Naturgesetz und Menschenwerk Epistemologische Überlegungen, ausgehend vom Geschichts- und Kausalitätsverständnis des Kriminologen Hans Gross (original) (raw)
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Hans Gross, die Kriminalistik und die Genese der wissenschaftlich fundierten Verbrechensbekämpfung
Hans Gross Zentrum für interdisziplinäre Kriminalwissenschaften (ZIK), Vereinigung Kriminaldienst Österreich (VKÖ): Dokumente. Kriminalistik Symposium 2022: Spuren in die Zukunft (Graz 2022), S.1-9 , 2022
Die Kriminalistik stellt sich die Frage "Was verhilft im Rahmen der Gesetze zum Erfolg?" Die Kriminalistik kann als gesammelte und zielorientierte Praxis der Verbrechensbekämpfung, als Werkzeugkasten mit Methoden, Instrumenten und Taktiken beschrieben werden. Sie ist ein schwieriges Handwerk, welches man anhand von Erfahrungen, Fertigkeiten, Kniffen und Tricks erlernt. Dieses Handwerk muss immer wieder an die Veränderungen der Täterschaft und an neue Kriminalphänomene angepasst werden. Kriminalistisches Denken wird als systematisch, methodisch und logisch beschrieben, Fritz Rafenstein vermeinte "Kriminalistik ist durch Logik gebremste Fantasie." 1 Das 1893 veröffentlichte Handbuch des Untersuchungsrichters von Hans Gross und seine Forderung nach einer Lehrkanzel für Kriminalistik, sowie das 1923 gegründete Wiener Institut für Kriminologie und auch die in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bekannte "Wiener Schule der Kriminalistik" genossen Weltruf. Diese historischen Errungenschaften verloren jedoch im Strudel der Zeit immer mehr an Bedeutung. Davon blieb auch die kriminalistische Ausbildung im Bereich der Rechtswissenschaften und bei der Kriminalpolizei nicht verschont. III Vorwort des Dekans der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Graz stellt drei Anliegen in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen in Lehre und Forschung: internationale Ausrichtung, interdisziplinäre Anschlussfähigkeit und praktische Relevanz. Das herauszustellen bietet Angriffsfläche: Beinah unwillkürlich drängt sich der Einwand auf, sich international auszurichten, interdisziplinären Anschluss zu suchen und praktische Relevanz anzustreben sei eine nur allzu offenkundige Konzession an zeitgeistige Überzeugungen und Erwartungshaltungen. Die Fakultät kann dergleichen-davon bin ich fest überzeugt-mit großer Gelassenheit begegnen. Immerhin lebt sie die Offenheit, die in diesen Anliegen geborgen ist, seit beinah 250 Jahren. Es ist diese Tradition der Offenheit, die es der Fakultät erlaubt hat, akademischen und faktischen Herausforderungen der Vergangenheit so erfolgreich zu begegnen; eben weil sie auf der Arbeit von Generationen an Vordenkerinnen und Vordenkern aufbauen konnte. Und es ist diese Tradition der Offenheit, die es ihr erlaubt, zuversichtlich jenen akademischen und faktischen Herausforderungen entgegenzublicken, die die Zukunft bereithalten mag. Bei alldem besteht der Anspruch der Fakultät freilich nicht darin, das, was die Zukunft bereithalten mag, von der Seitenlinie aus zu beachten. Die REWI der Uni Graz will Entwicklungen begleiten und gestalten und so ihre Verantwortung für die künftigen Generationen auf dem Fundament der Tradition der Offenheit wahrnehmen, wie es von ihren Angehörigen bereitet wurde und bereitet wird. Unter den zahlreichen Persönlichkeiten in der Geschichte der Fakultät, die mit dieser Tradition und dem Anspruch, der mit ihr einhergeht, verbunden sind, herauszuragen ist nur wenigen gegeben. Hans Gross zählt zu diesen wenigen. Als Pionier der Kriminalistik konnte er schon zu Lebzeiten die Universität Graz und ihre Rechtswissenschaftliche Fakultät als Zentrum der modernen Kriminalwissenschaften etablieren. Auf dem von ihm bereiteten Fundament baut das neu gegründete Zentrum für Interdisziplinäre Kriminalwissenschaften auf. Dieses Zentrum trägt seinen Namen. Nicht, um an eine große Vergangenheit zu erinnern, sondern um ganz in seinem Geist praxisbezogene interdisziplinäre Forschung zu leben und von ihr ausgehend eine Aus-und Fortbildung von Kriminalbeamt*innen und Jurist*innen sicherzustellen, die seinen Ansprüchen genügen würde.
