„Wir gehen hin und her“ Versuch einer Operationalisierung des Überlegungsgleichgewichts am Beispiel der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde in der Schweiz (original) (raw)

Die schweizerischen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden

2019

Ausgangspunkt unseres Beitrages ist die Revision des schweizerischen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts. Das 2013 in Kraft getretene Gesetz legte unter anderem die Neuschaffung von Kindes- und Erwachsenenschutzbehorden fest, in deren Entscheidungsgremien unterschiedliche disziplinare Expertise zur Anwendung kommen soll. Befunde einer eigenen empirischen Studie zu den Auswirkungen politischer Steuerung auf die Organisationen und das professionelle Handeln der Sozialen Arbeit deuten darauf hin, dass die geforderte Interdisziplinaritat der Behorde nicht zu einer interprofessionellen Praxis der Fallbearbeitung fuhrte. Anhand der exemplarischen Analyse ausgewahlter Interviewsequenzen wird aufzeigen, welche Herausforderungen in einem interdisziplinar zusammengesetzten Handlungsfeld zu bewaltigen sind und hierbei insbesondere auch auf die Vorstellungen, Selbstverstandnisse und Zuschreibungen der Beteiligten eingegangen.

Die schweizerischen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden - Herausforderungen und Hindernisse bei der Entstehung einer neuen interprofessionellen Praxis

2018

Beitrag zur Veranstaltung »Komplexe Dynamiken der Kooperation und Zusammenarbeit von Professionen in transprofessionellen Arbeitsfeldern« der Sektion Professionssoziologie Einleitung Ausgangspunkt unseres Beitrages ist die Revision des schweizerischen Kindes-und Erwachsenenschutzrechts. Das 2013 in Kraft getretene Gesetz legte unter anderem die Neuschaffung von Kindesund Erwachsenenschutzbehörden (KESB) fest, in deren Entscheidungsgremien unterschiedliche disziplinäre Expertise zur Anwendung kommen soll (Bundesrat 2006 S.7073). Die entstandene Praxis dieser Behörden war Gegenstand einer qualitativen empirischen Studie zu den Auswirkungen politischer Steuerung auf die Organisationen und das professionelle Handeln der Sozialen Arbeit (Becker-Lenz et al. 2018; dieselben 2017). Hierbei haben wir uns auf den Bereich des Erwachsenenschutzes fokussiert. In den untersuchten Fällen zeigte sich, dass die in der Botschaft des Bundesrates geforderte Interdisziplinarität der Behörde nicht zu einer interprofessionellen Praxis der Fallbearbeitung führte. Die Zusammenarbeit innerhalb der Behörden, die wir anhand von Fallakten und Interviews rekonstruiert haben, hatte vielmehr den Charakter einer auf eine möglichst einheitliche Handhabung zielenden Fallarbeit von Fachkräften aus unterschiedlichen Disziplinen bzw. Professionen. In den folgenden Ausführungen soll sowohl die Art und Weise, wie die sich stellenden Handlungsanforderungen erfüllt wurden, als auch die Sichtweisen, Selbstverständnisse, Zuschreibungen der Beteiligten in den Blick genommen werden. Dies in der Absicht, der Frage nachzugehen, welche Hindernisse einer vom Gesetzgeber intendierten Interdisziplinarität im Wege stehen könnten. Nach einer Darstellung zentraler Elemente der Gesetzesrevision, der aktuell gültigen Rechtslage und der darin zum Ausdruck kommenden Sichtweise des Gesetzgebers in Bezug auf die in den KESB verlangte Expertise, möchten wir anhand der exemplarischen Analyse ausgewählter Interviewsequenzen aufzeigen, welche Herausforderungen in einem interdisziplinär zusammengesetzten Handlungsfeld wie dem schweizerischen Erwachsenenschutz unserer Einschätzung nach zu bewältigen sind.

Hausbesuche im Kindes- und Erwachsenenschutz in der Schweiz – eine qualitative Studie

Soziale Passagen

ZusammenfassungIn dieser Forschungsnotiz wird ein laufendes Forschungsprojekt vorgestellt, das Hausbesuche im Kindes- und Erwachsenenschutz in verschiedenen Regionen der deutschsprachigen Schweiz untersucht. Für zwei Zeiträume (1960 bis 1980; 2000 bis 2020) wird rekonstruiert, aufgrund welcher fachlichen Überlegungen Hausbesuche bei Abklärungen von Gefährdungen im Kindes- und Erwachsenenschutz in Auftrag gegeben wurden/werden, wie sie abliefen/ablaufen, welches Wissen dabei produziert wurde/wird und wie dieses Wissen anschliessend prozessiert und entscheidungsrelevant gemacht wurde/wird. Die Untersuchung basiert auf einer qualitativen Analyse von Personenakten sowie auf einer Interviewstudie mit Fachkräften und von behördlichen Hausbesuchen betroffenen Menschen. Weiter werden teilnehmende Beobachtungen von Hausbesuchen durchgeführt.

