Hosi Anna – ambivalente Schrift, ambige Sprache und Ikonizität. Thomas Bayrles und Bernhard Jägers Interpretationen früher Texte Ernst Jandls (original) (raw)

2013, Schweiger, Hannes; Nagy, Hajnalka (Hg.): WIR JANDLN! Didaktische und Wissenschaftliche Wege zu Ernst Jandl. Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag, 2013, S. 98-112

Hosi-Anna -ambivalente Schrift, ambige Sprache und Ikonizität. Thomas Bayrles und Bernhard Jägers Interpretationen früher Texte Ernst Jandls 1. Ernst Jandl intermedial -Schrift und Sprache als sichtbar und hörbar Ihnen, den Sinnen, folgte gehorsam die Organisation unserer Künste, die stummen Bilder und Plastiken, die schweigenden Türme und Tempel, die blinde Musik. Wie wunderbar dann, was in unserem Zentrum geschieht, wenn das Auge den Strom seiner eigenen Welt und das Ohr den Strom seiner ganz anderen eigenen Welt auf denselben Punkt lenken, damit der Wald rauscht. (PW 11, S. 275f) Ernst Jandl, der Sprachspieler 1 , ist vor allem für seine Lautgedichte, seine Sprechgedichte bekannt. Obwohl die gesprochene Sprache, der Vortrag und das Spiel mit den Eigenschaften der Laute die zentralen und bedeutenden Bezüge in seinem Werk sind, ist sich Jandl immer auch eines grundlegenden Aspekts der gedruckten Form von Texten bewusst: der Sichtbarkeit der verschriftlichten Sprache (vgl. Strätling/Witte 2006), der Visualität der Buchstaben als grafische Zeichen auf der Fläche. Dass Jandl sich neben der hörbaren auch mit der sichtbaren Ebene von Sprache beschäftigte, bezeugen nicht nur seine Gedichte, sondern auch seine poetologischen Überlegungen. In der publizierten Fassung seiner Frankfurter Poetik-Vorlesungen von 1984/85 (Das Öffnen und Schließen des Mundes) bezeichnete er Sprache als "[d]ie tatsächliche vollkommene Aufhebung der Trennung in die Welt des Optischen und die Welt des Akustischen" und spricht von der Erfindung eines "doppelten, parallelen Zeichensystems […] mit einem Höchstmaß an erzielbarer Übereinstimmung und einem Geringstmaß an Einbuße beim Wechsel vom einen zum anderen" (PW 11, S. 276). Jandl spricht damit jene intermediale Tendenz an, die insbesondere im 20. Jahrhundert für künstlerische -und in Folge theoretische -Ansätze von Bedeutung ist, die Trennung der Künste in ihre tradierten Disziplinen, etwa in die bildenden Künste als visuelle und die Literatur als sprachliche Dimension: Jacques Rancière beschrieb diese synthetisierenden Ideen als die "ästhetische Revolution" der Moderne, die Autonomisierung der Künste als einen Prozess, der mit dem Paradigma der Darstellung gebrochen hat und der dazu führte, 1 In Anlehnung an den wittgensteinschen Terminus "Sprachspiel" (vgl. Wittgenstein 2003, z.B. S. 26).