Einleitung: Licht und Schatten des Frühmittelalters in Mitteleuropa (original) (raw)

Vergangenheit und Gegenwart der Frühmittelalterarchäologie. Anmerkungen zu Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich

2019

Die Monographie von Hubert Fehr * behandeltso Fehr in der Zusammenfassung (FEHR 2010, 784)-"ein altbekanntes Problem der europäischen Frühmittelalterarchäologie: die ethnische Interpretation der frühmittelalterlichen Reihengräberfelder vor dem Hintergrund eines angenommenen germanisch-romanischen Dualismus". Im Kern vertritt Fehr die These, dass die typischen Reihengräberfelder des 5.-8. Jahrhunderts im nördlichen und westlichen Teil des Merowingerreichs nicht wie bis in die Gegenwart vielfach angenommen der Niederschlag einer Zuwanderung germanischer Bevölkerungsteile während der sogenannten Völkerwanderungszeit sind. Diese Sichtweise beruhe vielmehr auf der unzutreffenden Prämisse eines tief greifenden germanisch-romanischen Antagonismus während des Frühmittelalters, den der Autor in der vorliegenden Arbeit umfassend dekonstruiert. Darüber hinaus möchte der Autor zeigen, dass die entscheidenden Einwände gegen die traditionelle "germanische" Interpretation der Reihengräberfelder bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bekannt sind. Der Frage, welche politischen bzw. fachgeschichtlichen Gründen dafür verantwortlich waren, dass sich diese Argumente bis in die Gegenwart nicht umfassend durchsetzen konnten bzw. von der mitteleuropäischen Forschung weitgehend ignoriert wurden, erklärt den vorwiegend wissenschaftsgeschichtlichen Zugriff der Arbeit (s. a. RISTOW 2010). Mit seiner Arbeit folgt Fehr einer Freiburger Forschungsrichtung, die durch die Prähistoriker Heiko Steuer und Sebastian Brather erste grundlegende Arbeiten vorlegte. Gefördert wurde diese Dissertation und ihre Thematik, die "keineswegs selbstverständlich in der ur-und frühgeschichtlichen Archäologie ist", in einer "offenen und anregenden Atmosphäre" am Universitäts-Institut Freiburg i. Br. unter Heiko Steuer durch verschiedene Wissenschaftsprojekte, wie ein Freiburger Sonderforschungsbereich 541 ("Identitäten und Alteritäten"), das Projekt "AREA-Archives of European Archaeology" oder der "Studienstiftung des Deutschen Volkes". Die Dissertation wurde 2003 abgeschlossensie erschien also sieben Jahre späterist 806 Seiten stark und weist für eine prähistorische Arbeit nur wenige Karten, Abbildungen, Fotos oder dergleichen auf. Man hat also nur zu lesen. Es ist aber eine interessante und anregende Thematik, die hier zum ersten Mal in dieser Bündelung behandelt wird, und sicher nicht aller Zustimmung finden wird. Den Kern der vorliegenden Arbeit "bildet somit eine Analyse der wichtigsten Arbeiten zur Interpretation des frühmittelalterlichen ‚Reihengräberhorizontes' vor dem Hintergrund eines angenommenen germanisch-romanischen Antagonismus" (FEHR 2010, 17). Aber nicht nur das, in Teil II wird auch dessen politischer Gebrauch und Missbrauch ausführlich untersucht. Die sachkundliche Verbindung der deutschen Prähistorie mit ihrer Wissenschafts-und Forschungsgeschichte lässt in Hubert Fehr einen klar denkenden, fleißigen und vielseitigen, aber auch wortgewandten Autor erkennen, der nun zahlreiche als feststehend geltende Sachverhaltenicht nur * HUBERT FEHR, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen. Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Band 68. Herausgegeben

Die Jagd im Frühmittelalter

in: Saufeder, Hirschfänger, Federspiel - Waidwerk in Franken bis zum Ende der Feudaljagd, Schriftenreihe des Städtischen Museums Kitzingen, Band 7, Kitzingen 2014

