustand vor der Entdeckung des Honigs definieren, indem sie erzählen, wie die Menschen sich bis zu jenem Moment gegenseitig aufassen, als die Bienenfrauen ihnen lehrten, sich vom im Walt gesammelten Honig zu ernähren. 9 In Konsequenz daraus erweist sich der Kannibalismus dieser Mythen am Ende einer strukturalen Analyse zugleich als das Zeichen einer Regression unterhalb des Honigs und als der erste Grad einer Verwesung der honighaltigen Nahrung, bevor sie sich im Falle des Wiederhopfes in ein Exkrement verwandelt oder in Fäulnis, wenn es sich um den Specht handelt. Statt einer systematischen Lektüre der unterschiedlichen Gruppen von Mythen, zu der die Erzählungen gehören, die sich auf die Anthropophagie beziehen, bleibt noch ein anderer Weg offen: den Kannibalismus im Inneren des Denksystems der Griechen zu definieren, ihn im Ensemble der Repräsentationen zu verorten, die sich eine Sozietät von sich selbst und vom Anderen macht, ausgehend von den Essensgewohnheiten. Die Anthropophagie schließlich, die die Griechen für eine Modalität der Allelophagie halten, ist ein grundlegender Ernährungscode, der in ihrem sozialen und religiösen Denken eine privilegierte Bedeutungsebene darstellt, um das Ensemble der Beziehungen zwischen dem Menschen, der Natur und der Übernatur zu bestimmen 10 . Es ist demnach nötig, das ganze System zu entfalten, um schließlich den Kannibalismus aus der marginalen Position herauszuziehen, den ihm explizit eine Gesellschaft aufzwingt, die sich radikal weigert, ihn zu praktizieren, die aber dadurch, dass sie es akzeptiert, darüber zu sprechen, die rebellischen Individuen und Gruppen dazu zwingt, ihre Ablehnung über den Umweg dieses * Frz. Huppe, kann auch mit Haubentaucher übersetzt werden. 9 10

Mind|Things – Kopf|Sache

2012

Die menschliche Wahrnehmung zeigt sich immer wieder als besonders trügerisch. Dass die Apperzeption von Dingen aus der Welt in den Fokus der Experimentalpsychologie rückt, liegt daher auf der Hand. Denn mit Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten erfährt der Mensch Informationen, die kognitiv weiterverarbeitet werden und Kopf|Sachen entstehen lassen, die Forschern bis heute große Rätsel aufgeben. In "Mind|Things - Kopf|Sache" werden Instrumente und Apparate aus der Psychologischen Sammlung des Museums der Universität Tübingen MUT in einer Dauerausstellung präsentiert, die zuvor noch niemals öffentlich zu sehen waren.

»Diesmal geht es wirklich um meinen Kopf«

Der Spiegel, 2024

Bei Archivstudien hat der Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe die Lebenserinnerungen des KGB-Attentäters und Überläufers Bogdan Staschinski gefunden. Die Aufzeichnungen liefern Stofffür einen Agententhriller.

Umstellung beginnt im Kopf

2016

Finanzielle Anreize reichen nicht aus, um Landwirte fur den Biolandbau zu gewinnen. Entscheidend sind gute Beratung, familiare Unterstutzung, Anerkennung aus dem Umfeld und – ganz wichtig – der eigene Antrieb.