Review Und doch bleiben immer wieder Leerstellen Geschichte der Gegenwart 29 Aug2021 (original) (raw)

Einleitung: „Was vom Forschen übrig blieb…︁“

Berichte Zur Wissenschaftsgeschichte, 2014

Was vom Forschen übrig bleibt, sind neben publizierten Ergebnissen je nach Wissenschaft und Wissenschaftler auch Objekte, Praktiken oder Technologien, wie Residuen individueller wissenschaftlicher Tätigkeit, wie etwa das im Deutschen Literaturarchiv Marbach zu bestaunende Zettelkastensystem des Philosophen Blumenberg. Warum ist das alles-nicht nur für Wissenschaftshistorikerinnen und Wissenschaftshistoriker-von Interesse? Westlichen Gesellschaften des späten 20. und 21. Jahrhunderts wird gern das Etikett der "Wissensgesellschaft" angeheftet, 1 um ihren postindustriellen Charakter zu beschreiben, also den Umstand, dass in diesen Gesellschaften die-vor allem angewandten-Wissenschaften und die Technik von (kçrperlicher) Arbeit entgrenzt sind. Wissen und Wissenschaft sind dabei längst im normativen Sinne orientierende Faktoren geworden, die politisches, soziales und individuelles Entscheiden und Handeln anleiten. Auch hieraus lässt sich das Mantra der beschleunigten Produktion von Wissen mit einem vermeintlich exponentiellen Zuwachs an Information erklären, wird doch das Leben in unserer postindustriellen Gesellschaft durch Wissenschaft erklärt, durch Technologie am Laufen gehalten und durch die Biomedizin-zumindest in Bereichen-von den Kontingenzen leiblicher Existenz befreit. Die Forschungsarbeit und-leistung des Einzelnen, der als Forscherperson zunehmend in immer breiter aufgespannten wissenschaftlichen Netzwerken der (global) verteilten Wissensproduktion aufzugehen scheint, ist daher für die Wissenschaftsgeschichte sowohl von besonderem Interesse bei der Schaffung von Orientierungswissen 2 als auch eine besondere Herausforderung. Dies soll hier in drei Schritten und unter gelegentlichem Bezug auf das Leben und Werk des Biochemikers Carl Djerassi beleuchtet werden. Der vorläufige Charakter des hier Vorgestellten ergibt sich dabei in ganz selbstverständlicher und zwangloser Weise aus dem Gesagten selbst.

Familiensudoku. Leerstellen in Familiennarrative Von Krieg Und Verfolgung: Susann Pásztors Roman „Ein Fabelhafte Lügner“

Anuari De Filologia Literatures Contemporanies, 2011

In der Kultur der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg hat sich in Deutschland im letzten Jahrzehnt ein Wandel vollzogen. Die produktive Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit der ersten Generation wird zunehmend von der Suche nach Möglichkeiten des Umgangs mit der Erinnerung an Krieg und Vertreibung durch die zweite und dritte Generation abgelöst. Susann Pásztors Roman Ein fabelhafter Lügner wird als Beitrag zu dieser Diskursverschiebung analysiert. Dabei versinnbildlicht das Sudoku nicht nur die Leerstellen in der familiären Erinnerung, sondern auch die Veränderung in der Familienstruktur und die Versuche, einen adäquaten Umgang mit der Vergangenheit zu finden.

Von Leerstellen, Migration und Geschlecht. Ein Werkstattbericht

Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 2016

Zusammenfassung Die Tiroler Geschichte der Migration weist nach wie vor viele Lücken und Leerstellen auf. Nur wenige Quellen erzählen von der Geschichte der Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen in den 1960er und 1970er-Jahren. Völlig fehlt eine Perspektive, die Geschichte "von unten" beleuchtet, d. h. aus einer nicht-institutionalisierten, nicht-ökonomistisch motivierten Sichtweise die alltäglichen und erfahrungsweltlichen Aspekte der Migration historisch aufarbeitet. Insbesondere ein geschlechtersensibler Blick und ein Blick auf die Verflechtungen von Geschlecht, Klasse und "Rasse"/Ethnizität ist größtenteils abwesend. Das "Zentrum für Migrant-Innen in Tirol" (ZeMiT) begann 2014 damit, in Tirol in der lokalen Bevölkerung nach-schriftlichen und erzählten-Erinnerungen an die Geschichte der Arbeitsmigration zu fragen. Der vorliegende Beitrag reflektiert den bisherigen Arbeitsprozess, geht der Frage nach, wie Geschlecht bisher in den Erhebungen berücksichtigt wurde, wie eine Annäherung an Geschichte "von unten" methodisch erfolgen kann und welche Potenziale dies-im Prozess des Sammelns, Dokumentierens und Vermittelns-birgt.

