Emmanuel Levinas. "Il est difficile de pardonner à Heidegger." (original) (raw)
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Seelendifferential und Faubourg Saint-Germain - Hannah Arendt und Emmanuel Levinas
Was ist das Credo eines freischweifenden Denkens? Es leuchtet und schillert, dem Credo folgt auf dem Fuße das "Dubio", dem ein zweites oder drittes Credo folgen könnte. Emmanuel Levinas über Jean Wahl 1 Daß die Eule der Minerva ihren Flug in der Dämmerung beginnt: diese Figur ist zu oft beschrieben worden, als daß sie dem interessierten Leser noch etwas Neues bringen könnte. Wenn aber die Beschäftigung mit einem Denker oder Denkerin in die Jahre kommt, versucht man dieser Auseinandersetzung aufzuhelfen, indem man anfängt zu vergleichen-als ob das Raster dieses Vergleichs Goldstücke aus der Vergangenheit zutage bringen könnte. Selten, sehr selten aber hat man Gold in den Händen: So staunt der neugierige Leser von Hannah Arendts Origins 2 , daß die Autorin im Kapitel Faubourg Saint-Germain eine frühe Schrift von Emmanuel Levinas ("L'Autre dans Proust") interpretiert: Hannah Arendt, die Denkerin "ohne Geländer", und Emmanuel Levinas begegnen sich! 1946 begann der Philosoph Jean Wahl, Levinas' Mentor, mit der Herausgabe der Zeitschrift Deucalion, die heute weitgehend vergessen, und allenfalls Spezialisten jeweils auf der Arendt-und Levinas-Seite bekannt ist 3. "Wir werden", schreibt Wahl in seiner Présentation der Nr. 1 vom Oktober 1946 4 , "uns von keiner vorgefaßten Doktrin leiten lassen, obwohl wir mitunter zu einem klaren Nein bei bestimmten Denkformen kommen werden: nicht weil wir sie nicht für aktuell hielten, sondern weil sie nie aktuell und real waren oder weil sie ihre Kraft verbraucht haben. Wir hoffen, daß sich kein Dogmatismus bemerkbar machen wird, denn es ist selbst kein Dogmatismus, wenn wir uns gegenüber allzu entschiedenen dogmatischen Darstellungen der großen Dogmen verschließen. Selbst diese mögen, wenn ihre Form undogmatisch ist, gegenwärtig sein, so wie sie in diesen Formen im Bewußtsein von heute lebendig bleiben." (Diese Présentation erklärt auch Levinas' merkwürdiges skeptisches Intro seines Beitrages in der Nr. 2 von 1947: "Selbst die ewigen Meisterwerke sind nicht immun gegen die Zeit." 5) In dieser Nr. 1 waren neben Alphonse De Waelhens und Jean Wahl unter anderen Vladimir Jankélévitch, Jean Cavaillés und Emmanuel Levinas mit seinem Beitrag "Il y a" vertreten. Die interessanteste (und umfangreichste) Nr. 2 von 1947 versammelt neben anderen Günter Anders ("La sculpture sans foyer-Étude sur Rodin"), George Bataille ("Initial Postulate"),
Levinas - Von der Gewalt des Angesichts zur Gewalt des Schweigens
Philosophien sprachlicher Gewalt. 21 Grundpositionen von Platon bis Butler, 2010
Das Schweigen ist nicht die einfache Abwesenheit des Wortes, auf dem Grunde des Schweigens liegt das Wort wie ein tückisches zurückgehaltenes Gelächter. Das Schweigen ist die Kehrseite der Sprache: Der Gesprächspartner hat ein Zeichen gegeben, sich aber aller Deutung entzogen -und eben dies ist das Schweigen, das erschreckt.« 1 Emmanuel Levinas In einem seiner wenigen autobiographischen Texte mit dem Titel ›Nom d'un chien‹ beschreibt Emmanuel Levinas, wie er kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als Unteroffizier der französischen Befreiungsarmee gefangen genommen und im Lager Stalag in der Nähe von Hannover interniert wurde. In den Vordergrund stellt er dabei die Erfahrung der Entmenschlichung, wenn er über diese Zeit rückblickend festhält: »Wir waren nur noch quasi-menschlich, eine Affenbande.« 2 Das Gefühl, zu einem Tier herabgewürdigt worden zu sein, gründet für Levinas jedoch nicht, wie zunächst vermutet werden könnte, in den physischen Extrembedingungen, die das Überleben im Lager zu einer Grenzerfahrung gemacht haben, sondern vielmehr auf dem Verlust der Beziehung zum anderen Menschen. An anderer Stelle bezeichnet er diesen Verlust auch als die Erfahrung einer »totalen Verlassenheit«. 