Im Kino zerstreut, im Nachhinein klüger: Notizen zu Pandemie-Politik und/im Film (mit Kracauer, gegen "Contagion") (2021) (original) (raw)

Film und Gesellschaft denken mit Siegfried Kracauer (Hrsg. von Bernhard Groß, Vrääth Öhner, Drehli Robnik, 2018)

Wien, Berlin: Turia + Kant, Dezember 2018, 155 Seiten, ca. 20 Abbildungen – – – Zwischen Alltagsdiagnose, Theoriebildung und philosophischer Essayistik: Siegfried Kracauer (1889-1966) hinterlässt uns am Film geprägte Formen, Gesellschaft kritisch zu denken. Diesem Denken – seiner Geschichte, seiner Aktualität und seinen unerschlossenen Potenzialen – gehen die film-, medien-, geschichts- und sozialtheoretischen Beiträge zu diesem Band nach.

POLITIK DER WAHRNEHMUNG Alexander Kluge und das Kino der Aufklärung

Dass der Film in seiner Freisetzung von Bewegungs- und Zeitströmen der Wahrnehmung zuarbeitet und in seinem Charakter dem Arbeitsvermögen des menschlichen Bewusstseins als zeitlich- geistigem Phänomen ähnelt, ist zentraler Ausgangspunkt des medialen Schaffens Alexander Kluges. Seine „realistische Methode“ versteht sich als Gegenproduktion. Sie verschreibt sich der Umproduktion einer Öffentlichkeit, die in Form der „Bewusstseinsindustrie“ den Erfahrungshorizont des Menschen beschneidet, indem sie ihn homogenisiert und das Eigensinnige des menschlichen Bewusstseins unter Kontrolle hält. Kluges Impetus ist es, „Filme (zu) machen, die im vollen Gegensatz zu (der) Kolonialisierung des Bewusstseins stehen.“ (3) Um umproduzieren zu können, wendet er sich zunächst notwendig den Rohstoffen zu, die in seinem Fall nichts weniger als die Wirklichkeit selbst sind. Er muss diese abbauen, herausätzen, ausgraben, freischaufeln, um eine neue Aufarbeitung der Realität zu betreiben, die den Wahrnehmungsapparat des Menschen sensibel nachjustiert und dessen Aufmerksamkeitshaltung gegenüber der Realität anspitzt; Geistesgegenwart provoziert. Kluge möchte den Menschen im selbstbestimmten Umgang mit einer heterogenen Welt wappnen, die in ihrer Vielstimmigkeit und ihren verwobenen Zusammenhängen danach verlangt, dass der Mensch seine durch Vereinnahmung und Entfremdung abgestumpften perzeptiven Fähigkeiten schult, um aus dem daraus resultierenden erweiterten Erfahrungshorizont produktiv-authentische Schlüsse ziehen zu können. Es geht um das Aktivieren des Potentials im Menschen, „mit seiner Wahrnehmung adäquat umzugehen.“

Siegfried Kracauer und der dokumentarische Film: Interdisziplinäre Betrachtungen und Ansätze

Siegfried Kracauer und der dokumentarische Film, 2019

Der Beitrag setzt sich mit Siegfried Kracauer und seinen filmsoziologischen Ansätzen mit Blick auf dokumentarische Filme auseinander. Mit dieser Perspektive auf Kracauers Schriften erhebt dieser Beitrag den Anspruch, in der Kracauer-Forschung neues Terrain zu betreten. Es werden in einem ersten Schritt die filmsoziologischen Ansätze in den einschlägigen Studien Kracauers rekapituliert. Darauf aufbauend, arbeitet der Beitrag die dokumentarischen Bezugsrahmen aus Kracauers filmischem Werk heraus, die sowohl theoretische sowie auch empirische Einblicke eröffnen. Nicht zuletzt kann festgestellt werden, dass Kracauers Motive und Schreibweisen dokumentarische Qualität besitzen, so dass argumentiert werden kann, dass das Dokumentarische einen bislang übersehenen, nichtsdestoweniger zentralen Aspekt seiner Arbeiten bildet.