Das Königtum Minderjähriger Im Fränkisch-Deutschen Mittelalter

Historische Zeitschrift

D ie Schwäche des Kindes, das nur den königlichen Namen trägt, hat uns seit langer Zeit eines Herrschers beraubt. Sein Alter ist weder brauchbar im Kampf noch fähig, die Gesetze zu handhaben. Der zarte Körper und die erst spät reifenden Kräfte flößen den eigenen Leuten Verachtung, den Feinden aber Kühnheit ein. Wie oft erinnere ich mich der Weissagung jenes, der ,wehe über ein Land' ausrief, ,dessen König ein Kind ist' (Koh. 10,16)".') Die alttestamentlich fundierte Klage Bischof Salomos von Konstanz zu Beginn des 10. Jh.s umreißt treffend die Problematik des mittelalterlichen Kinderkönigtums. Er beklagt einen von ihm anerkannten und unterstützten König, Ludwig das Kind (900-911), der nicht selbst herrschen kann und somit das in seiner Person verkörperte und handelnde .Staatswesen' paralysiert. In Schlagworte gefaßt, sind demnach Legitimität und Idoneität sowie das aus ihrer ') Salomo von Konstanz, Carmina. Ed. Paul von Winterfeld, in: MGH Poet. lat. IV. Berlin 1899, 302 Z. 177-185: Principe deslituil mullo nos tempore languor Infantilis adhuc perfungens nomine regis; Aetas nec pugnξ est habilis nec legibus apta, Cui genus indulget regnis sceptroque potiri, Sed tenerum corpus serqque ad fortia vires Despectum propriis generant et hostibus ausum. Quem vereor, mi dulce caput, quam sepe revolvo Illius eulogium, qui vae portendere genti. Supra quam iuvenis staret dominatio regis, Asseruit.

Stefan Eichert: Oberkärnten im Frühmittelalter. In: Franz Nikolasch (Hrsg.), Symposium zur Geschichte von Millstatt und Kärnten 2012 (Millstatt 2013) 1-30.

Der vorliegende Artikel 1 behandelt den Zeitraum zwischen dem Ende der Spätantike und dem beginnenden Hochmittelalter in einem geographischen Gebiet, welches gemeinhin als Oberkärnten bezeichnet wird. Konkret ist im Folgenden damit der westliche Teil Kärntens gemeint, speziell das Drautal und seine Nebentäler westlich von Villach sowie das Gail-und Lesachtal. Darüber hinaus soll auch ein Blick nach Osttirol geworfen werden, das vom naturräumlichen wie auch politischhistorischen Standpunkt ebenfalls eine starke Verbindung zu den Landschaften im heutigen Kärnten aufweist. Eine zentrale Bedeutung kommt besonders dem Raum Spittal an der Drau -Millstättersee zu, in dem man quer durch die Zeiten Mittelpunkte von überregionaler Bedeutung identifizieren kann. Teurnia in der Spätantike Ausgangspunkt für unsere Überlegungen soll das römische Teurnia auf dem Holzer Berg sein. Die Stadt war bereits in der Kaiserzeit das urbane Zentrum des Oberkärntner Raumes und ist im Verlauf der Spätantike zur Provinzhauptstadt aufgestiegen 2 . Des Weiteren war Teurnia Bischofssitz. Der Stadtbezirk bzw. auch der Diözesanbereich umfasste das Areal des heutigen Kärntens westlich von Villach, den Salzburger Lungau sowie das italienische Kanaltal 3 . Die Siedlung ist nach Süden hin durch die Drau geschützt, ihre weiteren Flanken sind mit einer Stadtmauer befestigt. Im Inneren fanden sich unterschiedliche öffentlich-offizielle und zivile Gebäude sowie eine Bischofskirche mit dazugehörigem Hospitium. Außerhalb der Stadtmauern -"extra muros" -befand sich eine weitere Kirche, in deren Seitenkapelle ein prächtiges Mosaik angelegt war 4 .

DEUTSCHE GESCHICHTSSCHREIBUNG AUS DER SICHT FRANZÖSISCHER HISTORIKER Das Beispiel des Frühmittelalters

Die Rückkehr der deutschen Geschichtswissenschaft in die "Ökumene der Historiker"

