Qualitative Inhaltsanalyse in der literaturdidaktischen Rezeptionsforschung: über die Herausforderung, Verstehensprozesse zu verstehen (original) (raw)
In diesem Beitrag werden Spezifika der mit der qualitativen Inhaltsanalyse vorgenommenen Leserezeptionsforschung dargestellt. Der Schwerpunkt liegt auf dem literarischen Lesen. In Analysen von Textrezeptionszeugnissen, die zu literaturdidaktischen Forschungszwecken vorgenommen werden, ergibt sich eine doppelt-hermeneutische Herausforderung: Ziel ist es zu verstehen, was Leser_innen in Texten verstehen. Für den Analyseprozess folgen daraus spezifische Anforderungen: Erstens muss der Umfang der Kontexteinheit geklärt werden. Hier sind differenzierte Antworten notwendig, weil sich der gegebene Kontext im Leseprozess ständig verändert. Zweitens erfordert das Forschungsinteresse eine bestimmte Art von Kategorien, die in der Literatur als formal bzw. analytisch bezeichnet werden. Eine weitere Differenzierung zwischen strikt formalen und theoriebasiert formalen Kategorien wird hier vorgeschlagen. Drittens muss geklärt werden, ob die rekonstruierten Leseaktivitäten Prozesse sind, oder ob sie auf zugrunde liegende Dispositionen schließen lassen. Diese Anforderungen werden diskutiert und mit Lösungsansätzen versehen.
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Qualitative Inhaltsanalyse in der medienpädagogischen Forschung
2018
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem weit verbreiteten qualitativen Auswertungsverfahren, das auch in die medienpädagogische Forschung Eingang gefunden hat: der Qualitativen Inhaltsanalyse (QIA) nach Philipp MAYRING. Ausgehend von einem kurzen Abriss der Entstehungsgeschichte der (quantitativen) Inhaltsanalyse und deren Bedeutung für die Medienforschung und medienpädagogische Forschung wird die QIA näher vorgestellt. Im Zentrum stehen induktive und deduktive Auswertungslogiken sowie die verschiedenen Auswertungstechniken der QIA, die anhand von Beispielen aus medienpädagogischen Projekten, auch aus dem vorliegenden Band, näher erläutert werden. Darüber hinaus wird auf die Gütekriterien der qualitativen Forschung sowie auf eine für die Anwendung QIA geeignete Auswertungssoftware (QCAmap) eingegangen. Abschließend werden Potential sowie Limitationen der QIA für die medienpädagogische Forschung diskutiert.
Der Satz »Text T hat die Bedeutung B« lässt sich in dieser Form durch keine Empirie stützen. Anders der Satz »Text T hat für mich die Bedeutung B«. Dieser Satz erhält seinen Sinn aus der Berufung auf die eigene Erfahrung. Auch ein Satz der Art »Autor A meinte B mit Text T« (oder »Autor A meinte mit Text T nicht P«) lässt sich in vielen Fällen durch Selbstzeugnisse des Autors plausibilisieren. Hier kommen Quellen ins Spiel, Hinweise auf Erfahrung anderer, ›Daten‹ also, die als solche erst einmal ›erhoben‹ werden müssen. Wir beschäftigen uns in der folgenden Darstellung mit einem etwas weiter gefassten Typus von Bedeutungszuschreibungen, nämlich mit Aussagen vom Typus »Für den Zeitgenossen Zn hatte Text T die Bedeutung B« bzw. »… nicht die Bedeutung P«. Der Autor wird in dieser Betrachtungsweise ebenfalls als »Zeitgenosse« geführt, d. h. mit einbezogen, aber nicht als Bürge einer irgendwie wahreren oder besseren Bedeutung des Textes privilegiert.
Qualitative Inhaltsanalyse in der Bildungsforschung – Beispiele aus diversen Studien
2017
The aim of this contribution is to present Qualitative Content Analysis as an analytical method for empirical studies in the context of educational research and to discuss the investigative potential of this method. First, theoretical background and main analytical techniques of Qualitative Content Analysis are explained and illustrated based on examples from different empirical studies in educational research. Furthermore, Qualitative Content Analysis is discussed with respect to the combination of qualitative and quantitative research methods in the sense of triangulation and mixed methods approaches. Finally, content analytical criteria of scientific quality and software for qualitative analysis will be addressed. (DIPF/Orig.)
Gadamers philosophsiche Hermeneutik und die Literaturwissenschaft, 2012
Was muss der Leser wissen? Gadamers Celan-Interpretation, der Begriff des Verstehens und die Aufgabe der Literaturwissenschaft in memoriam Reiner Wiehl In seinen Schriften zur Lyrik Paul Celans begegnet uns Gadamer in dreierlei Gestalt. Er begegnet uns als Interpret, der es-wie er betont: "ohne jede Information besonderer Art"-unternimmt, "hermetisch verschlüsselte Gedichte" zu verstehen und anderen verständlich zu machen. 1 Gadamer begegnet uns überdies als Theoretiker der Interpretation, der mit Blick auf sein exegetisches Unterfangen der Frage nach den spezifischen Erfordernissen des Verstehens "solcher Gedichte" 2 nachgeht. Trotz einer gewissen Beiläufigkeit und spruchartigen Lakonie der einschlägigen Formulierungen ist es schließlich unverkennbar, dass Gadamer sich am Beispiel Celans als normativ urteilender Literaturtheoretiker betätigt, der uns seinen Begriff davon zu vermitteln sucht, was Lyrik "für die Angehörigen einer durch Sprachgemeinschaft gemeinsamen Welt" leistet 3-idealerweise auch dann leistet, wenn sie schwer zugänglich zu sein scheint und sich in ihren radikalen Ausprägungen "der atemlosen Stille des Verstummens im kryptisch gewordenen Wort" nähert. 4 Die dabei umrissene Poetik beschwört eine Sprach-und Gesprächswelt, "in der der 1
Notizen zur Interpretationspraxis der literaturwissenschaftlichen Avantgardeforschung (2018)
Epilog: Notizen zur Interpretationspraxis der literaturwissenschaftlichen Avantgardeforschung »Interpretation is called for when a things meaning […] is not obvious.« Stephen Davies, The Philosophy of Art (2006) »Picabia möge beruhigt sein -oder eben beunruhigt: wir verstehen nur zu gut.« Aus »G. Rd.[s]« Rezension von Francis Picabias Unique Eunuque (1920) I. Verstehensverhältnisse Das Welt-wie das Selbstverhältnis des Menschen ist nicht nur, aber zentral ein verstehendes. Der Mensch ist, kurz gesagt, ein hermeneutisches Tier; er kann nicht heraus aus seiner Verstrickung in Verstehensverhältnisse, seien diese erfolgreich (Verstehen) oder auch nicht (Miss-und Nichtverstehen). Diese Verhältnisse sind weit ausgespannt zwischen trivialen und weitgehend reflexartig ablaufenden Routinen -»bei Rot stehen, bei Grün gehen« -1 und hoch elaborierten und dynamischen Kontexten etwa der wissenschaftlichen Wissensproduktion. Im Spektrum dieser denkbar vielfältigen Prozeduren nimmt das Verstehen und Interpretieren 2 künstlerischer Artefakte, wie man immer wieder bemerkt hat, eine besondere Stellung ein: »Most artworks are made for interpretation.« 3 In diesem Sinn ragen sie aus dem Kontinuum potentiell interpretationsfähiger und -bedürftiger natürlicher wie artifizieller Gegenstände heraus. Sie erfordern in einem pointierten Sinn einen interpretierenden Umgang mit ihnen. Dieses »made for interpretation« muss seinerseits in zumindest doppelter Hinsicht verstanden werden: Die Kunstformen des Dramas oder auch der Musik sind unauflöslich mit Interpretation im Sinn einer performativen Aktualisierung verbunden; in diesen Fällen 1 Vgl. Hans Blumenberg: Theorie der Lebenswelt, hg. v. Manfred Sommer, Berlin 2010, S. 100-108. 2 Es ist hier nicht der Ort, um diese beiden hermeneutischen Grundbegriffe genauer auf einander zu beziehen. Als Problemanzeige nur: »Not all acts of understanding are acts of interpretation and not all meanings are made apparent through acts of interpretation.« (Stephen Davies: The Philosophy of Art. Malden 2006, S. 112.) Wie aus meinem Titel hervorgeht, bevorzuge ich im Folgenden den Interpretationsbegriff. Er kommt durchgängig in einem technischen bzw. methodischen Sinn zur Sprache (also in Bezug auf Vorgänge mehr oder weniger regelgeleiteter Bedeutungszuschreibung) und nicht in einem erkenntnistheoretischen Sinn (also mit Bezug auf eine Qualität von Wahrnehmung und Erkenntnis, etwa im Sinn der Globalthese, dass »alles Interpretation« sei).
Fiktionale Texte lesen. Im Kontinuum zwischen Wahrnehmung und Reflexion
2021
Seit Searle (1975) stellt die indirekte Referenz fiktionaler Texte ein zentrales Konzept der Fiktionalitätsforschung dar. Oft wird sie sogar als conditio sine qua non für eine intensive Wahrnehmung des fiktionalen Texts betrachtet. Dass diese Vorstellung keinesfalls alternativlos ist, möchte der vorliegende Beitrag zeigen. Dazu nutzt er einen differenzierten pragmatischen Wahrnehmungsbegriff, um zu verdeutlichen, dass die Reflexion über die eingeschränkte Referenz fiktionaler Texte außerhalb des Lesens und ihre genaue Wahrnehmung während des Lesens gleichberechtigte Teilhandlungen darstellen. Genauer gesagt sind sie zwei Extrempunkte mit unzähligen Übergangsformen auf einer Skala mehr oder weniger fiktionsbewussten Lesens. Im Hinblick auf die Vermittlung von Fiktionsbewusstsein kann gerade das Einüben dieser Übergangsformen einer reflexiven Textwahrnehmung hilfreich sein. Denn sie erlauben es unerfahrenen Lesern, den Umgang mit fiktionalen Elementen bereits während des oft unhinterf...
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