Die physikalischen Korrelate von Instrumentalklangfarben (original) (raw)
Siddiq, Saleh; Reuter, Christoph; Czedik-Eysenberg, Isabella; Knauf, Denis: Die physikalischen Korrelate von Instrumentalklangfarben. In: Fortschritte der Akustik - DAGA 2018, 44. Deutsche Jahrestagung für Akustik. München 2018, S. 1695-1698. Hintergrund In der Klangfarbenforschung werden häufig Verfahren ein-gesetzt, die perzeptiven Klangfarbenunterschiede als Entfer-nungen in virtuellen, n-dimensionalen Räumen darstellen [1] [2][3][4][5][6]. Die Ähnlichkeitsverhältnisse der Klang-farben werden in Hörversuchen empirisch ermittelt. Die für die Forscher zu beantwortende Frage ist, welche physika-lischen Klangparameter die Hauptachsen (Dimensionen) des virtuellen Raums inhaltlich sinnvoll beschreiben. Diese Ver-bindung war zumeist das Ergebnis eines " educated guess " , also der (subjektiven) Interpretation des Datenmaterials durch die Forscher. In einer Vielzahl von Studien wurden zahlreiche Parameter ermittelt, um die Dimensionen dieses Raums zu erklären. Für die ersten beiden Dimensionen haben sich in großer Übereinstimmung eine Skala der spektralen sowie der zeitlichen Hüllkurve als quasi-Standard etabliert [7]. Erstere wird meist als Schärfe-oder Helligkeitsachse bezeichnet und beschreibt die Energieverteilung im Klangspektrum. Letzterer liegen Parameter zugrunde, die das Einschwing-verhalten der Klänge beschreiben. Eine eventuell vor-handene dritte Dimension konnte nicht so eindeutig durch eine bestimmte Klangeigenschaft beschrieben werden [7]. Diese bisherigen Ergebnisse sind aus zwei Gründen proble-matisch: 1. Gemäß der Definition des American National Standards Institute (ANSI) ist Klangfarbe dasjenige Attribut, anhand dessen ein Hörer zwei Klänge unterscheiden kann, die bei gleicher Lautheit und Tonhöhe zeitgleich präsentiert werden [8]. Obwohl diese Definition stark kritisiert wurde [9][10][11], führte sie dazu, dass Instrumente meist nur auf einer Tonhöhe verglichen und damit nur durch einen einzigen Ton repräsentiert wurden. 2. In praktisch allen Studien wird nach Unterschieds-bzw. Identitätsmerkmalen der Klangfarben von Musikinstru-menten gefragt. Musikinstrumente können jedoch auf viel-fältige Weise angeregt werden und folglich eine große Band-breite an Klangfarben erzeugen. Instrumente auf einen Ton zu reduzieren hat zur Folge, dass effektiv nicht Musikinstru-mente, sondern nur einzelne, von verschiedenen Instru-menten produzierte Klänge erforscht wurden. Forschungs-frage und Methode greifen letztlich nicht in gewünschter Weise ineinander. Fragestellung Tatsächlich lassen Studien mit mehr als einem Ton pro Instrument vermuten, dass der virtuelle Raum in diesem Fall durch andere Klangparameter erklärt werden muss [12][13]. Die Frage der hier vorgestellten Studie lautet folglich: Welche physikalischen Klangparameter sind geeignet, die perzeptive Klangverteilung im virtuellen Raum zu erklären? Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche dieser Klang-parameter zur Identifikation bzw. Diskrimination von Musik-instrumenten geeignet sind. Methode Im Hörversuch wurden die subjektiven Unterschiede der verwendeten Klänge ermittelt. Diese wurden in Unähnlich-keitsmatrizen gespeichert, welche mittels Multidimen-sionaler Skalierung (MDS) in eine räumliche Darstellung übertragen wurden. Zudem wurden die Klänge mithilfe der Möglichkeiten des Music Information Retrieval (MIR) auf ihre physikalischen Eigenschaften hin analysiert. Dabei wurden die Ausprägungen der verschiedenen Eigenschaften der Klänge (Deskriptoren) in numerischen Werten ausge-drückt. Um Zusammenhänge zwischen den Dimensionen des perzeptiven Raumes und den Deskriptoren offenzulegen, wurden die Korrelationen zwischen den Koordinaten-vektoren der Raumdimensionen und den Wertetabellen der Deskriptoren berechnet. Stimuli Es wurden fünf Instrumente (Fagott, Flöte, Klarinette, Posaune, Cello) aus dem Orchesterrepertoire europäischer Kunstmusik in jeweils drei Tonhöhen und drei Dynamik-stufen (pp, mf, ff), also mit jeweils neun Tönen verglichen. Eine detaillierte Beschreibung der Stimuliauswahl findet sich in Siddiq et al. 2017 [14]. Versuchspersonen Insgesamt wurden 43 Versuchspersonen (Vpn) im Alter von 13–75 Jahren (Ø = 32,86, SD = 14,93, weibl. = 20, männl. = 22, andere/k.A. = 1) getestet. Davon waren 32 aktuell bzw. acht ehemals musikalisch aktiv (2–60 Jahre Erfahrung, Ø = 20,66, SD = 14,08). Zwei Personen gaben an, nie musikalisch aktiv gewesen zu sein. Hörversuch Die Vpn sollten die Klangfarbenunterschiede aller Klänge im Paarvergleich subjektiv bewerten. Die Bewertung erfolgte mittels einer siebenstufigen Skala, wobei 1 der geringste Unterschied (größte Ähnlichkeit) und 7 der größte Unterschied war. Detailliertere Angaben zum Ablauf des Hörversuchs finden sich in Siddiq et al. 2017 [14]. Auswertung Die subjektiven Daten wurden in einer Gesamtmatrix zusammengefasst und in R einer MDS (Package " smacof " , ordinal) unterzogen. Das Ergebnis ist eine 4-dimensionale Konfiguration (Stress–I n. Kruskal = 0,0320). Die Eingangsdaten (Proximitäten) werden durch die MDS-Distanzen offenbar gut abgebildet (r = 0,97, p < 0,00001). Die MIR-Analyse wurde in MATLAB mittels der MIR-Toolbox [15] durchgeführt. Siddiq, Saleh; Reuter, Christoph; Czedik-Eysenberg, Isabella; Knauf, Denis: Die physikalischen Korrelate von Instrumentalklangfarben. In: Fortschritte der Akustik - DAGA 2018, 44. Deutsche Jahrestagung für Akustik. München 2018, S. 1695-1698.