Rezension zu: Esther Hanssen: Linking elements in compounds. Regional variation in speech production and perception (original) (raw)
2016, Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die kumulative Dissertation der Autorin, bestehend aus fünf gemeinsam mit anderen publizierten Aufsätzen, einem Einleitungskapitel und einem Fazit. Hanssen verfolgt darin mit experimentellen Methoden verschiedene psycholinguistische Fragestellungen zum niederländischen Fugen-en in N+N-Komposita, wobei ein besonderes Augenmerk darauf liegt, dialektale Variation für das morphologische Verständnis der en-Fuge fruchtbar zu machen. Ausgangspunkt ist die formale Identität von Pluralmarker und Fugenelement im Standardniederländischen (z.B. not+en ‚Nüsse', not+en+kraker ‚Nussknacker'), hieran schließt sich für Hanssen die Frage an, ob die en-Fuge als Pluralmorphem wahrgenommen wird. In Kapitel 2 wird überprüft, ob sich in verschiedenen Regionen (Norden, Süden, Osten, Westen, Mitte) funktionsbezogene Unterschiede zwischen der Artikulation von Fuge und Pluralmorphem ergeben. Durch die n-Apokope bestehen im Niederländischen auch die Aussprachevarianten not+e bzw. not+e+kraker. Ein Experiment zur Bildbenennung mit Schüler/innen landwirtschaftlicher Schulen erbrachte, dass die Apokope sich generell regional unterscheidet: Während im Norden und Osten nur wenig apokopiert wurde, tendierte man in der Mitte und im Westen zu Apokope, im Süden ergab sich keine Präferenz. In allen Regionen außer dem Süden wurde jedoch die -in Phrasen befindlichen -Plurale (noten kraken) signifikant weniger apokopiert als die Fugenelemente in Komposita (notenkraker), auch wenn die Differenzen gering sind (ca. 10 Prozentpunkte). Hanssen nimmt eine prosodische Ursache für den Unterschied an: Durch wortfinale Längung in der Phrase steigt die Realisierungswahrscheinlichkeit von n bei Pluralmorphemen. Daraus, dass die Apokope bei Pluralmarker und Fuge dennoch stark korreliert, ergibt sich für Hanssen die Vermutung, dass Sprecher/innen nicht zwischen beidem unterscheiden (S. 27): "It is concluded that Dutch speakers often do not distinguish plural -en from linking en in their speech production. Possibly, speakers of Dutch consider linking en and plural -en as the same morpheme." So wenig, wie die Verwendung des gleichen phonologischen Materials (en bzw. e) Aufschluss über den morphologischen Status geben kann, so wenig kann das aber auch die Anwendung des gleichen phonologischen Prozesses. Die Annahme eines gemeinsamen Morphems aufgrund der gemeinsamen Apokope erscheint besonders problematisch, wenn man, wie Hanssen selbst auch anführt (S. 48), berücksichtigt, dass die n-Apokope darüber hinaus in weiteren Kontexten auftritt, z.B. bei Infinitiven (klope(n) ‚klopfen') und bei verbalen Pluralmorphemen (wij klope(n) ‚wir klopfen'), eine morphologische Steuerung des phonologischen Prozesses sich also anderswo nicht zeigen lässt. Kapitel 3 geht der Frage nach, ob das Friesisch zweisprachiger Sprecher/innen (Niederländisch/Friesisch) bei Fuge und Pluralmarker Transferenzeffekte aus dem Niederländischen aufweist. Im Gegensatz zum Niederländischen verteilen sich beide Elemente im Friesischen komplementär, e wird als Fuge, en als Plural genutzt. Eine Übertragung vom Friesischen ins Niederländische kann Hanssen anhand der Daten aus Kapitel 2 ausschließen: Die Niederländischsprecher/innen aus der Region Norden zeigten für beide Funktionen einheitliches Verhalten, sie apokopierten wenig. Umgekehrt könnte sich jedoch die Nichtunterscheidung des Niederländischen aufs Friesische übertragen. Die Ergebnisse zeigen aber, dass sich die Realisierung im Friesischen auch bei zweisprachigen Muttersprachler/innen (Friesisch L1, Niederländisch L2) signifikant nach Plural (en) und Kompositum (e) unterscheidet. Zweisprachige Nicht-Muttersprachler/innen (Niederländisch L1, Friesisch L2) apokopieren hingegen auch beim Plural stärker. Hanssen argumentiert auf dieser Datenbasis dafür, dass die Sprecher/innen beide Sprachsysteme getrennt halten, weil es nicht zu Transferenzerscheinungen komme. Diese Interpretation erscheint in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen sind bei den L2-Sprecher/innen des Friesischen durchaus Kontakterscheinungen zu beobachten (es wird in beiden Kontexten gleichermaßen apokopiert), zum zweiten kann nicht aus einem derart kleinen Ausschnitt des Sprachsystems auf die gesamte Organisation bilingualer kognitiver Strukturen geschlossen werden, die Abwesenheit von Transferenz bei Fuge und Plural sagt nichts über die Abwesenheit von Transferenz im Gesamtsystem aus. Kapitel 4 nimmt die Interpretation des Kompositionserstglieds mit en-Fuge in den Blick. Mit Hilfe eines Reaktionszeitmessungsexperiments wurde Literatur: Baayen, Harald, Ton Dijkstra & Robert Schreuder (1997): Singulars and plurals in Dutch: Evidence for a parallel dual-route model. Journal of Memory and Language 37, 94-117.