Baales et al. 2010 - Von der Steinzeit bis zur Römischen Kaiserzeit. Eine Zeitreise durch die Besiedlungsgeschichte im Raum Hagen - Baales et al. (original) (raw)

Hagen blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück und ist der Mittelpunkt des vielleicht interessantesten stadtgeschichtlichen Raums in Westfalen. Im Stadtteil Vorhalle wurden 318 Millionen Jahre alte Großinsekten, frühe Amphibien, Haie und Quastenflosser, gut erhaltene Pflanzenreste und viele weitere Fossilien aus dem Erdzeitalter Karbon entdeckt. Diese Funde sind weltweit einzigartig. Schon vor über 40.000 Jahren durchstreiften die Neandertaler das heutige Stadtgebiet auf der Jagd. Die weitere Besiedlungsgeschichte des Hagener Raumes setzte sich über die Jungsteinzeit, die Bronze-und Eisenzeit und das Mittelalter bis in die Gegenwart fort. Vor 5.500 Jahren erreichten zahlreiche Werkzeuge und Waffen unsere Region. Es sind archäologische Botschafter eines das damalige Europa überspannenden Kommunikations-und Transportnetzes. Die im Raum Hagen während der Jungsteinzeit ansässigen Menschen standen mit vielen anderen Regionen Europas in Verbindung. Das Buch ist die erste zusammenfassende Darstellung zur Archäologie im Raum Hagen. Eiszeit Die ältesten Hinterlassenschaften des Menschen in Westfalen gehören in die Altsteinzeit (Paläolithikum) und Mittelsteinzeit (Mesolithikum). In Mitteleuropa datieren die ersten sicheren Fundplätze in eine Zeit vor etwa 600.000 Jahren und werden heute dem Homo heidelbergensis -benannt nach einem berühmten Menschenfund in einer Sandgrube in der Gemeinde Mauer bei Heidelberg -zugerechnet. In den jüngsten Abschnitt der letzten Eiszeit datieren die ältesten Hinweise auf eine Besiedlung der südwestfälischen Region durch Menschen. Zwar fehlen in Südwestfalen bisher Spuren von frühen Menschenformen, wie sie beispielsweise in Vulkankratern bei Bassenheim in der Osteifel (Kreis Mayen-Koblenz, Rheinland-Pfalz) in Form von Überresten des Neandertalers (Homo [sapiens] neanderthalensis) entdeckt wurden, doch mit derartigen, rund 200.000 Jahre alten Funden kann auch in unserer Region jederzeit gerechnet werden. Die aus Südwestfalen gegenwärtig bekannten Fundplätze aus der mittleren Altsteinzeit (Mittelpaläolithikum) entstanden, nach den vorhandenen Tierresten zu schließen, vor allem im Verlauf kaltzeitlicher Klimaabschnitte in der letzten, der Weichsel-Kaltzeit: Die Sommer waren von den Temperaturen her zwar durchaus angenehm, die Winter dagegen streng und bitter kalt. Doch zeigte sich das Klima während des vor 2,6 Millionen Jahren einsetzenden Eiszeitalters längst nicht gleichbleibend. Immer wieder wechselten sich längere kalte und trockene mit kürzeren warmen und feuchten Phasen ab; große und kleine klimatische Umschwünge waren sogar die Regel. Im Verlauf der Eiszeit erreichten zweimal mächtige Inlandgletscher auch die Ruhr, zuletzt während der Saale-Kaltzeit vor rund 160.000 Jahren. Sie machten vor dem Haarstrang halt, südliche Ausläufer überquerten dabei teilweise sogar die Ruhr und hinterließen bei ihrem Abschmelzen im Ruhrtal einen riesigen Stausee. Hiervon zeugen Geschiebe aus Feuerstein und skandinavischen Gesteinen, die die Gletscher aus den Kreidekalken des Baltikums und Südskandinaviens sowie aus nordeuropäischen Felsformationen mitbrachten -sie fanden sich vor allem auf den Ruhrterrassen bei Schwerte und Drüpplingsen -und Sandablagerungen, wie sie östlich von Schwerte (Kreis Unna) an der Ruhr aufgeschlossen wurden. Tierreste aus Flussablagerungen und Höhlen gehören meist in die kalten Abschnitte des Eiszeitalters. Hier sind die zahllosen, bereits im 17. und 18. Jahrhundert erwähnten Überreste von Höhlenbären besonders auffällig, die von Tieren stammen, welche während ihrer Winterruhe verendeten, so auch aus der Dechenhöhle in Iserlohn (Märkischer Kreis) und aus der Heinrichshöhle bei Hemer (Märkischer Kreis). Ungezählte Abwurfstangen weiblicher Rentiere, die sie im Frühjahr abwerfen, fanden sich -46 -Höhlen sind bedeutende Bodendenkmäler, die wegen ihrer leichten