Johanna Gehmacher: Kein/Gefühl: Überlegungen zu einer emotionsgeschichtlichen Perspektive auf Antisemitismus. In: Maria Mesner/Sushila Mesquita (Hg.): Eine emotionale Geschichte: Geschlecht im Zentrum der Politik der Affekte. Wien, 2018, 83-104 (original) (raw)

Eine »entsetzliche Einsicht«. Zur Emotionsgeschichte des »besiegten Selbst« im ungarischen Antisemitismus

Stefanie Schüler-Springorum und Jan Süselbeck (eds.): Emotionen und Antisemitismus (Göttingen: Wallstein Verlag), 2020

In diesem Aufsatz untersuche ich Varianten des »besiegten Selbst« aus emotionsgeschichtlicher Sicht am Beispiel des ungarischen Antisemitismus vor und nach 1945. Meine Analyse gilt den spezifischen Emotionalisierungsstrategien, welche die Herausbildung und Übermittlung dieser Subjektkonstruktion förderten. Mein Ziel ist es allerdings nicht, ein unveränderliches, tiefer liegendes Basisgefühl offenzulegen (wie zum Beispiel Trauer, Angst oder Ärger), sondern diskursive Techniken der Emotionalisierung in unterschiedlichen historischen Kontexten zu beleuchten. In dem ersten und zweiten Teil sondiere ich den antisemitischen Diskurs vor und während der Deportation ungarischer Juden. Im dritten Teil stelle ich die Frage, wie die alte Vorstellung des »besiegten Selbst« im Exil nach 1945 re-emotionalisiert und weitertradiert wurde.

Johanna Gehmacher: Antisemitismus und die Krise des Geschlechterverhältnisses. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (1992), 4, 424-448

Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 1992

Pathologischer" Judenhaß bestimmte -so meint der Historiker Helmut Ber ding -Adolf Hitlers politisches Handeln und Denken zeitlebens. 1 Mit dem Hinweis auf die "Krankhaftigkeit" von Hitlers Denken und Tun wurde schon oft versucht, Unerträglichem und Unbegreiflichem doch noch begriffiich Herr zu werden. Im Text eines Historikers erstaunt eine solche Wendung dennoch. Mit diesem Problem, so signalisiert der einer anderen Disziplin entlehnte Be griff, sollen sich andere befassen. Dies hat mich neugierig gemacht, was denn hier aus dem Feld der historischen Sozialwissenschaft hinausgewiesen wird. Hel mut Berding kommt in der Folge auf die Wurzeln von Hitlers "Judenhaß" zu sprechen und nennt Jörg Lanz von Liebenfels als Hitlers Vorbild und Lehrer. Lanz sei, so vermutet Berding, ein "von Sexualneid gepeinigter und von rassi stischen Wahnideen befallene(r} Neurotiker" gewesen. 2 Die Krankheit, so läßt sich nun verstehen, hat etwas mit dem Sexuellen zu tun. Begriffe des "Pa thologischen" treten in der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Antisemi tismus nicht selten dort auf, wo deutlich wird, daß antisemitische Konstrukte etwas mit Sexualität und daher mit dem Geschlechterverhältnis zu tun haben. 3 Solche Begrenzungen des Feldes der Geschichtswissenschaft gehen einher mit einem weitgehenden Verzicht auf die Frage nach geschlechtsspezifischen Dif

24 Von Emotionen und Gefühlen, in: T. Staubli/S. Schroer, Menschenbilder der Bibel, Ostfildern: Patmos Verlag 2014, 157-163.

The chapter introduces to the complex world of emotions and how they are mirrored in biblical texts and concepts. Many emotions are discussed in separate chapters of the book: >29: joy >27: trust >26: fear >81: surprise >28: sadness >42: disgust >26: contempt >25: anger >70: guilt >60; 62: shame >90: curiosity Further themes of the chapter: The location of emotions in body parts (liver; kidneys; gall); postures of depression; bitterness and sweetness; to express emotions in front of God as a therapy; emotional intelligence

Wurzeln, Schnitte, Webemuster. Textuelles Emotionspotential von Erzählmetaphern am Beispiel von Anne Bettens Interviewkorpus »Emigrantendeutsch in Israel«

Auf den Spuren der Schrift: Israelische Perspektiven einer internationalen Germanistik, 2011