AUS DER SICHT FRANZÖSISCHER HISTORIKER Das Beispiel des Frühmittelalters* Schwankend zwischen der Anziehungskraft deutscher Geschichtswissenschaft und ihrem Mißtrauen angesichts des pangermanischen Schreckensbildes, versuchten die Franzosen, die wissenschaftliche Methodik des deutschen Nachbarn zu beurteilen (»Les historiens fran<;ais et la science historique allemande, 1923«) 1. Marc Bloch rief: »Wozu diese gefahrlichen Bezeichnungen, >deutsche< oder >französische< Wissenschaft? Wenn ich mich nicht irre, gibt es doch nur eine Wissenschaft« 2. Während des ganzen 19. und frühen 20. Jahrhunderts, von Georg Niebuhr bis zu Alfons Dopsch, war die deutschsprachige Geschichtsschreibung für die französischen Mediävisten zugleich wissenschaftliche Referenz und Modell. Dieser beispielhafte Charakter konnte Anknüpfungsmöglichkeiten für einen Bedeutungszuwachs der Geschichtswissenschaft liefern, aber er konnte auch in entgegengesetzter Richtung eine Bekräftigung einer spezifisch französischen Praxis ermöglichen. Gabriel Monod unterstrich 1876 in seinem Einleitungsartikel in der »Revue historique« diese bestimmende Rolle als: Es ist Deutschland, das den größten Teil zur historischen Arbeit unseres Jahrhunderts beigesteuert hat. Dieses Übergewicht verdankt Deutschland wahrscheinlich seiner besonderen * Anmerkung der Übersetzerin: Im Original lautete der Titel: »L'historiographie allemande vue par les historiens frangais: l'exemple du tres haut Moyen Age«. Die deutschen und die französischen Periodisierungen der einzelnen Abschnitte des Mittelalters (und damit auch die Bezeichnungskonventionen) unterscheiden sich. In Frankreich geht ein Teil der Mediävisten von der Existenz eines »Moyen Äge central« eines »zentralen Mittelalters« aus. »(Tres) haut Moyen Äge« wurde daher den deutschen Konventionen entsprechend mit »Frühmittelalter« übersetzt. In diesem Text steht nicht das »Hochmittelalter« im Sinne der deutschen Definition im Mittelpunkt, sondern vor allem Forschungen zur Übergangszeit nach dem Ende der Antike bzw. Arbeiten zur merowingischen und karolingischen Epoche. Das unten im Text erwähnte CISAM (Centro Italiano di Studi sull'Alto Medioevo, Spoleto) beschäftigt sich nach eigenen Angaben mit der Kultur des 5.-11. Jahrhunderts (G.N.). 1 Louis HALPHEN, Les historiens fran?ais et la science historique allemande, Paris 1923. 2 Marc BLOCH, Une solution de continuite: invasions germaniques ou Islam?, in: Annales 4 (1934), S. 399. Agnes Graceffa Begabung (genie) selbst, die ganz besonders den geduldigen Forschungen der Gelehrsamkeit zu eigen ist [...]. Es verdankt sie vor allem der guten Organisation seiner Universitäten 3. Zwischen 1870 und 1914 erreichte die Bewunderung ihren Höhepunkt. 1957 charakterisierte Claude Digeon diesen Zeitabschnitt als »crise allemande de la pensee fran^aise« (deutsche Krise des französischen Denkens) 4. Die zeitgenössischen Beobachter waren der Ansicht, daß die militärische Überlegenheit der Deutschen sich gleichermaßen auf eine wissenschaftliche und geistige Vorrangstellung stützte, auf das Produkt der hohen Qualität ihres Bildungssystems und ihrer Gelehrten. Nach Charles Olivier Carbonell referieren in denselben Jahren der größte Teil der theses (d.i. wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten) zum Frühmittelalter mehr deutsche als französische Quellen 5. Die jüngsten Untersuchungen zu diesem Thema neigen dazu, den Einfluß der Wissenschaft vom anderen Rheinufer geringer einzustufen, indem sie über die Grenzen dieses importierten Modells< 6 nachdenken und zu dem Schluß kommen, bei den französischen Historikern sei das Interesse »traditionsgemäß schwach« gewesen 7. Das Gewicht einiger als »Standardwerke« bezeichneter Arbeiten, die in den Genuß einer französischen Übersetzung gekommen seien, verdecke eine allgemeine Unkenntnis der zeitgenössischen deutschen historiographischen Landschaft 8. Die Beurteilung des deutschfranzösischen Wissenschaftstransfers bezog sich vor allem auf die Germanistik, manchmal auf die Zeitgeschichte, seltener auf die Mediävistik 9. Der Fall des frühen Mittelalters kann innerhalb des historiographischen Feldes 3 Gabriel MONOD, Du progres des etudes historiques en France depuis le XVI e siecle, in: Revue historique 1 (1876), S. 27.