Das ausgestellte Leben. Design in Kunstdiskursen nach den Avantgarden (original) (raw)

Grenzen in Bewegung: Bild und Text in den historischen Avantgarden

Handbuch Literatur & Visuelle Kultur, 2014

Dem avantgarde, jener Vorhut also, die als erste vorrückt, um Neuland zu erkunden und Hindernisse zu beseitigen, ist die Idee der Grenze bereits dem Namen nach inhärent. Jede Avantgarde ist mithin auf ihre eigene Grenze gerichtet; sie vollzieht sich als eine Entgrenzung im Hinblick auf Genre, Medium und Materialität der jeweiligen Ausdrucksmittel. Jean-François Lyotard zufolge definiert sich die Avantgarde über einen "Widerstreit", den er als "instabile[n] Zustand" beschreibt, als "Moment der Sprache, in dem etwas, das in Sätze gebracht werden können muß, noch darauf wartet" (Lyotard 1987 [1983], 33). Die Avantgarde revidiert die idealistische Ästhetik auf radikale Weise und setzt Paralogie, Differenz, Pluralität und Störung des Diskurses an Stelle von Epochenzusammenhängen und Meta-Narrativen, wie sie sich in der Idee der Emanzipation und des Fortschritts der Menschheit, der Teleologie der Geschichte oder der Hermeneutik des Sinns manifestieren. Die Geste der Verneinung, auf die eine Avantgardebewegung wie Dada meistens reduziert wird, ist der caesura unterstellt: der Unterbrechung der Wiederholung, aber einer Unterbrechung, die sich der Einholung in eine "negative Dialektik" (Adorno 1973 [1966]) oder ‚Anti-Kunst' verweigert. In einem temporalen Sinne impliziert dabei die Rede von der Avantgarde-Vorhut, Vortrupp, Vorstoß-eine Ausrichtung auf die Zukunft, genauer auf ein futur antérieur. "Aber diesmal werde ich geschrieben werden", heißt es bereits in Rainer Maria Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) im Hinblick auf das künftige Schreibprogramm der Titelfigur: "Ich bin der Eindruck, der sich verwandeln wird." (Rilke 1966 [1910], 755) Im Modus dieses prophetischen futur anté rieur künden die Avantgarden vom Kommenden und zerschlagen das Bestehende. Jenes Ereignis der Unterbrechung lässt sich sogar historisch fixieren: Im Cabaret Voltaire in der Zürcher Spiegelgasse manifestierte sich zu Beginn des Jahres 1916 in einem eruptiven, spontanen Ausbruch, was unter dem Namen ‚Dada' oder ‚Dadaismus' für das Ereignis der Entgrenzung der Künste steht und zum Höhepunkt all jener Bewegungen geworden ist, die sich der ‚Avantgarde' verschrieben haben. Über diesen kleinsten gemeinsamen Nenner der Unterbrechung und Entgrenzung hinaus kann ‚Avantgarde' konservativ oder anarchistisch, politisch oder

