Authentische Drachen und realistisches Mittelalter – Mittelalterrezeption im digitalen Spiel (original) (raw)

Die Vermittlung von Geschichte beziehungsweise historischen Ereignissen stellt je nach Art des Mediums unterschiedliche Anforderungen an die Rezipient_innen. Während es Bücher den Leser_innen überlassen, die darin beschriebene Welt durch eigene Bilder zu synthetisieren, vermitteln bildgebende Medien wie der Film eine präkonfigurierte Visualität, die sich im Kino häufig auf Attraktion und Spektakel fokussiert. Das Video- oder Computerspiel ergänzt diesen Ansatz noch um eine interaktive Komponente, sodass die Spieler_innen sich nicht nur innerhalb einer historischen Rahmung bewegen, sondern diese durch ihre Taten auch beeinflussen können. Damit stellt sich die Frage: Was wird minimal benötigt, um ein Setting im digitalen Spiel ‚mittelalterlich‘ erscheinen zu lassen? Theoretisch reichen dafür ein wenig Natur, ein gesatteltes Pferd und ein Schmied, der vor seiner Hütte unaufhörlich ein glühendes Metallstück bearbeitet. Will man die Konturen schärfen, können noch ein Ritter in Ganzkörperrüstung und ein Lautenspieler hinzuaddiert werden. Fügt man dieser Melange jedoch zusätzlich einen Drachen hinzu, landet man schon im artverwandten Fantasy-Setting und hat die Grenze von ‚realistisch‘ und ‚fiktional‘ überschritten, die die Genres ‚Mittelalter‘ und ‚Fantasy‘ voneinander trennt. Doch wie sind Realität und Fiktion im Kontext des digitalen Spiels zu verstehen? Sind der Schmied und der Ritter nicht ebenso fiktional wie der digitale Drache im selben Setting? Und inwieweit kann man von Realität sprechen, wenn die komplette Diegese nicht – wie im Film – fotografisch abgebildet, sondern digital erschaffen wird? Insofern wäre es wohl zielführender, von Authentizität statt Realismus zu sprechen. Auch hier gibt es aber graduelle Abstufungen, die von ‚keine Drachen‘ bis hin zu ‚historisch akkurat’ reichen, was in diesem Extrem jedoch weitere Fragen aufwirft, die in den letzten Monaten einen nicht unerheblichen Teil der deutschen Games-Community in den sozialen Netzwerken auf die digitalen Barrikaden getrieben haben: Wie authentisch muss ein Spiel sein, um einer realhistorischen Vorlage zu genügen? Wie stark dürfen digitale Spiele von realhistorischen Abläufen abweichen, ohne als geschichtsrevisionistisch etikettiert zu werden? Und schließlich: Ist eine historisch akkurate Darstellung im digitalen Spiel überhaupt möglich?