Die Kunst der Beschreibung. Handschriften aus fünf Jahrhunderten kommentiert von Eberhard König (original) (raw)

Eberhard König Das Kalligraphiebuch der Maria von Burgund

Seit 1887 besitzt die Brüsseler Bibliothek ein Alphabet auf 24 Blatt Papier unter Pappdeckeln, die ein Streifen Pergament hält. 1 Mit 300 mm Höhe sind die fünf Doppel-und 14 Einzelblätter stattlich. Auf Recto tragen sie 23 Buchstaben und ein Kürzel für com oder con, das wie eine 9 aussieht. Das Alphabet ist vollständig, weil J auch für I und U für V sowie das in romanischen Sprachen kaum bekannte W stehen. Kurze Texte in kleiner Bastarda, nur bei G in etwas größerer Textura, schließen sich an. Die späteste der acht Sorten Papier, deren älteste um 1400 verwendet wurde, legt fest, dass das ganze Buch kaum vor 1550 entstanden ist. 2 Die Kalligraphie Die mit Metallstift vorbereiteten Buchstaben sind mit laviertem Schmuck in schwarzer Tinte ausgeführt. Während Initialen in Handschriften und frühem Farbdruck 3 fest umrissen auf farbigen Feldern stehen, hat man die Buchstabenkörper hier aus ihrer Gestalt entwickelt: Das geschieht mit gleichmäßig breiten Tintenstrichen, die an den Enden zu dünnen Strichen verjüngt sind, um zum nächsten Balken weiterzuführen. Man ist der unendlichen Linie verpflichtet, als sei die Feder nie abgesetzt worden; doch ließ sich dieses Prinzip nicht konsequent durchhalten. Nach außen sprießen Zierformen, ohne dass sich der Charakter der Striche zu einem Dekor mit Feldern aus parallelen Balken und gleichbreiten weißen Zwischenräumen veränderte. Diese Buchstaben durchbrechen Maßsysteme, die im späten Mittelalter für das handgeschriebene wie das gedruckte Buch galten. Für die 1Christine Seidel sei für aufschlussreiche Hinweise gedankt. Brüssel, KBR, ms. II 845: Der Band gehört nicht zum Grundbestand der Bibliothèque de Bourgogne; sondern zu Neuerwerbungen der Serie II:

Textvernetzung in der mittelalterlichen Handschrift als Interpretationsangebot. Dargestellt am Beispiel der Überlieferung der „Sieben weisen Meister“

Der grundsätzliche Unterschied zwischen den Texten, die den Untersuchungs-und Interpretationsgegenstand der beiden literaturwissenschaftlich orientierten Teildisziplinen der Germanistik bilden, besteht aus textphilologischer, genauer: editionsmethodologischer Sicht bekanntlich darin, dass die neuere Literaturwissenschaft Entstehungs-und Überlieferungsvarianten kennt, die altgermanistische dagegen vorwiegend nur Überlieferungsvarianten. Was ist mit diesen Begriffen gemeint? In einem von Herbert Kraft herausgegebenen, wohlgemerkt neugermanistischen Sammelband liest man dazu Folgendes: "Die Arbeit des Autors am Text führt zu Entstehungsvarianten; wo diese Arbeit beendet ist, beginnt das Stadium der bloßen Überlieferung, und Textveränderungen, die dann noch eintreten, sind Überlieferungsvarianten." 1 Während es in der Neugermanistik geradezu selbstverständlich ist, zwischen der Produktions-und Rezeptionsebene eines Textes zu unterscheiden, ist diese Möglichkeit in der Altgermanistik von der handschriftlichen Überlieferung her gesehen oft nicht gegeben. Daher gestaltet es sich in vielen Fällen schwierig, Überlieferungsvarianten von Entstehungsvarianten abzuheben. Der Grund dafür ist das im volkssprachlichen Bereich weitgehende Fehlen einer autographen (oder auch semiautographen) Überlieferung. 2 Mit anderen Worten: In der Mehrzahl der Fälle haben wir es mit Rezeptionsdokumenten zu tun, deren Nähe zum präsupponierten Autortext bzw. zum Original, das nicht zwingend ein Autograph sein muss, und das es mitunter auch im Plural geben kann, nicht kommensurabel ist. Wohl lässt sich unter günstigen Überlieferungsbedingungen etwas Licht in die jeweilige Textgeschichte bringen, doch bleiben, wie es Thomas Bein vor allem in Bezug auf die Minnesang-Überlieferung feststellt, zwischen dem vermuteten Original und einer einigermaßen greifbaren, d.h. philologisch rekonstruierbaren Sternchenstufe als Ausgangspunkt der uns greifbaren Überlieferung immer noch Jahrzehnte unerschließbar. 3 Dennoch lesen 1 KRAFT 1990, 41. 2 S. dazu HONEMANN 2000, LÖSER 2005, 286f. und die "Datenbank mittelalterlicher deutscher Autographen und Originale" http://www.uni-muenster.de/Fruehmittelalter/Projekte/Autographen/Datenbank.html. 3 BEIN 2002a, 99. Vgl. auch STEER 1985, 40 in Bezug auf die Überlieferung der Rechtssumme des Berthold von Freiburg: "Ohne Kenntnis von Bertholds Autograph ist über den Wortlaut des Originals nichts Sicheres auszusagen, und mit Sicherheit dürfte der aus der Überlieferung rekonstruierte Text des Archetyps anders aussehen als der der Urschrift der ›Rechtssumme‹." Allerdings stellt STEER gleich fest: "Der Text des Archetyps wäre mit aller Wahrscheinlichkeit immer noch die Textform, die der des Originals näher kommt als irgendeine erhaltene sekundäre Textabschrift eines Handschriftenschreibers." Diese Einschätzung mag auf die spezielle Überlieferungssituation der

