“Ruediger vom Bruch und Brigitte Kaderas (Ed.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik: Bestandsaufnahmen zu Formationen, Bruechen und Kontinuitaeten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2002, 476 S., 8 Tabellen, ISBN 3-515-08111-9, gebunden, € 96,00.” (original) (raw)
2009, Sudhoffs Archiv. Zeitschrift fuer Wissenschaftsgeschichte
Der von Rüdiger vom Bruch (Berlin) – Ordinarius für Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität – und Brigitte Kaderas (Berlin) herausgegebene Band ist Resultat einer internationalen Konferenz zum Thema „Wissenschaften und Wissenschaftspolitik – Interaktionen, Kontinuitäten und Bruchzonen vom späten Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik/DDR“. Vom 18. bis 20. Mai 2000 hatten sich im Berliner Harnack Haus der Max-Planck-Gesellschaft zahlreiche nationale wie internationale Spezialisten und Spezialistinnen getroffen, um gemeinsam der historischen Entwicklung einer „national verfaßte[n] und zugleich international agierende[n] Dynamik“ (S. 17) im modernen deutschen Wissenschaftssystem nachzugehen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen in den politischen Systemen unterschiedlicher zeitlicher Epochen herauszupräparieren. Die Anregung zur Tagung wie auch zur Drucklegung der Ergebnisse im vorliegenden Band kam von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), deren Präsident – Professor Ernst-Ludwig Winnacker (München) – in seiner publizierten Begrüßungsrede auch das Bedürfnis der DFG hervorhebt, die historischen Verstrickungen der von ihm geleiteten Forschungsförderungsinstitution in die menschenverachtenden Versuche und die politische Instrumentalisierung von Wissenschaft im Nationalsozialismus aufarbeiten zu lassen. Mit seinem Verweis, daß die DFG „in ihren Gremien, ihren Gutachten und Antragstellern ein Spiegelbild der Wissenschaft ihrer Zeit“ war, beschreibt Winnacker zugleich eine wiederkehrende Figur des Bandes, welche „die Geschichten der DFG, der Max-Planck- Gesellschaft und der Universitäten“ (S. 15) eng verbunden erkennen läßt. Beispielsweise macht hierauf auch der eröffnende Beitrag von Mitchell Ash (Wien „Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander“ aufmerksam, der ,Wissenschaft’ und ,Politik’ als gegenseitig durchdrungene „Ressourcenensembles“ (S. 32) beschreibt, die je nach divergierenden Zwecksetzungen mobilisiert werden konnten. Ferner folgt auch der zweite Eröffnungsbeitrag von Ulrich Wengenroth (München) „Die Flucht in den Käfig: Wissenschafts- und Innovationskultur in Deutschland 1900-1960“ dieser Stoßrichtung. Hierin werden die isolationistischen Tendenzen in Wissenschaft und Politik während der ersten Jahrhunderthälfte auf den Prüfstand gehoben, die zunehmend eine Abkopplung von ausländischen Eliten und Einengung des Blickes auf die heimischen Ressourcen erzeugt haben. Sicherlich bietet „Wissenschaften und Wissenschaftspolitik“ aber keine simplizistischen, monokausalen Erklärungsmuster, sondern eine umfassende Pluralität der Perspektiven auf das komplizierte Wechselgeflecht von Forschungsförderung, Forschungsausrichtung, Wissenschaftsentwicklung und politischer Einbindung von Forschung an. Deshalb mag man auch darüber hinwegsehen, daß der ursprüngliche Tagungstitel wohl zielführender war, als der des Bandes, da sich die überwiegende Mehrheit der Beiträge tatsächlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewegt.