Vergleichende Soziologie, kritischer Realismus und Reflexivität (original) (raw)
2021, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderheft
Der Beitrag beschäftigt sich mit soziologischen Herangehensweisen an den Vergleich und schlägt dazu eine postpositivistische Alternative vor. Der erste Teil behandelt den Vergleich als einen allgemeinen Aspekt der kognitiven Tätigkeit und der sozialen Existenz des Menschen. Der zweite Teil konzentriert sich auf die beiden bislang einflussreichsten Konzepte des Vergleichs, die beide aus den Praktiken des sozialen oder alltäglichen Vergleichs entsprungen sind. Die sogenannte komparative Methode (und die Modernisierungstheorie nach 1945) ging aus den Praktiken der wechselseitigen Beobachtung von Kulturen, Staaten und Imperien hervor. Sie bestand üblicherweise darin, das europäische Modell auf den „Rest der Welt“ anzuwenden und postulierte allgemeine Gesetze der sozialen Evolution. Die zweite Herangehensweise war die sogenannte Mill’sche Methode, die die qualitative vergleichende Soziologie in den 1980er-Jahren dominierte. Sie ersetzte den Evolutionismus durch eine neopositivistische Epistemologie, die Kausalgesetze zu identifizieren suchte. Auch dieser Zugriff entstand aus Kontexten des sozialen Vergleichs, nämlich aus den kompetitiven und vergleichenden Interaktionen innerhalb der zunehmend feldähnlichen Disziplinen der Soziologie und Politikwissenschaft. Im dritten Teil plädiere ich für ein alternatives Konzept des soziologischen Vergleichs, das sich auf den Kritischen Realismus stützt. Dieser bricht mit zwei philosophischen Doktrinen, die im Commensense, der empirizistischen Ontologie und der positivistischen Epistemologie wurzeln. Abschließend schlage ich vor, diesen Beitrag als eine Form wissenschaftlicher Reflexivität in der Lesart von Pierre Bourdieu zu verstehen, nämlich als einen Bruch mit den Kategorien des Commensense und mit der Doxa des Faches. Bourdieus Zugang eröffnet einen Weg zurück zum wissenschaftlichen und zum sozialen Commonsense. Wie sich zeigt, ist ein vergleichender Commonsense dem kritischen Realismus oftmals näher als andere Vergleichstheorien.
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Revisionen des Realismus. Zwischen Sozialporträt und Profilbild, 2018
Dem Buch liegt die These zugrunde, dass der visuelle Konstruktivismus keine immanente Angelegenheit im »Reich der Zeichen« ist. Selbstbilder und Erscheinungsbilder in der individualistischen visuellen Kultur der sozialen Medien sind als »Erscheinungen« eines soziokulturellen »Wesens« zu rekonstruieren, das zugleich Resultat von Abstraktion und Resultat von realer Herrschaft und Gewalt ist. Auf diesem Felde bringt sich unerledigtes Problempotential aus der Tradition des philosophischen Universalienrealismus in Erinnerung.
Gleichheitseffekt, Empathie, Reflexion und Begehren: Politiken des Realismus
montage AV Vol. 23 Nr. 2, 2014
This paper (written in German, sorry for all non-germanophones!) deals with the political implications of filmic realism. After an introductory part, it treats the political struggles around Italian neo-realism in the 1940s and argues that film studies' dominantly aesthetic approach to neo-realism is historically inadequate. In the next section it criticises the 1970s’ (Western Marxist and post-structuralist) anti-realism and argues with Bert Brecht for a political idea of realism. The main part of the argument is then concerned to differentiate four principle ways in which realism can become political: through the ‘equality effect’ (Rancière) which levels social differences and representational hierarchies; through an empathic engagement with the characters, implying a critique of social institutions; through a reflexion upon social structures (Brecht again); and by stimulating an emancipatory desire (Guattari). The papers thus argues for a pluralistic approach to the question of political realism.