Kunst, Design und die »Technisierte Ästhetik«

Reihe, Bd. 6. Büchner-Verlag: Marburg, 2023

Call for Abstracts: Die gestalterische Produktion-vornehmlich der letzten Jahrzehnte-vollzieht sich im Kontext einer alles umfassenden »Technisierung«, welche gleichermaßen analoge und digitale Aspekte artikuliert und integriert, die ihrerseits wieder die Grundbedingung für quantenbasierte Entwicklungen zu bilden scheinen. Das Kreative zeigt sich somit auch schlechthin in der schöpferischen Unvorhersehbarkeit der neuen Apparate und im Kontext einer bereits mannigfach in der Alltagskultur verankerten Maschinen-Ästhetik. Seitdem dies der sozio-kulturelle Regelfall geworden ist, sind unterschiedlichste kommunikative (Medien-)Transformationen durch grafische und interaktive Interfaces entstanden, die zu allgemeinen Veränderungen in der subjektiven Wahrnehmung von analogen und digitalen Medien geführt haben und vermutlich eine dezidiert »Technisierte Ästhetik« zum Ausdruck bringen und auch einleiteten, deren moderne Ausprägungen durch Vernetzung, Hyperlokalität, Hybridisierung, Cyborgisierung und multimodale Technologien intensiv geprägt werden. Es scheint sich eine Sprache der gestalterischen Felder herausgebildet zu haben, die produktiv in Bereiche des Apparativen vorzudringen vermag und ein klassisches Verständnis von Ästhetik geradezu herausfordert oder destabilisiert. Unter diesen Bedingungen erhalten die bildenden Künste sowie die vornehmlich praxisbasierten und-orientierten Bereiche von Kunst und Design-und ihre jeweiligen innovativen Ideen-auch durch digitale Programme und Apparate einen progressiven Status und werden in gewissen Kontexten direkt durch Hard-und Software selbst produziert oder bleiben nur in Abhängigkeit zu diesen technischen Artefakten möglich. Kunst und Design im Kontext dieser »Technisierten Ästhetik« bieten eine gewissermaßen neue ästhetische Dynamik, die ihrerseits sowohl die Rezeption, die Hervorbringung als auch die ästhetische Klassifikation oder Kennzeichnung problematisiert. In diesem Sinne adressiert diese Publikation vor allem interdisziplinäre Beiträge, die sich mit diesem Themenfeld produktiv auseinandersetzen und allen voran die »Logik der Technisierung« mit einer »Logik des Ästhetischen« systematisch in Beziehung setzen.

Der Schritt in den Raum - Plastiken und Architekturutopien der Avantgarde im Wien der Zwischenkriegszeit

2010

In Hinblick auf die Avantgarde der 1920er Jahre wird Wien bis heute eher mit Wissenschaft, Literatur, Kultur und Musik assoziiert. Der künstlerische Anteil daran wird erst stückweise zu Tage gefördert und verdankt seine wachsende Öffentlichkeit am-bitionierten Forschungs- und Ausstellungsprojekten der letzten Jahrzehnte. Kinetismus – Wien entdeckt die Avantgarde titelte eine Ausstellung des Wien Museums im Jahr 2006 und rückte eine fast schon vergessene Kunstströmung dieser Zeit erneut ins Rampenlicht. Für diese Diplomarbeit wird der Kinetismus exemplarisch für die Wiener Avantgarde herangezogen. Mit dem Fokus auf die Gattung der Bildhauerei sollen die Entwicklung, die Vernetzung und die theoretischen Implikationen mit der internationalen und nationalen Avantgarde der Zwischenkriegszeit dargestellt werden.

Wie Kunst vor Gericht zu Kunst wird. Die Avantgarden der Nachkriegszeit zwischen Kritik der Kunst und Kritik des Rechts

Kunst vor Gericht: Ästhetische Debatten im Gerichtssaal, 2018

Das Verhältnis zwischen den künstlerischen Avantgarden und dem Recht scheint von immanenten Antagonismen und Konfrontationen geprägt zu sein. Einerseits stellten unorthodoxe kritische Strategien und die antiauto- ritäre Haltung avantgardistischer Künstler häufig sowohl soziale wie recht- liche Normen infrage. Andererseits zwang die Notwendigkeit, ihre Werke vor Gericht zu verteidigen, die Künstler immer wieder dazu, eine Trennungs- linie zwischen ihren künstlerischen und subversiven politischen Agenden zu ziehen. Bei ihrem Versuch, den Kanon der ästhetischen Autonomie ins Wanken zu bringen, trat die Avantgarde aus dem künstlerischen und ästheti- schen Kontext heraus, stellte die Grenzen zwischen Kunst und Leben infrage und übte Kritik an der Gesellschaft mittels ästhetischer Radikalität. Die Not- wendigkeit, avantgardistische Kunstwerke vor Gericht als künstlerische Mei- nungsäußerung zu verteidigen, führte daher oft zu Konfrontationen oder sogar zu peinlichen Übereinstimmungen mit einem traditionellen Verständ- nis von ›Kunst‹, wie es von Gerichten vielmals vertreten wurde.