Rassismus als Leerstelle der deutschen Zeitgeschichte

transcript Verlag eBooks, 2023

»Rassismus« ist im Gegensatz zu »Rasse« oder den daraus abgeleiteten Begriffen »Rassenkunde«, »Rassenhygiene«, »Rassenkampf« und dergleichen ein relativ neuer Begriff. Seine Genese und Verbreitung sind ebenso wenig abschließend geklärt wie die Frage, ob er als übergeordnete Bezeichnung von Ideologien, Theorien und Praktiken zu »Rasse« von deren Vertreter*innen ersonnen wurde oder aber in kritischer Reaktion darauf entstand. In deutscher Sprache wurde der Begriff Rassismus wohl zum ersten Mal 1933 vom jüdisch-deutschen Sexualforscher Magnus Hirschfeld in kritischer Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Rassentheorien verwendet (Geulen 2006: 266). 1 In der direkten Nachkriegszeit sprach man in Deutschland in Abgrenzung zum »Dritten Reich« allerdings von »Rassenwahn« oder »Rassenhass«, seltener von Rassismus. Auf globaler Ebene nutzte die UNESCO den Begriff Rassismus, so in ihrem berühmten Statement The Race Question von 1950. 2 In Deutschland kursierte er dann erst ab den späten 1960er Jahren. Eine der ersten der zunächst relativ wenigen wissenschaftlichen Publikationen, die ihn auf die deutsche Gesellschaft anwandten, war die 1980 erschienene soziologische Studie von Badi Panahi Vorurteile, Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus … in der Bundesrepublik heute. 1985 hatte Werner Conze in den für die Zeitgeschichte maßgeblichen Geschichtlichen Grundbegriffen unter dem Eintrag »Rasse« festgestellt, dass dieses Konzept nach dem Nationalsozialismus »vor allem im deutschen Volk […] ganz bedeutungslos« geworden sei. Der Begriff Rassismus, der als abfällige Bezeichnung der NS-Rassenideologie aufgekommen sei, so der Eintrag weiter, würde inzwischen auch auf »andere anstoßerregende Fälle, wie z.B. Südafrika« angewandt (Conze/Sommer 1985: 178). Tatsächlich wurde Rassismus von der deutschen Zeitgeschichtsforschung bis vor Kurzem als ein externer, in anderen Zeiten und Orten angesiedelter Unter-1 Hirschfeld konnte sein Buch Rassismus nicht publizieren, es erschien erst posthum 1938 in London mit dem nun englischen Titel Racism.

Einleitende Gedanken: Was für die Geschichte übrig bleibt

Lisa Regazzoni (Hg.): Schriftlose Vergangenheiten Geschichtsschreibung an ihrer Grenze - von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart , 2019

„Schriftlose Vergangenheiten“ sind vergangene Kulturen, Völker, Ereignisse und Zustände, die keine oder nur unzulängliche schriftliche Quellen hinterlassen haben. Die Beiträge führen vor, wie historisch arbeitende Gelehrte und WissenschaftlerInnen – von der Neuzeit bis in die Gegenwart – sich mit diesem Vakuum auseinandersetzen, welche alternativen Überreste sie zu aussagekräftigen Quellen konstruieren und welche „Geschichten“ dabei entstehen.

"So sprachen wir immer, am wahren Text vorbei." Zur symptomatischen Lektüre der Erzählungen Was bleibt und Sommerstück von Christa Wolf

Initium, 2021

In der Studie wird durch die Analyse zweier Erzählungen Christa Wolfs, Was bleibt (1990) und Sommerstück (1989), ein neuer Ansatz der Deutung des Wolf’schen Œuvres entworfen, der sich auf die theoretische Grundlage der sog. symptomatischen Lektüre stützt. Die Entwicklung dieses neuen Ansatzes erfolgt nach der kritischen Aufarbeitung der bisherigen literaturwissenschaftlichen Rezeption der Werke. Es wird demonstriert, dass diese bisher stark von einer biografischen Problematik dominiert wurde. In dieser Arbeit werden biografische Aspekte überhaupt nicht in die Analyse einbezogen: Die Frage nach dem Verhältnis des Individuums zur Macht, die nach der Auffassung der Studie die Hauptproblematik der Texte darstellt, wird hier aus gesellschaftstheoretischer Perspektive behandelt. Den Analysen der zwei Erzählungen folgt ein Exkurs über die Rezeption Wolfs in der ungarischen Presse. Schließlich werden einige Ideen für weiterführende Recherchen vorgeschlagen.

[Rezension zu:] Klaus Tenfelde: "Krupp bleibt doch Krupp". Ein Jahrhundertfest: Das Jubiläum der Firma Fried. Krupp AG in Essen 1912, Essen: Klartext 2005, 176 S., 178 Abb., ISBN 978-3-89861-364-4, EUR 29,95

2005

Im Sommer 1912 feierte die Essener Fried. Krupp AG das Doppeljubiläum des hundertsten Jahrestages der Firmengründung und des hundertsten Geburtstages von Alfred Krupp, der als Sohn des eigentlichen Firmengründers Friedrich Krupp das Unternehmen aus kleinsten Anfängen an die Weltspitze geführt hatte. Es war das in seiner Art erste und größte Industriejubiläum im Kaiserreich, das durch den zweitägigen Besuch Kaiser Wilhelms II. in Essen am 8. und 9. August 1912 zusätzlichen Glanz erhielt. Klaus Tenfelde beschreibt dieses Jubiläum zunächst als Ausdruck der herausgehobenen Stellung des größten deutschen Unternehmens, des "besonderen Großunternehmens" (9), das schon seit Jahrzehnten eine "gegenseitig machtstützende Verbindung" (7) mit dem preußischen Königshaus, seit der Reichsgründung dann mit dem deutschen Kaiserhaus verband. Tenfelde belässt es nicht beim Krupp-immanenten Blick, sondern erschließt das Ereignis über den unternehmensgeschichtlichen, über den wirtscha...