KATHARINA WESTERHORSTMANN AUF DEM WEG ZU EINEM MAß-GESCHNEIDERTEN KÖRPER — Ethische Reflexionen zur ästhetischen Chirurgie - In: ETHICA 17 (2009), 311-334 (original) (raw)
Klinisch-ethische Falldiskussion. Patientin mit überhöhten ästhetischen Erwartungen
Zahnärztliche Mitteilungen 101(20a), 2011
Zum Fall: SF, eine Patientin in mittleren Jah-ren mit einem sehr stark ausgeprägten Ab-rasionsgebiss, stellt sich bei Dr. DB mit dem Wunsch einer Bisshebung und einer prothe-tischen Neuversorgung vor. Letztere soll ihr wieder zu "schönen hellen Zahnkronen" und zu ihren "alten Gesichtsproportionen" verhelfen. Die Patientin gibt einen erhebli-chen Leidensdruck an: Durch die Zahn-abrasionen sei ihr unteres Gesichtsdrittel zunehmend "kürzer", ihre Nase dage-gen "immer riesiger" geworden; ihr äußeres Erscheinungsbild gleiche mitt-lerweile "dem einer Hexe" und sie traue sich kaum noch unter die Leute. Verstärkt wird der Eindruck der Patien-tin durch eine angeborene linksseitige Parese der Gesichtsmuskulatur, welche insbesondere beim Lächeln zu einem asymmetrischen Verlauf der Lippe führt. SF war bereits drei Jahre zuvor mit demsel-ben Anliegen bei Dr. DB vorstellig gewor-den: Damals hatte sie eine starke Überemp-findlichkeit der Zähne gegenüber thermi-schen und chemischen Reizen gezeigt sowie starkes nächtliches Knirschen und ein "aus-geprägtes Kiefergelenksknacken" beklagt. Der klinische Befund hatte intraoral eine Karies an Zahn 16, einzelne Füllungen sowie insuffiziente metallkeramische Brückenver-sorgungen im linken und rechten Unterkie-fer erbracht. Der parodontale Ausgangszu-stand war ohne pathologischen Befund, und die Röntgenuntersuchung hatte eine Insuffizienz der Brücken im linken und rech-ten Unterkiefer ergeben. Im nachfolgenden Beratungsgespräch hatte die Patientin über-dies eine erhebliche Stressbelastung einge-räumt: SF hatte ihren Alltag als Mutter dreier Kinder als "sehr anstrengend" beschrieben; zudem sei ihre Ehe in die Brüche gegangen, was ihr psychisch sehr zu schaffen mache. Dr. DB versorgte zum damaligen Zeitpunkt lediglich die Molarenkaries und nahm zunächst von einer prothetischen Neuver-sorgung Abstand. In einem offenen und ver-trauensvollen Gespräch wies er die Patientin vielmehr auf den möglichen Zusammen-hang zwischen den ausgeprägten Gelenk-beschwerden und den bestehenden priva-Die klinisch-ethische Falldiskussion
Antihumaner Ästhetizismus: Christian Kracht zwischen Ästhetik und Moral
Christian Kracht, 2009
Fragen der Moral scheinen an Christian Krachts Texten abzuperlen wie Wassertropfen an der gewachsten Oberfläche einer Barbour-Jacke. Das mag daran liegen, dass moralische Leseweisen, sobald sie ›die Moral von der Geschicht'‹ nicht mehr explizit ausbuchstabiert bekommen wie im Kindermärchen, immer uneigentlich sind. Moralische Bedeutung kann oder muss man aus dem Text herauslesen, sie findet sich verschlüsselt und verborgen, in der Regel unter der Oberfläche des Textes. Solch eine Lesart aber müsste unweigerlich scheitern an einem Text, der nur Oberfläche ist, ein absolutes ästhetisches Artefakt, bei dem das Ideal der Schönheit, des ästhetischen Gefallens die Kategorien von Gut und Böse überlagert, sie eventuell sogar ausschließt.
Untragbar. Mode als Skulptur? Barbara Graf. Zum Beispiel. Die anatomischen Gewänder
2005
Bettina Kohler Unwearable: Fashion as Sculpture? Barbara Graf. For Example: Anatomical Garments By making its envelopes/disguises/clothes into objects of artistic exploration, the body is in a strange way reintroduced into the world of art. Interest in this topic has grown steadily in recent years – thanks both to discourses on the body and to the fascination with envelopes/disguises/clothes. Both aspects coincide in the phenomenon of “fashion", and in the transformation of fashion into art and art into fashion.