›Der Lettern Heer, durch deren Erzt man lauter spricht.‹ Stimmenamplifikation und die Dialektik der Aufklärung in Gottscheds ›Jubelode auf das dritte Jahrhundert der edlen Buchdruckerkunst‹.

The German Quarterly, 2023

Der Aufsatz untersucht, wie Gottscheds ›Jubelode auf das dritte Jahrhundert der edlen Buchdruckerkunst‹, 1740 anlässlich des 300. Jubiläums gedruckt, den Buchdruck mit beweglichen Lettern als Distributionsmedium für Wissen und Tugend feiert – und dabei daran mitarbeitet, dass Aufklärung in Mythos zurückschlägt. Zum einen inszeniert der Text den Buchdruck als Wunderwaffe im Kulturkrieg mit Frankreich und fordert die Deutschen dazu auf, ihn als Propagandamaschine sowie als deutschen Mythos zu instrumentalisieren, um einen kollektiven Minderwertigkeitskomplex zu heilen. Zum anderen macht die Ode selbst von einer kommunikativen Asymmetrie und einer Amplifikation der gedruckten Stimme Gebrauch, wie im Dialog mit medientheoretischen Auseinandersetzungen mit der Gattung, der Aufklärung und der akustischen Propaganda des Nationalsozialismus argumentiert wird. Anhand eines close reading einer wenig bekannten Ode sowie einer Rede Gottscheds zum selben Anlass beleuchtet der Beitrag damit eine Verbindung, die zwei Jahrhunderte nach der Jubelode Horkheimer und Adorno andeuten, wenn sie das Radio als die ›sublimierte Druckerpresse‹ bezeichnen.

Die Königsbeurteilungen und die Literargeschichte des Deuteronomistischen Geschichtswerks Anmerkungen zu einer kontroversen Diskussion

Vetus Testamentum, 2018

In der gegenwärtigen Forschungsdiskussion um die Literargeschichte des bzw. Existenz eines Deuteronomistischen Geschichtswerks spielen redaktionsgeschichtliche Differenzierungen zwischen den Beurteilungskriterien Kulteinheit und Kultreinheit sowie den Beurteilten Königen und Volk eine große Rolle. Eine Untersuchung der Königsbeurteilungen in 1-2 Könige zeigt jedoch, dass sowohl die Kriterien Kulteinheit und Kultreinheit als auch die Zuweisung der Verantwortlichkeit an Könige und Volk in komplexer aber systematischer Weise aufeinander bezogen sind. Eine literargeschichtliche Differenzierung entlang dieser Linien erweist sich als schwierig. Zudem lässt der Umgang mit den Kriterien Kulteinheit und Kultreinheit in der Darstellung der vorstaatlichen Epochen narrative Strategien erkennen, die darauf zielen, zwischen Idealkonzept und dargestelltem Geschichtsverlauf zu vermitteln. Die These M. Noths zu einem dtr Werkzusammenhang in Dtn-2Kön ist daher (mit kleinerem Modifikationen) keineswegs obsolet.