Critical Realism als Philosophie der Sozialwissenschaften
Lindner, U./Mader, D. (Hg.): Critical Realism meets kritische Sozialtheorie, 2017
Zumindest in Teilen der angelsächsischen Sozialwissenschaften ist die Diskussion um Realismus und Materialismus nie abgerissen, sodass diese Perspektiven, anders als in den Kulturwissenschaften und weiten Bereichen der Philosophie, auch nicht erst »neu« entdeckt werden müssen. Aus der angelsächsischen Diskussion um einen sozialwissenschaftlichen Realismus/Materialismus ragt vor allem ein Ansatz heraus: der Critical Realism, wie er seit Mitte der 1970er-Jahre u.a. von Roy Bhaskar, Margaret Archer, Andrew Sayer und Dave Elder-Vass entwickelt worden ist. Wer sich mit dieser Theorieströmung beschäftigt, wird schnell feststellen, dass vieles an den neuen Realismen/Materialismen nicht allzu »neu« ist. So teilt der Critical Realism bestimmte Anliegen, die im Zuge des cultural turn prominent wurden und an die auch die neuen Realismen/Materialismen anschließen, wie etwa die Sprachvermitteltheit aller Erkenntnis oder die Zurückweisung deterministischer Kausalitätsvorstellungen; in seinem Rahmen wurden diese Einsichten jedoch von Anfang an in eine Kritik des Anthropozentrismus eingebettet, die von einer ontologischen Vorgängigkeit nicht-menschlicher Dinge ausgeht und deren Wirkkräfte betont. Auch handelt es sich hier um keinen philosophischen Ansatz, der »von außen« auf die Sozialwissenschaften trifft, sondern um eine Philosophie der Sozialwissenschaften, an deren Ausarbeitung Vertreterinnen der einzelnen Disziplinen maßgeblich beteiligt waren. Den Sozialwissenschaften unterbreitet der Critical Realism ein sehr weitreichendes Integrationsangebot: Er verbindet sozialontologische, epistemologisch/methodologische und ethisch-kritische Fragestellungen und gewinnt daraus Kriterien und Heuristiken sowohl für die empirische Forschung als auch die Konstruktion von Gesellschaftstheorien.
Kritik woran? Zur Ambivalenz der kritischen Soziologie Hartmut Rosas
Zusammenfassung: Der Beitrag bestimmt das Verhältnis von Kapitalismus- und Modernekritik in der Theorie Hartmut Rosas. Dazu werden die für ihn zentralen Kategorien Beschleunigung, Entfremdung und Resonanz rekonstruiert, um aufzuzeigen, wie sich innerhalb seiner Theorie der Gegenstand der Kritik verschiebt. Hartmut Rosa erhebt den Anspruch einer radikalen Kapitalismuskritik, die sich auf die frühe Kritische Theorie beruft, und macht zugleich den Kommunitaristen Charles Taylor zu seinem zentralen Bezugspunkt. Die sich daraus ergebene Ambivalenz wird, so wird gezeigt, von Rosa im Zuge seiner Theorieentwicklung auf Kosten der Kapitalismuskritik aufgelöst. Abstract: The article identifies the relation between the criticism of capitalism and modernity in the work of Hartmut Rosa. It details his major concepts acceleration, alienation and resonance to show how the critique changes its topic within the theory. Hartmut Rosa claims a radical criticism of capitalism in the tradition of Critical Theory. Concurrently his work bases on Charles Taylors Communitarianism. Rosa dissolves the subsequent ambivalence by dropping the criticism of capitalism.
Realität statt Realismus. Performative Reflexivität auf unsicherem Terrain
Marcel Broodthaers, Cat. Kunsthalle Wien, Vienna, 2003, Extract Mackert
Marcel Broodthaers (Brussels, 1924 - Cologne, 1976) launched his entrance into the arena of the fine arts as an openly strategic exercise: "I too have wondered whether I could not sell something and be a success in my life... Eventually the idea came to me that I would invent something insincere, and I immediately set to work", as he proclaimed on the invitation cards to his first exhibition in 1964. They were printed across a four-colour advertising spread in a magazine. Broodthaer's thought-figures operate in an imaginary sphere: the real can only be approached via the fictional. The foreign object, the stereotype of distance, of exoticism, of the uncertain journey serve him as lines of retreat in the hard trade of the economy, which each item of (artistic) production is subject to, addressing as it does the market of the money, i.e. of the ruling Capitalist culture. With an infallible instinct Marcel Broodthaers changed to and fro between various media and roles, and different worlds and languages. His position was always one of acceptance, of entering into new ventures and daring to cross to foreign shores - even at the risk of disappearing from sight. Editors and Curators: Sabine Folie, Gabriele Mackert See: http://kunsthallewien.at/#/en/exhibitions/marcel-broodthaers
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in D. D'Angelo - N. Mirkovich (eds.), New Realism and Phenomenology, in Meta. Research in Hermeneutics, Phenomenology and Practical Philosophy, Special Issue, 2014, p. 265-279.