Schöne Kunst als "Kunst zu leben". Zum ästhetischen Denken des späten Herder (2016)

2016

Im Mai 1800 – also dreieinhalb Jahre vor seinem Tod – veröffentlichte Herder die "Kalligone". Diese als Kritik des ersten Teils von Kants "Kritik der Urteilskraft" (KU), also der "Kritik der ästhetischen Urteilskraft" , konzipierte Schrift gehört mit der im April des Vorjahres erschienenen "Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft" zu den Hauptwerken Herders aus seinen späteren Jahren, die grundlegende Kritik an der kritischen Philosophie seines ehemaligen Lehrers zu üben versuchten. Jedoch wurden die beiden Schriften in der bisherigen Herder-Forschung nicht ausreichend gewürdigt, und insbesondere über die Kalligone gibt es nur wenige Arbeiten. Herders Kritik an Kants KU in der Kalligone umfasst mehrere Aspekte, wobei von besonderer Bedeutung ist, dass Herder sowohl die strenge Trennung zwischen dem „Angenehmen“, dem „Schönen“ und dem „Guten“ als auch die Gegenüberstellung von „Natur“ und „Kunst“ ablehnt. Diese Unterscheidung liegt der KU zugrunde und weist auf Kants dualistische Sichtweise hin. Herders Standpunkt hingegen, der häufig als „Monismus“ bezeichnet wird, lässt solche dualistischen Gegensätze nicht zu. Allerdings bedeutet dies nicht, dass Herder durch die Ablehnung jener Unterscheidungen alles gleichsetzen würde. Vielmehr besteht Herders Leistung m. E. darin, sie anders als Kant – nämlich gemäß seiner monistischen Sichtweise – umzuartikulieren bzw. umzugliedern. Herders ästhetisches Denken in der Kalligone logisch zu rekonstruieren sei die Aufgabe der Abhandlung.

Reaktionäre ästhetische Praktiken zwischen Transgression, Populärkultur(en) und Avantgarde Sehnsucht

Ästhetik und Erkenntnis, XI. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik, 2021

Mit Blick auf die Online-Kulturkriege der Neuen Rechten und sogenannte Alt-Right Nerdkulturen (meme wars, LOLitics, Manosphere, Pranksters) zeigt sich eine Verschmelzung von reaktionärer Politik, transgressiver Ästhetik und Populärkultur(en). In den Netzkulturen der Neuen Rechten werden konservative Transgression, Fake und Ambivalenz sowie Tabubrüche und Anti-Konformismus als neuer Mainstream angepriesen-anders gesagt, reaktionäre Ideologie wird als non-konforme Identitätspolitik transgressiv und sogar "humorvoll" verbreitet. Nun hat transgressive Ästhetik in autoritären (und auch völkischen) Subkulturen eine lange Tradition, während die Neuen Rechten versuchen, reaktionäre Konzepte heute erneut anschlussfähig zu machen. In diesem Hinblick analysiert der Beitrag die Ästhetik der Neuen Rechten und zeichnet ihr visuelles Amalgam und ihre kulturellen Anleihen (aus Antike, Romantik, Avantgarde, Popkultur u. a.) nach. Anschließend stellt sich die Frage nach kritischen Kunst-und Kulturpraktiken im 21. Jahrhundert, die mittels subversiver Affirmation-jenseits von neo-konservativen nihilistischen Tendenzen, simplem Relativismus oder Post-Ironie-das identitäre Image unterwandern können. Panel: DIFFERENTIELLE WAHRHEITEN. TRANSGRESSIVE ÄSTHETIKEN JENSEITS DER IDENTITÄTSLOGIK mit Jörg Sternagel (Chair), Sofia Bempeza, Christoph Brunner, Ines Kleesattel watch on-line: https://www.youtube.com/watch?v=ZJgt-QTTZ40