3 Diese Erfahrung, so legt Levinas im Weiteren nahe, geht auf den Verlust der Adressierung durch Andere zurück -etwa wenn er davon spricht, dass er und seine Kameraden trotz ihres reichen Wortschatzes im Lager zu »sprachlosen Wesen« wurden. 4 Denn nicht nur redeten die Aufseher im Lager möglichst nur im Befehlston mit den Gefangenen -dem Ton also, in dem man schon für Platon bevorzugt zu Tieren spricht -, sondern sie versuchten auch, jede direkte Ansprache der Häftlinge zu vermeiden sowie die Kommunikation zwischen diesen zu unterbinden. Die Bedeutung, die einer Adressierung durch ein anderes Wesen vor diesem Hintergrund zukommt, macht Levinas anhand der Geschichte von ›Bobby‹ deutlich. Bobby, ein im Lager herumstreunender Hund, lag vielen Gefangenen nämlich genau deshalb so sehr am Herzen, weil er ihnen zumeist mit einem lauten und freudigen Bellen und Umherspringen begegnete. Dieses Verhalten enthält im Gegensatz zum eisigen Schweigen der Aufseher ein Mindestmaß an Adressierung, durch welches sich die Gefangenen in ihrer in Frage gestellten Menschlichkeit bestätigt sehen konnten. Für Bobby, so hält Levinas daher fest, »waren wir Menschen«. 5 Und weil nun Bobby das einzige freie Wesen im Lager war, welches dem elementaren Gebot der Achtung des anderen Menschen als Menschen noch nachkam, spricht ihm Levinas in seinem Text abschließend auch etwas spöttisch zu, der »letzte Kantianer in Nazideutschland« gewesen zu sein. 6
Kritik und Kehre des humanistischen Menschenbildes bei Emmanuel Lévinas
2002
als der Ek-sistenz darauf an, daß nicht der Mensch das Wesentliche ist, sondern das Sein als die Dimension des Ekstatischen der Ek-sistenz." 4 Verstehen wir unter "Drittem Humanismus" die Vorstellung vom Menschen als einem wesentlich politisch-gesellschaftlichen Wesen, dessen Vollendung in der Integration in den Staat als der höchsten Form der Sittlichkeit liegt, so hat sich dieser Humanismus mit seiner Idealisierung des NS-Staates selbst diskreditiert. Doch um zu verstehen, welche Bedeutung der Shoa bei dieser Kritik am Humanismus zukommt, muss das Menschenbild, das all diesen Humanismen zugrunde liegt, etwas ausführlicher zur Darstellung gebracht werden. Auf dieses Menschenbild wird sich die Arbeit im Folgenden beziehen, wenn vom "traditionellen Humanismus" die Rede ist. Das Menschenbild des Humanismus ist entscheidend geprägt vom antiken Menschenbild der Stoa, von dem des Renaissance-Humanismus und von dem neuzeitlichen Menschenbild der Weimarer Klassik. 5 Die Stoa sieht in Anknüpfung an Aristoteles den Menschen als der an dem die durchwaltenden Weltlogos Anteil hat. Liegt die Bestimmung des Menschen in seiner natürlichen Vernunft-und Sprachbegabung, so hat der Mensch nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Kraft, sich durch Entfaltung des zur und fortzubilden: Die höchste Vollendung des Menschen gelingt durch eine selbsttätige Ausbildung der eigenen natürlichen Fähigkeiten und Potentiale. Und sind Vernunft-und Sprachbegabung natürliche Fähigkeiten, die allen Menschen von Natur aus zukommen, so gibt es über alle nationalen und gesellschaftlichen Schranken hinweg eine natürliche Gemeinschaft aller Menschen: "Wenn uns das Denkvermögen gemeinsam ist, dann ist uns auch die Vernunft, durch die wir vernünftig sind, gemeinsam. Wenn dies zutrifft, dann ist auch die Vernunft, die bestimmt, was zu tun ist oder nicht, uns allen gemeinsam. Wenn dies richtig ist, dann sind wir alle Bürger. In diesem Falle haben wir teil an einer Art von Staatswesen. Wenn dies zutrifft, dann ist der Kosmos gewissermaßen ein Staat. Denn zu welchem gemeinsamen Staatswesen, so könnte jemand fragen, sollte das gesamte Menschengeschlecht sonst gehören?" 6 Dem Gedanken einer natürlichen Weltgemeinschaft gemäß wird angenommen, dass allen Menschen vor aller positiven Setzung gesellschaftlicher,
Guillaume Payen, Martin Heidegger. Catholicisme, révolution, nazisme, Paris (Perrin) 2016
2018
Guillaume Payen, Martin Heidegger. Catholicisme, revolution, nazisme, Paris (Perrin) 2016, 678 p., ISBN 978-2-262-03655-3, EUR 27,00.
Die Frage der Metapher in der Philosophie von Emmanuel Levinas
Die vor kurzem erfolgte erstmalige Herausgabe der bis dahin unveröffentlichten Werke Emmanuel Levinas hat die Wichtigkeit der Metapher im Denken von Levinas ans Licht gebracht. Genauer gesagt: dadurch wurde deutlich, dass die Metapher, gleich nach der Veröffentlichung von Totalität und Unendlichkeit, eine wichtige Rolle spielt. Tatsächlich finden wir in den ersten beiden Bänden dieser unveröffentlichten Schriften Levinas einen Vortrag mit dem Titel «Die Metapher», den Levinas am 26. Februar 1962 bei Jean Wahl im « Collège philosophique » gehalten hat, sowie viele Arbeitsnotizen zur Metapher, die vermutlich 1961-1962 entstanden sind und die wahrscheinlich eine Vorbereitung zu diesem Vortrag sind. In diesen Schriften entwickelt Levinas eine Philosophie der Metapher, d.h. eine Philosophie der Transzendenz durch eine Philosophie der Metapher. Diese Philosophie lässt sich in der folgenden Formulierung aus den Arbeitsnotizen zur Metapher zusammenfassen : «Durch seine metaphorische Macht beschreibt das Denken eine Sphäre, die jenseits des Seins ist» 2 . Auffällig ist hier nicht (zumindest auf den ersten Blick), dass Levinas eine Philosophie der Transzendenz entwickelt, sofern er sich schon früh zur Aufgabe gemacht hat, den «Ausweg aus dem Sein und aus den Kategorien, die das Sein beschreiben» 3 zu denken, sondern die Tatsache, dass er zu diesem Zweck eine Philosophie der Metapher ausarbeitet. Anders gesagt: auffällig ist die Bedeutung, die Levinas der Metapher beimisst. Tatsächlich war eine solche Philosophie der Metapher in Totalität und Unendlichkeit und in den vorausgegangen Versuchen nicht vorhanden; zudem wird sie später aufgegeben. Es stellt sich demnach die Frage: Warum arbeitet Levinas direkt nach Totalität und Unendlichkeit eine Philosophie der Metapher aus, und warum gibt er sie in der Folge auf? Die Schwierigkeiten konzentrieren sich hier auf die Beziehung zwischen Transzendenz und Metapher. Um diese Schwierigkeiten zu erklären, müssen wir in zwei Richtungen fragen: als Erstes in Richtung «Transzendenz»: Warum verspürt Levinas das Bedürfnis, eine Philosophie der Metapher auszuarbeiten, um die Transzendenz zu denken? Muss man in Betracht ziehen, dass die Transzendenz in Totalität und Unendlichkeit nicht präzise genug bestimmt worden ist? Zweitens müssen wir in Richtung «Metapher» fragen: Wenn es wahr ist, dass die Metapher, gleich nach Totalität und Unendlichkeit, das Mittel ist, um die Transzendenz als jenseits des Seins zu denken, wie müssen wir also den Verzicht auf die Metapher verstehen? Ist der Begriff der Metapher nicht zu klein, um das Gewicht der Transzendenz zu tragen? 1 . Text eines Vortrages, gehalten im Oberseminar von Prof. Dr. Halfwassen an der Universität Heidelberg am 11. 11. 2013. Es handelt sich um die deutsche Fassung, mit wichtigen Änderungen, eines Aufsatzes der unter dem Titel « La transcendance absolue. Un faux départ vers l'autrement qu'être » erschienen ist in : Levinas, au-delà du visible. Etudes sur les inédits de Levinas, des Carnets de Captivité à Totalité et Infini, E. Housset, R. Calin (Hrg.), Presses Universitaires de Caen, 2012, S. 125-141. Für sein Korrekturlesen meines deutschen Textes danke ich Lukas Iwer. Die Zitate von Levinas, von denen keine deutsche Übersetzung vorliegt, wurden von mir selbst übersetzt. In den Anmerkungen finden sich die Französischen Zitate. 2 . Emmanuel Levinas, Carnets de captivité, suivi de Ecrits sur la captivité et Notes philosophiques diverses, Diese doppelte Fragerichtung betrifft zugleich die Entstehung des Levinasschen Denkens und das Nachdenken über die Macht der Metapher. Erweiterung der Ontologie Fangen wir mit dem ersten Punkt an. Warum entwickelt Levinas, unmittelbar nach Totalität und Unendlichkeit, eine Philosophie der Metapher ? Warum drängt sich die Metapher, die bisher eigentlich nicht vorhanden war, nun plötzlich seinem Denken auf ? Meine Hypothese geht dahin, dass die Metapher der erste Versuch ist, das Problem der ontologische Charakter der Sprache in Totalität und Unendlichkeit zu lösen. Tatsächlich spricht dieses Buch, obwohl es den Vorrang der Ethik vor der Ontologie behauptet, eine ontologische Sprache. Diese Sprache wurde von Levinas gewählt, um eine psychologische und anthropologische Sprache zu vermeiden. Wie Levinas in Wenn Gott ins Denken einfällt schreibt : « Die in "Totalité et Infini" verwendete ontologische Sprache ist keineswegs eine festlegende Sprache. In "Totalité et Infini" ist die Sprache ontologisch, weil sie vor allem nicht psychologisch sein will. Doch in Wirklichkeit geht es hier bereits um eine Suche dessen, was ich "das Jenseits des Seins" nenne, um das Zerreißen dieser Gleichheit sich selbst gegenüber, die das Sein in jedem Fall bedeutet, welche Versuche man auch immer unternehmen mag, es von der Gegenwart zu trennen » 4 . Diese ontologische Sprache ist aber mehr als nur eine Art zu reden, die die tiefere Absicht von Totalität und Unendlichkeit verdecken würde. Wie sein Titel bereits deutlich macht, beabsichtigt dieses Buch « zwischen der Idee der Totalität und der Idee des Unendlichen einen Unterschied zu machen », um dann « den philosophischen Vorrang der Idee des Unendlichen zu behaupten » 5 . Diesen Vorrang zu behaupten bedeutet : der Idee des Unendlichen als « die äußerste Struktur des Seins, als das Ereignis seiner eigentlichen Unendlichkeit » 6 zu betrachten. Die Absicht von Totalität und Unendlichkeit ist also, zwischen der Idee des Seins und der Idee der Totalität einen Unterschied zu machen, d. h., die Idee des Seins von der Wahrheit und dem Verständnis abzutrennen, sofern ein Denken, das von der Idee der Totalität bestimmt wird, sich als Verständnis ereignet, d.h. als ein « restloses Umfassen » 7 . Entgegen der gängigen Interpretation, geht es mit Totalität und Unendlichkeit also weniger um die Kritik an der Ontologie als vielmehr um die Erweiterung der Ontologie. Eine solche Erweiterung hatte sich in Wirklichkeit lange vor diesem Werk zugetragen, wie die unveröffentlichten Schriften es zeigen : so schreibt Levinas in dem Vortrag « Sprache und Stille » aus dem Jahre 1948 : « Seit Heidegger hat die Ontologie sich auf eine Untersuchung beschränkt, die dazu neigt, das Sein als Leuchten oder Glanz zu denken, d. h. als sich selbst spielend in dem Verständnis, das es bestimmt » 8 . Dieser Ontologie, die sich auf das Sein, verstanden als Wahrheit und Verständnis, beschränkt, setzt Levinas die Notwendigkeit der Trennung zwischen « Ereignis des Seins und Ontologie, Ereignis des Seins und Wahrheit » 9 entgegen. Er entwickelt eine Philosophie des Seins begriffen als Vollzug (accomplissement).
Der Tod als Grenze: Zu einer Schlüsselfrage von Emmanuel Levinas
Prolegomena Casopis Za Filozofiju, 2007
ZuSAMMEnFASSunG: im Unterschied zur idealistischen Verneinung und zu Heideggers Verabsolutierung des todes versucht Levinas den tod vor dem Hintergrund. der. ethischen. Beziehung. zum. Mitmenschen. zu. deuten . Er. interpretiert. Hegel erinnert, in Frage gestellt wird. Eine.solche.Grenze.der.auf.das.Ich.bezogenen.Totalität.scheint.der.Tod. zu.sein .Ist.der.Tod.nicht.ein.Ende.und.somit.eine.definitive.Grenze.des.(je. eigenen).Seins?.Die.abendländische.Tradition.des.Idealismus.beantwortet. diese.Frage.negativ,.indem.der.Tod.nicht.als.nichts.und.Vernichtung.des. Seins. verstanden. wird .Aber. findet. sich. eine. radikale. Interpretation. des. todes als Grenze nicht in Heideggers Philosophie? Levinas weiß nur zu gut, dass es sich bei Heidegger um eine radikale Philosophie der endlichkeit.handelt,.dass.also.der.Begriff.der.Grenze.eine.zentrale.Rolle.einnimmt . Doch die von Heidegger verstandene Grenze und endlichkeit ist nicht das Ziel.von.Levinas .Im.