IMAGE, Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft 28 (2018), 7. Themenheft: Ikonische Grenzverläufe., 2018
In diesem Beitrag wird am Beispiel ausgewählter Schriften des Gynäkologen Carl Heinrich Stratz analysiert, wie dieser anhand von Fotografien politische, kulturelle und gesellschaftliche Grenzen in Darstellungen des Schönen respektive des Nicht-Schönen übersetzt. Zunächst wird ein Einblick in die Verflechtung des Stratz’schen Schönheitsideals mit Werten des deutschen Bildungsbürgertums um 1900 gegeben. Im Anschluss daran werden verschiedene Merkmale betrachtet, die Stratz beschreibt, um äußere Anzeichen des Nicht-Schönen mit Wertigkeiten zu versehen, die bildungsbürgerlichen Werten widersprechen. Abschließend wird seine Vorgehensweise, die ein anthropomet-risches Verfahren mit dem Evidenz versprechenden Medium der Fotografie kombiniert, genauer untersucht. Dabei soll deutlich werden, dass Stratz unter Rückgriff auf Bilder von normierten Vorstellungen weiblicher Schönheit Alteri-täten konstruiert, bei denen es keineswegs schlichtweg um oberflächlich schöne vs. nicht-schöne Körper geht. Vielmehr ist diese ›Veranderung‹ von als nicht-schön bezeichneten Körpern in politisiertem Sinne als Stärkung eines heteronormativen, bürgerlichen, eurozentrischen und deutsch-nationalen Weltbildes zu verstehen.
Da hingen sie alle, unter der Schiene, der Hals lang gezerrt, der Kopf abgeknickt, zu erkennen waren sie nicht mehr, nur ihrer Reihenfolge nach hätte Schwarz ihre Namen noch nennen können, doch die verloren sich auch schon in einer Leere. Der letzte, Schumacher, schwankte noch leicht auf und ab, und ein Zittern war in seinen Beinen, und schnell, weil der Geruch nicht mehr zu ertragen war, machte sich Schwarz daran, nachdem er die Todesatteste beglaubigt hatte, den Leibern die triefenden Hosen abzustreifen, die er dann in einen Schubkarren legte und hinüber zum Waschraum fuhr.(III,22O)(1) Denn hinsehen würde bedeuten, uns als hilflose Hohepriester oder als Rauschgifthändler und Schmuggler einer "Kultur" zu begreifen, die angesichts der brutalen staatlichen Gewalt wie der Gefängnispfarrer in Plötzensee den Gefolterten noch "etwas wie, die Sonne tönt in alter Weise" (III,22O) zurufen dürfen. Eine solche ästhetische Praxis stellt sich allerdings noch ganz ungebrochen als Beschäftigung mit dem "rein gefühlsmäßigen Kunstgenuß und den daraus abgeleiteten Wertmaßstäben für die künstlerische Beurteilung" dar, und fordert arglos "von den Gegenständen einen Gefühlswert, der Einstimmung und Mitschwingen ermöglicht und das Wohlgefallen an ihnen hervorruft." Dieser wörterbuchreife Unsinn, der sich noch nicht einmal auf der Höhe einer Ästhetik des deutschen Idealismus bewegt, bestimmt den ästhetischen Gehalt des Kunstwerks als "Bedeutsamkeit, Anschaulichkeit, Veredelung, Distanzierung, Fülle und Tiefe, innere Gesetzlichkeit und Wahrheit sowie der Ausdruck einer geschlossenen Weltanschauung." (2) Solche Ästhetik trifft das Diktum Adornos: "Vom Begriff der PETER HORN Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands 2 philosophischen Ästhetik geht ein Ausdruck des Veralteten aus, wie von dem des Systems und der Moral" .(3) In ihrer hausbackenen Zusammengewürfeltheit enthält die Wörterbuchdefinition aber doch Elemente eines fortlebenden Idealismus. Jene Veredelung, von der hier die Rede ist, versucht ja, die Differenz zwischen dem Reich des platonisch Einzigschönen und der keineswegs schönen Realität aufzuheben, allerdings nur "im Kopf" .