Erzählen als "bloß andeutender Fingerzeig". Brevitas, Sprachverknappung und die Logik des Bildlichen in Karl Philipp Moritz' Signatur des Schönen

Kurz & Knapp

des Schönen JANINE FIRGES "Es hat allemal etwas reizendes und einigermaaßen wunderbares für uns, wenn wir sehen, daß mit wenigem viel ausgerichtet wird; und denn ist die Kürze den Gedanken, was dem baaren Reichthum das Gold ist, welches das Aufbehalten, Ueberzählen und Ausgeben erleichtert." 1 Kürze und Knappheit stellen im 18. Jahrhundert in zahlreichen Wissensbereichen geforderte Darstellungsoptative dar. Nicht nur als Gegensatz zum verschwenderisch opulenten Sprachstil des Barock tritt man in der Aufklärung für reduzierte Formen der sprachlichen Repräsentation ein. Insbesondere der Einfluss der Naturforschung, welche einzelne Phänomene aus ihrem Zusammenhang löst und neuanzuordnen sucht, wie Bacon es in seiner Idee des naturam dissecare ausdrückt, befördert eine Wissensakquise und-repräsentation im Zeichen des präzisiert Verkürzten. 2 Die Konjunktur des Faktums, wie sie nicht allein in der Naturbeobachtung, sondern auch in der Menschen-und Gesellschaftsbeschreibung zu beobachten ist und sich beispielsweise im Magazin-und Zeitschriftenwesen im 18. Jahrhundert niederschlägt,

„Ach, das ist gestreift!“ - Anmerkungen zur ägyptischen Königsplastik im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr

2014

1 Zwischen mehreren Stühlen: die Geschichte der Erforschung ägyptischer Plastik in der Ptolemäerund römischen Kaiserzeit "The iconographic problems presented by the numerous idealizing and conventional heads of kings of the Late Period are many but, in the frequent absence of inscriptions, not particularly surprising. More complex and baffling is the identification of a royal head that is an individualistic work of art, the portrait of an impressive person, rather than a mass-produced, nondescript, Standard representation. Confronted with such a piece, the present inadequacy or very often complete lack of critical studies of Late sculpture is painfully apparent, and one has to attempt to break new ground in a field which should have been explored many decades ago."1 Die Klage, die Bernhard V. Bothmer in dem zum Handbuch der ägyptischen Spätzeitplastik aufge stiegenen Austellungskatalog Egyptian Sculpture of the Late Period führte, ist heute nach über 50 Jahren immer noch durchaus aktuell. Eine solche Feststellung mag zunächst überraschend sein, hat sich doch in den letzten gut zwanzig Jahren das Interesse verstärkt dem Ägypten während der Spät-, der Ptolemäer-und der römischen Kaiserzeit zugewandt. Auch eine breitere Öffentlichkeit wurde im Rahmen von spektakulären Ausstellungen mit diesen Phasen der ägyptischen Geschichte vertraut gemacht.2 Dennoch bleibt hier noch sehr viel an sauberer Grundlagenarbeit zu leisten. Angesichts der erdrückenden Menge an Aufgaben, die der Ägyptologie gestellt sind, ist es natürlich ein wohlfeiles Spiel, sich am Beginn einer Publikation über den Mangel an vernünftigen Studien zum gewählten Thema zu ergehen, um dann, vielleicht sogar mit etwas Schadenfreude, die vermeintlich heißersehnte Untersuchung dazu anzukündigen, die sich auf den folgenden Zeilen ergießen würde. Für die ägypti sche Kunstgeschichte, vor allem was die zweite Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. angeht, ist das jedoch nicht die Pflege eines Habitus, sondern die Beschreibung der Realität. Die Forschungsdefizite sind nämlich systemimmanent. Ist die Ägyptologie ohnehin eher philologisch dominiert, so betrachten zusätzlich weite Teile der Ägyptologie die letzten vorchristlichen Jahrhunderte immer noch gerne als