Hans Gross -ein ‚Vater' der Kriminalwissenschaft. Zur 100. Wiederkehr seines Todestages
Christian Bachhiesl, Gernot Kocher, Thomas Mühlbacher (Hrsg.), Hans Gross -ein ‚Vater' der Kriminalwissenschaft. Zur 100. Wiederkehr seines Todestages (= Austria: Forschung und Wissenschaft interdisziplinär, Bd. 12) (Wien: LIT 2015)., 2015
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Simone De Angelis; Florian Gelzer; Lucas Marco Gisi (Hg.): ‹Natur›, Naturrecht und Geschichte. Aspekte eines fundamentalen Begründungsdiskurses der Neuzeit (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 283). Heidelberg: Winter, 2010
Der interdisziplinäre Sammelband versucht, die spannungsreiche Auseinandersetzung mit den Kategorien der ‹Natur›, des ‹Naturrechts› und der ‹Geschichte› in der Neuzeit (1600–1900) zu rekonstruieren. Im Zentrum des Interesses steht das naturrechtliche Denken als Ort interdisziplinärer Fundamentalreflexion. Die Einzelstudien befassen sich mit der Ausbildung des modernen Naturbegriffs in den verschiedenen Disziplinen, der die Grundlage zur Bestimmung der Kultur des Menschen und seiner Geschichte liefert. Weitere Beiträge widmen sich der Reflexion der menschlichen Kulturleistungen im Spannungsfeld von Geschichtsdenken und modernem Naturbegriff. Schließlich wird die Ausbildung des modernen Geschichtsdenkens in der Aufklärung auf naturrechtlicher und anthropologischer Basis beleuchtet. Mit dieser kulturwissenschaftlichen und wissenschaftshistorischen Ausrichtung liefert der Band einen perspektivenreichen Beitrag zur Geschichte der Bestimmung des Verhältnisses von menschlicher Natur und Kultur.
Recht, Leben Und Staat Im Hegelschen »Naturrechtsaufsatz«
Hegel-Jahrbuch, 2006
Im Hegeischen Naturrechtsaufsatz 1 von 1802/03 haben wir es mit einem Versuch der Begründung der modernen Politik, des modernen Staates, zu tun, der sich in wenigstens zwei-für unseren Zusammenhang relevanten-Aspekten sowohl von den entsprechenden Bemühungen Hegels aus der Berner und Frankfurter Zeit, die doch noch sehr stark dem Ideal der antiken Polis nachhängen, als auch von seiner reifen politischen Philosophie in der Rechtsphilosophie von 1820/21 unterscheidet. Der erste Aspekt ist, daß Hegel nunmehr-im Unterschied zu früheren Begründungen-zwei Ideen der Freiheit, das antike und das moderne Verständnis von Freiheit, miteinander zu verbinden sucht. Das antike Verständnis von Freiheit ist ein organisches (platonische Idee der Freiheit): Die Freiheit eines jeden Moments liegt in der Bestimmung seines richtigen »Ortes« innerhalb eines organischen Ganzen, der Polis. Sowohl der Einzelne als auch die besonderen Gruppen und die gesellschaftlichen Institutionen sind nur insofern Ausdruck der politischen Freiheit, als sie Teile/Glieder eines organischen Ganzen sind und sich als solche wechselseitig beschränken, bedingen und befördern. Dagegen ist das moderne Verständnis von Freiheit ein individualistisch orientiertes. Dem modernen Verständnis der Freiheit nach hängt die Freiheit des Einzelnen von der Existenz eines allgemeinen Gesetzes ab sowie von den entsprechenden gesellschaftlichen und politischen Institutionen (des Rechtsstaats und des Sozialstaats), die individuelle Freiheit garantieren.
Es gehört zu den Besonderheiten der modernen philosophischen Anthropologie, dass ihre beiden Begründer -Max Scheler und Helmuth Plessner -Vertreter von ontologischen Stufenmodellen sind. Plessner zeigt dies schon im Titel seines Hauptwerks an: Die Stufen des Organischen und der Mensch (1928); 1 und Schelers Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928) zufolge fasst der Mensch "alle Wesensstufen des Daseins überhaupt, und insbesondere des Lebens, in sich zusammen". 2 Die Idee von ontologischen Stufenmodellen reicht zwar bis zu Platon zurück. Doch als ihr Neubegründer im 20. Jahrhundert muss Nicolai Hartmann gelten. Hartmann war seit 1925 der neben Scheler zweite Ordinarius in Köln, wo auch Plessner als Privatdozent tätig war. Der für seine Stufen-und Schichtenlehre grundlegende Aufsatz ist 1926 unter dem Titel "Kategoriale Gesetze. Ein Kapitel zur Grundlegung der allgemeinen Kategorienlehre" in dem von Plessner herausgegebenen Philosophischen Anzeiger erschienen. 3 Im Folgenden möchte ich für zwei Thesen argumentieren -die eine hängt mit den systematischen Hintergründen der modernen philosophischen Anthropologie der 1920er Jahre zusammen, die andere betrifft aktuelle Fragen der Philosophie des Geistes und der Person. Die erste, historisch-systematische These besagt, dass Hartmanns Kategorienlehre die entscheidende ontologische Basis für die moderne philosophische Anthropologie liefert. In der philosophiegeschichtlichen Forschung zur Anthropologie hat die Rolle Hartmanns zwar inzwischen Beachtung gefunden, 4 die genannte These ist aber bisher nicht ausgearbeitet worden. -Wendet man den Blick in die Gegenwart, so ist zu bemerken, dass die Überlegungen Hartmanns praktisch keinen Eingang in die zeitgenössischen Debatten finden und ontologische Stufenmodelle kaum eine Rolle mehr zu spielen scheinen. Gleichwohl 1 Plessner (1928). 2 Scheler (1928), 16. 3 Hartmann (1926). 4 Siehe vor allem Fischer (2008). 2 denke ich und dies ist meine zweite These, dass Hartmanns Ansatz auch für die heutige philosophische Diskussion systematisch fruchtbar sein kann, und zwar überall dort, wo ein Standort jenseits von strikt naturalistischen sowie von idealistischen und teleologischen Auffassungen gesucht wird. Das ist beispielsweise in wichtigen Strömungen der analytischen Philosophie des Geistes und der Person der Fall. Ich werde darauf im zweiten Abschnitt des Aufsatzes zurückkommen. Im nun folgenden ersten Abschnitt werde ich mich auf die ontologische Bedeutung Hartmanns für die Stufenmodelle der modernen philosophischen Anthropologie konzentrieren. Auf Seiten der Anthropologie werde ich mich dabei auf Schelers Konzeption beschränken. I. In Die Stellung des Menschen im Kosmos entwickelt Scheler mit Gefühlsdrang, Instinkt, assoziativem Gedächtnis und praktischer Intelligenz eine viergliedrige "Stufenfolge" von Kräften bzw. Fähigkeiten des Lebendigen. 5 Während Pflanzen allein der ersten Stufe angehören, gibt es einige Tiere, etwa nicht-menschliche Primaten, die alle vier Wesensstufen instantiieren. Das zieht eine wichtige anthropologische Konsequenz nach sich: Ob sich Mensch und Tier wesentlich unterscheiden, hängt davon ab, dass es eine weitere Wesensstufe gibt, der nur der Mensch angehört. Scheler nimmt eine solche Stufe an und konzipiert sie vom "Geist" her. Dieser sei ein Prinzip, das "außerhalb alles dessen [steht], was wir ‚Leben' im weitesten Sinn nennen können" und zeichnet sich durch seine Unabhängigkeit vom Organischen aus. 6 Demnach kommt über die vier Stufen des Lebendigen hinaus beim Menschen mit dem Geist eine weitere Stufe hinzu, die aber keine Stufe des Lebendigen ist, sondern dem Leben gerade entgegengesetzt ist. Gegen diese Konzeption liegen vor allem zwei Einwände nahe. Sie sind schon kurz nach dem Erscheinen der Stellung des Menschen im Kosmos erhoben worden und gehören bis heute zur Standardkritik an Schelers Anthropologie. Der erste stammt von Ernst Cassirer und besagt, Scheler erneuere mit seiner strikten Unterscheidung zwischen Geist und Leben den cartesianischen Dualismus und erbe damit auch die für diesen charakteristischen Probleme. 7