Ästhetik verkommt bei den Epigonen der deutschen Klassik und deren letzten Nachläufern im Zwanzigsten Jahrhundert so zur Anästhesie, der Wahrnehmungsunfähigkeit durch gesteigerte Einnahme von literarischen Schmerztabletten. Aber Ästhetik ist, wo sie sich noch an die Bedeutung des Wortes erinnert, "Wahrnehmung", zur höchsten "Aufmerksamkeit" aller Sinne gesteigerte Wahrnehmung, und nicht jener schlechte Trost und jenes die Einsicht verhindernde Opium und Marihuana der "Orphischen Urworte", die dem Gefängnisgeistlichen immer fremder werden, während er sie dem zu Tode verurteilten Harnack vorliest, "bis sie ihm nur noch wie ein Zirpen klangen"(III,214) Nicht den Verurteilten, die solcher Provokation des Humanen gewachsen sind, weil die bei Goethe bloßes Ideal gebliebene Humanität in ihrem Leben in Praxis umschlug, sondern uns, die wir es vermarkten, ist der Zugang zu jenem Gedicht versagt. Sie dürfen nach dem "Reinsten dieser Sprache verlangen", sie die von "den schmutzigsten Stimmen niedergeschrien worden waren"(III,214). Wer sich nach dieser Barbarei damit abfindet, daß wir wieder wer sind und sich arglos als Träger einer Kultur empfindet, die er anderen als "fremde" nahebringen will, wer Schiller, Goethe, Eichendorf und Stifter nicht von jenem Augenblick her sieht, wo "das riesige Beil mit der schrägen Schneide" herabfiel, und "trennte vom Körper das Haupt, das, überschüttet von Blut, in den Weidenkorb fiel", wer noch Brecht als bloßen Anlaß benutzt, seine methodologischen Feinheiten am literarischen Objekt unter Beweis zu stellen, wem angesichts des "Zukunftsdufts"(4) nicht wie Heine die Sinne schwinden, der muß sich sagen lassen, daß er ein Barbar sei. Barbarisch nämlich ist es, weil dem Wesen der Ästhetik, der Mnemosyne zuwider, bei jenem Werk mitzuhelfen, alles was sich von jenen überliefern ließe, die Widerstand gegen die Barbarei geleistet haben, "zu verringern, zu entstellen, zu verhöhnen, als Belanglosigkeit zu erklären" (III,223). Barbarisch ist es ebenfalls, sich auf die Werte der Kultur berufen zu wollen -und sei es nur implizit, indem man sie fraglos weitergibt -und in der Rede von einer deutschen Kultur implizieren zu wollen, da sei etwas "zu holen", da gebe es "Werte" und "Einsichten", die zu Hause oder in der Fremde vermittelt werden könnten, ohne jene Vergangenheit zu reflektieren, die sich stündlich wiederholt. Wer sich bei der Betrachtung von Goethes Gretchen im Kerker oder dem Schicksal des Bauernburschen im Werther nicht an Steve Biko, Neil Aggett oder die Tausende namenloser Opfer der heutigen Barbarei erinnert, darf sich vielleicht auf Goethe den Minister, nicht aber auf Goethes Text, der seiner Praxis widerspricht, berufen. Er betreibt die Kritik als Kniefall: die kritischen Worte werden von der Praxis und der Gestik des Bewahrens negiert. Plötzensee und Robben Island liegen einander näher als die Rede von der Kulturvermittlung im Ausland wahrhaben will. Adornos Erschrecken über "die Aufwärmung des Juste-Milieu, das sich nun auch noch als fortgeschritten aufspielte" (5) scheint in Deutschland und im Ausland vergessen, Frischs Wort von der "Kultur als Alibi" nie gesagt worden zu sein. Wiederholt werden muß daher der Satz: "Als isolierter Daseinsbereich, bar einer genauen Beziehung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit, taugt Kultur dazu, den Rückfall in die Barbarei zu vertuschen" (6) Wollen wir nicht die Praxis des Nationalsozialismus fortführen, die "einmal anerkannten Kulturprodukte der Vergangenheit ohne Ansehen des Gehalts" … "lediglich um ihres eigenen Prestiges willen unablässig auszustellen", (7) so müssen wir uns das Wasser abgraben, um den Sumpf der Barbarei trockenzulegen, so müssen wir den Ast, auf dem wir sicher sitzen, absägen, damit der Baum nicht von der Seuche der Apathie erfaßt wird und verfault. Es wäre an der Zeit noch einmal nicht nur von der Krise der Germanistik, sondern von der Krise der Kultur und der Kulturwissenschaften zu sprechen, aber so, daß die Pflichtübung der Selbstkritik umschlägt in eine Praxis, in der es eine Kulturwissenschaft, ganz zu schweigen von einer Germanistik, nicht mehr geben wird, es sei denn als eine, die mehr als nur verbale Bekenntnisse zur Gleichheit aller Menschen abgibt. Das liegt kaum im Interesse jener, die ihre Lehrstühlchen durch die letzte Kulturrevolution gerettet und in mehr oder minder alter Ordinarienherrlichkeit weiterhin damit beschäftigt sind, ohne es zu wissen -ohne es wissen zu wollen -den Mördern an die Hand gehen, die noch einmal den "Kadaver aufputzen, um ihn weiter für ihre Zwecke zu verwenden."