"Das Original erschaffen". Zu Schillers Übersetzungsstrategien (original) (raw)

2018, Kreative Praktiken des literarischen Übersetzens um 1800, ed. by Alexander Nebrig, Daniele Vecchiato

In Forschungsarbeiten zur literarischen Übersetzung ist von Friedrich Schiller generell kaum die Rede. Als eine der Ursachen dafür lässt sich sein Ruf als ,Übersetzer der Übersetzer' vermuten, der nicht falsch ist, aber von seinen romantischen Gegnern vielleicht in mehr als gerechtfertigter Weise böswillig übertrieben wurde. Jedenfalls verdanken wir ihm eine Reihe von Übersetzungswerken, die einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Aufnahme von Elementen europäischer Kultur in die deutsche Literatur leisten und ein eigenständiges Konzept sowohl gegenüber den Übersetzungsverfahren des 18. Jahrhunderts als auch dem in Schleiermachers Theorie formulierten romantischen Übersetzungsmodell darstellen. Im Kontext seiner Tätigkeit als Übersetzer und Bearbeiter von Theaterstücken, die er zeitgleich mit seiner dramatischen und lyrischen Produktion betrieb, hat Schiller eine Reihe verschiedener Übersetzungsstrategien angewandt, die zwischen größerer Nähe zum Originaltext und Anwendung individuellerer Ausdrucksformen schwanken. Diese Abweichungen hängen zum Teil von objektiven Rahmenbedingungen sowie von der Sprache ab, da Schiller mit unterschiedlicher Sprachkompetenz aus dem Lateinischen, Französischen, Englischen und Griechischen übersetzt, zum Teil aber auch von der literarischen Gattung, die je nach Fall mehr oder weniger komplexe formale Vorgehensweisen erfordert. Hinzu kommen subjektive und auch funktionale Aspekte, d.h. Schillers Interesse für den Text und seine Verwendung. So ist ihm etwa seit seiner Kindheit Vergils Latein vertraut, wohingegen er für das Griechisch des Euripides sowie Shakespeares Englisch andere Übersetzungen hinzuziehen muss. Was die literarischen Gattungen betrifft, gibt es zwar reichlich lyrische Texte und Prosatexte, aber Schillers Übersetzungstätigkeit konzentriert sich aus nachvollziehbaren Gründen auf die Tragödie, die nicht nur Materie für die Reflexion über das eigene literarische Schaffen bietet, sondern auch Erkenntnisse über die Konzeption von Bühneneffekten ermöglicht. Die Liebe zum Theater und die Auffassung der Tragödie als Repräsentation des Konfliktes zwischen Vernunft und Leidenschaft, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, bilden die Voraussetzung für diese Übersetzungen und steuern den Prozess der Übertragung von einer Sprache in die andere. Im Folgenden betrachte ich exemplarisch 2 drei Übersetzungen: Iphigenie auf Tauris von Euripides, Phädra von Jean Racine und Macbeth von William Shakespeare, wobei Letzterer aus dem Blickwinkel der kritischen Analyse Friedrich Schleiermachers diskutiert wird. I. "Studium der Griechen": Iphigenie in Aulis des Euripides I.1. Schillers Übersetzung im Kontext Aus der Textanalyse der Iphigenie in Aulis geht mehr als deutlich hervor, dass für Schillers Übersetzungen in erster Linie seine Tätigkeit als Dramaturg Pate gestanden hat. 1 Schiller begann mit der Übersetzung von Euripides' Drama in den letzten Monaten des Jahres 1788. Im gleichen Zeitraum begann er auch mit einer Übertragung von Die Phönizierinnen, die er allerdings nicht vollendete. 2 Auslöser des neuen Interesses für die Griechen war fraglos Schillers Begeisterung für Homer und, vor allem, die Tragiker, die er -Letztere in der französischen Übertragung von Pierre Brumoy -gemeinsam mit seiner späteren Frau Charlotte von Lengefeld und deren Schwester Caroline von Beulwitz las. Besonders Caroline ermutigte ihn dazu, den Übersetzungen eine neue, der modernen Rezeption angepasste Form zu verleihen. 3 Schiller berichtet seinerseits, dass das Übersetzen des Euripides ihm große Freude bereite und stellt fest: "ein großter Theil davon kommt auch auf sein Alterthum", da in diesem Text der Mensch "sich so ewig selbstgleich" sei und "dieselben Leidenschaften, dieselben Collisionen der Leidenschaften, dieselbe Sprache der Leidenschaften" habe. 4 Als Gegengewicht zur historischen Distanz zu den antiken Griechen hebt er hervor, dass der Text das unwandelbare Wesen des Menschen als solchen darstelle, "diese Aehnlichkeit, diese Einheit derselben Menschenform". 5 Die Freude am Antiken und die Faszination, die das Klassische in diesen Jahren auf Schiller ausübte, wie die Niederschrift der Texte Die Götter Griechenlandes und Die Künstler bezeugt, reichen nicht als Erklärung aus, warum er sich mit der Übersetzung einer griechischen Tragödie beschäftigen wollte, obwohl er sein 1 Schillers Texte werden zitiert nach der Nationalausgabe, begr. von Julius Petersen, fortgef. von Liselotte Blumenthal und Benno von Wiese, hg. im Auftrag der Klassik-Stiftung Weimar und des Deutschen Literaturarchivs Marbach von Norbert Oellers, Weimar 1943 ff. (im Folgenden: NA). 2 Beide Übersetzungen wurden 1789 in der Zeitschrift Thalia veröffentlicht. Zum Kontext von Schillers Auseinandersetzung mit den griechischen Texten siehe Ernst-Richard Schwinge, Schiller und die griechische Tragödie. In: Schiller und die Antike, hg. von Paolo Chiarini und Walter Hinderer, Würzburg 2006, S. 15-48. 3 Théatre des Grecs, par le R. P. Brumoy, Nouvelle édition par M. Prevost, Tome VII, Cussac, Paris 1786 (derselbe Band enthält Prevosts Übersetzung der Phönizierinnen). 4 Brief an Caroline von Beulwitz und Charlotte von Lengenfeld vom 4. Dezember 1788, NA 25, 153. 5 NA 25, 153.