Sachverhaltserforschung als Ermessensarbeit. Abklärungslogiken im Kontext von Hausbesuchen im Kindes- und Erwachsenenschutz

Schweizerische Zeitschrift für Soziale Arbeit / Revue suisse de travail social

Zusammenfassung: Der Artikel geht der Bedeutung von Hausbesuchen in kindes-und er wachsenenschutzrechtlichen Abklärungen nach. In der Studie wurden drei Regionen in der Deutschschweiz mit einem an der Grounded Theory orientierten Vorgehen un ter sucht. Die Analyse von Interviews mit Fachkräften, Falldossiers und teilnehmenden Beobachtungen zeigt, dass sich die Abklärungsarbeit mit Michael Lipskys Konzept der Street-Level Bureaucracy als eine Ermessensarbeit fassen lässt. Der rechtlich-organisationale Rahmen räumt den einzelnen Abklärenden hohes Er messen in Bezug auf ihr Vorgehen ein. Der Zeitpunkt und die Art der Durchführung von Hausbesuchen variieren, insbesondere weil Abklärende versuchen, einen ko operativen Zugang in die Privatheit zu finden. Der Hausbesuch fungiert dabei als ein Blick in eine private Hinterbühne, mit dem ein gewisses Objektivitätsversprechen verknüpft wird. Gleichzeitig zeigen sich Prozeduren, die der Kontrolle einer grund legenden Subjektivität in der Wahrnehmung der Privatheit von Bürger:innen dienen. Schlüsselwörter: Kindesschutz, Erwachsenenschutz, Hausbesuche, Ermessen, Abklärungen Fact-finding as Discretionary Work. Logics of Assessment in the Context of Home Visits in Child and Adult Protection Summary: The article examines the importance of home visits in the assessment of child and adult protection cases. In the study, three regions in German-speaking Switzerland were investigated using a grounded theory approach. The analysis of interviews with case workers, case files and participant observations uses Michael Lipksy's concept of street-level bureaucracy and shows that the assessment work can be seen as discretionary work. The legal-organisational framework gives the individual workers a high degree of discretion with regard to their procedures. The timing and manner of conducting home visits varies, especially because caseworkers try to find a cooperative access into the private sphere. The home visit functions as a glimpse into a private backstage, with which a certain promise of objectivity is linked. At the same time, we observed procedures that serve to control a fundamental subjectivity in the perception of citizens' privacy.

Wir sind ein Dienst, keine Behörde." Multiple institutionelle Logiken in einem Schweizer Jugendamt - ein ethnografisches Fallbeispiel aus der street-level bureaucracy

2019

Mit dem 2013 in Kraft getretenen Kindes- und Erwachsenenschutzgesetz erlebte das Schweizer System der Kinder- und Jugendhilfe neben rechtlichen auch strukturelle und organisationale Veranderungen. Denn dieses Gesetz fuhrte dazu, dass die Kantone und Gemeinden die Zustandigkeiten im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes neu regeln und sogenannte Kindes- und Erwachsenenschutzbehorden einrichten mussten. Im Zuge dieser Umgestaltungen wurden neue fachliche und organisationale Rollen und Selbstverstandnisse etabliert, die nicht selten Widerspruche und Ambivalenzen erzeugten, welche mitunter bis heute anhalten und zum Teil symptomatisch fur die sogenannte "street-level bureaucracy" (LIPSKY 2010 [1980]) sind. Anhand eines ethnografischen Fallbeispiels gehen wir in diesem Beitrag der Frage nach, wie das von uns untersuchte Jugendamt mit Anforderungen umgeht, die ihm aus unterschiedlichen institutionellen Logiken erwachsen. Mit dem Konzept der "institutional logics"...

Die UN-Kinderrechts- konvention umsetzen: Monitoring, Datenerhebung und -auswertung, regierungsinterne Koordination und Beschwerde- management

2014

Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention am 5. April 1992 ratifiziert. Inwieweit die deutsche Regierung ihren daraus folgenden, rechtlich bindenden Staatenpflichten nachkommt und die Konvention angemessen umsetzt, wird von einem Ausschuss der Vereinten Nationen in regelmäßigen Abständen überprüft – zuletzt geschah dies am 27. und 28. Januar 2014. Grundlage für den Dialog über die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention bilden die Staatenberichte sowie Informationen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, der nationalen Menschenrechtsinstitution und von internationalen Organisationen – manchmal auch Berichte von Kindern und Jugendlichen selbst.

Konzepte und Operationalisierung von reproduktiven Entscheidungen am Beispiel Österreichs, Deutschlands und der Schweiz

2011

Zusammenfassung: Die Diskrepanz zwischen tatsächlicher und hypothetischer Fertilität (im Englischen auch unter dem Begriff Fertility Gap gebräuchlich) wurde in jüngerer Zeit zum Anlass für familienpolitische Maßnahmen genommen, um eine höhere Geburtenhäufi gkeit zu erzielen. Dieser Beitrag untersucht die Relevanz einer anhand von Fertilitätsidealen und -absichten gemessenen hypothetischen Fertilität, mit der die Schätzung des Fertility Gap angestrebt wird. Ausgehend von einem Überblick der relevanten Literatur untersuchen wir die Bedeutung dieser Konzepte und deren Operationalisierung anhand empirischer Beobachtungen in drei Vergleichsländern: Österreich, Deutschland und der Schweiz. Wenngleich der Begriff des gesellschaftlichen Ideals der Fertilität mehrdeutig ist, kann er bei sorgfältiger Messung Aussagekraft in Bezug auf Reproduktionsentscheidungen bieten. Die Operationalisierung kurzfristiger und langfristiger Fertilitätsabsichten wird ebenso erörtert wie deren Realisierung. Ana...

Legitimierung behördlicher Praxis? Analyse einer stationären kinderpsychiatrischen Begutachtung in Zürich 1944

2020

From the 1920s, children in Switzerland were psychiatrically examined in observation wards. In many cases, these medical reports were linked to the placement of children in homes and foster families. Focusing on a specific case study of the observation institution Stephansburg in Zurich in 1944, this paper retraces the genesis of a child psychiatric report, identifying patterns by which the experts dealt with narratives of teachers, parents or school doctors. At a closer look, tests and medical examinations were not necessarily committed to a strictly scientific approach. The case study analysed in this paper indicates that experts in child psychiatry did not always apply expert knowledge when preparing their opinion. Rather, they resorted to a selection of aspects alien to psychiatry but suitable to satisfy the interests of the contracting authority.