(III,233). Wenn Hodann im Exil sagt: "Von einer deutschen Kultur zu sprechen, ohne die Entkräftung und Entsagungen, die Täuschungen und Niederlagen einzubeziehen, die Fehlentscheidungen, die dazu beigetragen hatten, daß die Kultur im Land zerschlagen, und ihre Reste in den Untergrund gedrängt worden waren, wäre eine Lüge gewesen" -so wäre das das Mindeste, was von einer Germanistik nach dem Nationalsozialismus zu erwarten gewesen wäre. Aber das wurde verspätet und dann noch abgebrochen nachgeholt, mit gutem Willen, aber um seine Wirkung gebracht durch die schon wieder rollende Innerlichkeit, die sich parasitisch auf der Niederlage derer, die sich erinnerten, breitmachte. Man hält sich die Nase zu und glaubt damit, jene entsetzlichen Düfte nicht mehr zu riechen, die sich aus den sechsunddreißig deutschen Mistgruben immer noch erheben. Sieht sie sich selbst auch als "Verweigerung": wie gemein ist jene Innerlichkeit, die Eichendorf und Rilke zelebrierend, über Botho Strauss und Thomas Bernhard schon dabei ist, zu vergessen. Der Raum ist mit dem Schlauch gespült, "die Guillotine abgeschrubbt, die Kisten, darin die nackten besudelten Frauenleiber, die Köpfe, mit den aufgerißnen gebrochenen Augen, dem blutig klaffenden Mund, in die Nebenkammer geschafft."(III,218). Vorhang zu. Innerlichkeit. Noch hat man nicht begriffen, daß die, "die das Erbe der klassischen deutschen Kultur übernehmen wollten, bei ihrer Rückkehr in das verunstaltete Land auch zu den Erben der Kulturlosigkeit werden PETER HORN Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands 4 müßten"(III,243). Und bis heute hat man nicht begriffen, was es heißt, daß es nach dem zweiten Weltkrieg "wieder einmal, und folgenschwerer denn je, mißglückt war, von unten her einen Bau zu beginnen, und daß das Bevorstehende" (III,244) von oben her und von außen her befohlen wurde, und daß dieser oktroyierten Demokratie und diesem aufgezwungenen Sozialismus bis heute nichts entgegengekommen ist, was die demokratischen Tendenzen, die Deutschland auch hat, aufnimmt und weiterträgt. Und noch hat man nicht begriffen, daß diejenigen, die deutsche Kultur, Kultur überhaupt, durch die Epoche des Nationalsozialismus trugen, zwar nicht umsonst, aber vorläufig vergeblich gestorben sind, und daß niemand ein Recht hat, sich auf Kultur zu berufen, der nicht bereit ist, diese Vergeblichkeit aufzuheben. Dabei ist es keineswegs richtig, sich wie Hodann (8) von diesem Land einfach mit Ekel abzuwenden, auch wenn seine Darstellung sehr viel Wahrheit enthält: "daß in dem geschlagenen Land alles den Siegermächten überlassen bliebe, daß dieses Volk, mit seinem Kadavergehorsam, neben seinen Herrn, denen es die Treue geschworen hatte, bis zu deren letztem Röcheln ausharren, dann, wenn die Stärkeren kämen, diesen zuwinken und ihnen seine Dienste anbieten würde, als sei nichts geschehen."(III,259). Diese Analyse Hodanns unterscheidet nicht zwischen denjenigen in diesem Volk, deren Machenschaften für die Katastrophe wesentlich mitverantwortlich war, und denjenigen, die sich gegen den Nationalsozialismus im aktiven und passiven Widerstand gewehrt haben; sie analysiert nicht, wie zum Beispiel die deutsche Arbeiterklasse, die ja gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts und während der Weimarer Republik keineswegs diese...
Moralischer Anspruch des Aesthetischen
Sanat ve ahlâk arasındaki ilişki Antik dönemden bu yana tartışılan en eski felsefi sorunlardan birisi olarak görülebilir. Bu iki alan arasında varolduğu düşünülen doğrudan bağı kabul etmeyen ve "çıkarsız hoşa gitme" kavramıyla sanatın özerkliğini ilan eden Kant'ın estetiğiyle birlikte sorun kısmen çözülmüştür. Sanatın özgürlüğü anlamına gelen bu ayrım 20. Yüzyılın ikinci yarısından itibaren relativizm ve postmodernizm akımlarının yardımıyla daha da kabul edilebilir hale gelmesiyle günümüzde bu iki alan arasındaki ilişkiye vurgu yapmak nerdeyse imkansız hale geldi. Jauss'un bu konudaki düşünceleri bu nedenle neredeyse bir istisnaya karşılık gelirler. Jauss'un kuramı sanat ve edebiyatı okur ve alımlayıcı açısından ele alır ve sanat ve edebiyat aracılığıyla okur ya da alımlayıcının ahlâki yargılar oluşturduklarını söyler.