Gegenstand der Darstellung ist das Interviewkorpus von Anne Betten mit der 1. Generation deutschsprachiger Emigranten in Israel, d. h. biographische Interviews mit deutschstämmigen Israelis, die meistens in den 30er Jahren nach Palästina auswanderten. Biographische Interviews enthalten eine Vielzahl von erzählten Lebensgeschichten, die aus häufig miteinander verbundenen oder aufeinander verweisenden Geschichten bestehen, aber oft – typisch für das Erinnern – nicht linear verbunden sind. Wie mehrfach in Untersuchungen zum Konzept der narrativen Identität gezeigt wurde, ist die Erzählung der eigenen Lebensgeschichte als Prozess des Erinnerns eng mit der (Konstruktion) einer eigenen Identität verbunden. Bei der Rekonstruktion der Vergangenheit stellt das Ich aus der heutigen Perspektive Verbindungen zu früheren Stufen des Ichs und dessen Erfahrungen und Erlebnissen her. Deshalb wird hier den Prozess des Erinnerns zusammen mit Aleida Assmann nicht primär als Verfahren des Speicherns verstanden, sondern als vis, als Kraft, mit der erinnernd die Lebensgeschichte der Person mit der historischen Vergangenheit verknüpft wird.

Antisemitismus als antimodernes Ressentiment

Gesellschaft unter Spannung. Verhandlungen des 40. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2020, 2021

Allenthalben wird beklagt, die Soziologie vernachlässige die Antisemitismusforschung. Tatsächlich scheint eine Soziologie des Antisemitismus immer noch nur "in Fragmenten" vorzuliegen, wie etwa Heiko Beyer 2015 bemängelte (Beyer 2015). Das liegt-wie bei der Vorurteils-oder der Rechtsextremismusforschung-auch daran, dass benachbarte Disziplinen diese Felder teils wirkungsvoll besetzen. Im Falle Antisemitismus sind vor allem die psychoanalytische Sozialpsychologie und die Geschichtswissenschaft zu nennen. Soweit, so bekannt. Auch die Organisatorinnen dieser Ad-hoc-Gruppe stellen ein Defizit bei der Soziologie fest. Mein Ausgangsgedanke für diesen Vortrag ist, dass die Soziologie selbst als Reaktion auf die Moderne entstanden ist-und damit zeitgleich mit dem modernen Antisemitismus. Wenngleich sich die Soziologie dem Thema eher sporadisch genähert hat, ist ihr klassischer Gegenstand-die moderne Gesellschaft-allerdings aufs Engste mit dem Gegenstand Antisemitismus verbunden. Aus dieser Überlegung heraus will ich skizzieren, was man von den Klassikern des Faches lernen kann und was eine allgemeine Soziologie des Antisemitismus als Programm, nicht nur als individuelles Forschungsprojekt leisten könnte. I Zunächst verstehe ich den Antisemitismus mit Klaus Holz (2001) als Weltanschauung, aber gleichzeitig als Teil einer antimodernen Weltanschauung (siehe ausführlich dazu Kiess et al. 2020). Shulamit Volkov (Volkov 1978, 2006) konzipiert den Antisemitismus zudem als kulturellen Code, der für alles mit der Moderne Verbundene steht, etwa die Emanzipation der Jüdinnen und Juden, aber auch der Frauen, sowie für Industrialisierung, Globalisierung, Imperialismus oder allgemein den Fortschritt. Die "Identifikation von Modernität und Juden" ist dabei selbstverständlich nicht auf die Juden zurückzuführen, sondern mit "alte[r] Judenfeindschaft, Vorurteile[n] gegen die Minorität und Opposition gegen die Moderne überhaupt" zu erklären, so Nipperdey und Rürup (1972, S. 136). Dass gesellschaftliche Modernisierung und moderner Antisemitismus miteinander zusammenhängen, spiegelt auch die historische Entwicklung der Wortschöpfung und seine Bedeutung wider: Der

Antisemitismus als biographische Erfahrungskategorie

Trauma – Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen 18 Jg. (2020) Heft 1, 2020

The continuity and impact of anti-Semitism as a life- historical (biographical) category of experience plays a rather subordinate role in the debates on anti-Semitism here. In dealing with anti-Semitism as a biographical category of experience, the past is an important point of reference. It is advisable and absolutely necessary to always include and acknowledge the expertise and experiences of those affected.The expansion of the ra- dius of action and the sharpening of the perceptibility of anti-Semitism as a real existing practice of exclusion and violence thematized plays a central role here.