"DER OSMANISCHE PALAST VON EDIRNE (SARAY-I CEDID-I AMIRE) UND SEINE GESCHICHTE", EOTHEN, VOL. VII., Munchen, 2018, pp. 173- 196. (original) (raw)
Mit dem Bau des neuen Großherrlichen Palastes von Edirne (Saray-ı Cedid-i Amire) wurde in den letzten Herrschaftsjahren von Murad II. im Jahre 1450 am westlichen Ufer des Tunca-Flusses begonnen. Die alte Residenz der Hauptstadt (Saray-ı Atik), die sich im Stadtzentrum auf dem Areal der heutigen Selimiye Moschee befand, war dafür aufgegeben worden. Der neue Palast blieb auch nach der Eroberung Istanbuls durch Sultan Mehmed II. (reg. 1451–1481) und der folgenden Verlegung der Hauptstadt von Edirne nach Istanbul als wichtige Residenz bestehen und entwickelte sich durch Erweiterungen in den Folgejahren zu einem großen Komplex (Abbildungen 1 bis 4). Eine umfangreiche Bautätigkeit war noch in der Zeit von Mehmet II. zu verzeichnen, in seiner größten Ausdehnung umfasste der Palast über 100 Gebäude mit unterschiedlichsten Funktionen. Bis zum 19. Jahrhundert, als sich die Sultane neue Residenzen nach europäischem Vorbild bauen ließen, ist der Palast intensiv genutzt worden, er war zudem Zeuge zahlreicher historischer Ereignisse wie beispielsweise des Beschneidungsfestes der Söhne Mehmeds IV. im Jahre 1675, des Osmanisch-Russischen Krieges (1828–1829) oder der Balkan-Kriege (1911–1912). Beide Kriege gingen mit einer erheblichen Zerstörung der Palastanlage einher, viele Bauwerke sind damals dem Erdboden gleich gemacht worden. Gegenwärtig sind nur wenige intakte Bauteile auf dem weitläufigen Areal zu sehen. Dazu zählen: die Kaiserliche Küche, die Pforte zum Inneren des Palastes Babüssade, das Cihanüma Kasrı (wörtl. Palais Weltaussicht), das Badehaus von Kum Kasrı, das Palais der Gerechtigkeit (Adalet Kasrı), die Fatih-Brücke, die Brücke Süleymans des Prächtigen, die Brücke von Şehabeddin Paşa, das Jagdschlösschen, ein Wasserdepot sowie das Brunnenhaus am Gebetsplatz. Manche dieser Bauwerke sind in einem desolaten Zustand, während einige bereits restauriert bzw. wieder aufgebaut wurden. Erste Plünderungen und Zerstörungen des nicht mehr genutzten Palastes begannen mit dem Einzug russischer Truppen am 22. August 1829 in Edirne. In der Folgezeit konnten die Schäden beseitigt werden, das Areal diente fortan als Munitionsdepot. Im Zuge wiederholter kriegerischer Auseinandersetzungen mit den Russen im Jahre 1877 sowie einer drohenden erneuten Besatzung der Stadt wurde die auf dem Palastareal verwahrte Munition auf Anraten des zuständigen Gouverneurs durch den Kommandanten in Brand gesteckt, um zu verhindern, dass die Munition in die Hände des Feindes fiel. Diese Entscheidung führte zur weitestgehenden Zerstörung der historischen Anlage. Die nach dem verheerenden Brand übrig gebliebenen Gebäude wurden geplündert und als Steinbruch genutzt, sodass sich uns heute ein trauriges Bild darbietet.