Zugänglichkeit einen hohen Gefährdungsgrad haben. Menschliche Eingriffe zerstören und verändern diese wichtigen ›Bodenarchive‹ und Tore in die Vergangenheit. Der Eingang zur Oeger Höhle in Hagen-Hohenlimburg wurde 1976 durch eine Betonwand verschlossen und ist als Höhle nicht mehr zu erkennen. Nur Archäologen und Höhlenforscher haben heute Zugang in die noch erhaltenen Bereiche der von prähistorischen Menschen genutzten Höhle, wie hier Studierende und Wissenschaftler der Universität zu Köln am 8.11.2005 (Foto: Ralf Blank). -47 -dagegen in der Oeger Höhle im Lennetal bei Hagen-Hohenlimburg; sie werden weiter unten näher vorgestellt. Besonderes Interesse verdienen die Tierfährten von Pferden, Rindern, Rentieren, Wölfen und Höhlenlöwen, die im Emschertal bei Bottrop-Welheim entdeckt wurden. Fundorte einer für Warmzeiten typischen Tierfauna des Eiszeitalters sind jedoch deutlich seltener. Aus der (vermutlich) letzten größeren Warmzeit vor etwa 125.000 Jahren, dem so genannte Eem-Interglazial, stammt der Schädel eines Waldnashorns, der in einer kleinen Abzweigung in der Dechenhöhle entdeckt wurde. 1876 fanden sich bei Bauarbeiten im Flusstal der Ennepe in Haspe in einer Torfschicht zwei große Stoßzähne eines Waldelefanten oder eines Mammuts, die leider nicht erhalten geblieben sind. Neandertaler In der mittleren Altsteinzeit (Mittelpaläolithikum) suchten mobile Jägergruppen das südwestfälische Bergland und die Flusstäler von Ruhr, Lenne und Hönne zumindest in den wärmeren und klimatisch gemäßigten Abschnitten der frühen Weichsel-Eiszeit auf, vor etwa 118.000 bis 40.000 Jahren. Diese frühen Menschen waren Neandertaler (Homo [sapiens] neanderthalensis), die ihren Namen von einem Fund haben, der 1856 in einer damals durch den Steinbruchbetrieb zerstörten Höhle im Neandertal bei Mettmann entdeckt wurde. Es sind vor allem die Höhlen des Sauerlandes und hier besonders die Balver Höhle im Hönnetal (Märkischer Kreis), in denen im 19. und 20. Jahrhundert zahlreiche Stein-Beidseitig flächig bearbeitetes Steingerät der mittleren Altsteinzeit (Keilmessergruppen), Balver Höhle, Fundhorizont III, Länge 12,5 cm (Foto: Heike Wippermann, Fundverbleib: Museum für Ur-und Frühgeschichte Wasserschloss Werdringen). Das Eingangsportal der Balver Höhle im Hönnetal (Foto: Archiv LWL-Archäologie für Westfalen). -48 -geräte -allerdings meist recht unsystematisch -ausgegraben wurden. 1939 und 1959 gelang es, in der Balver Höhle durch erneute Grabungen eine Abfolge jüngereiszeitlicher Ablagerungen mit archäologischen und paläontologischen Funden zu erschließen. Andere Höhlen mit steinernen Artefakten aus der Zeit des Neandertalers sind die Feldhofhöhle und die Volkringhauser Höhle, beide im Hönnetal gelegen, sowie die zum größten Teil zerstörte Martinshöhle am Burgberg bei Letmathe-Oestrich in Iserlohn (Märkischer Kreis). Alle diese von Jägergruppen über einen längeren Zeitraum immer wieder aufgesuchten Plätze datieren in einen späten Abschnitt der mittleren Altsteinzeit (Mittelpaläolithikum) vor etwa 80.000 bis 40.000 Jahren. Mit den zahlreichen überliefert gebliebenen Artefakten aus Stein (und einigen aus Knochen aus der Balver Höhle) war eine eiszeitliche Fauna mit Mammut, Wollnashorn, Höhlenbär, Höhlenlöwe, Höhlenhyäne, Wildpferd und Rentier vergesellschaftet. Die Neandertaler, und das gilt auch für alle anderen Menschen der Altsteinzeit, waren keine »Höhlenmenschen«: Höhlen, ihre Vorplätze und das Umfeld wurden genauso genutzt wie geeignete Stellen im Freiland. Auf den Flussterrassen der unteren Lenne, beispielsweise am Barmer Baum bei Hagen-Herbeck und auf dem Kahlenberg bei Hagen-Garenfeld sowie bei Wennemen (Hochsauerlandkreis) am Oberlauf der Ruhr, kamen aus Kieselschiefer, Quarzit und Feuerstein gefertigte Steingeräte zutage, die zweifellos nur einen kleinen Ausschnitt der damaligen Besiedlung in der Region darstellen. Die dort aufgesammelten Artefakte wurden in typischen Schlagtechniken der mittleren Altsteinzeit hergestellt. Sie waren -folgt man den Befunden in der Balver Höhle -vor dem ersten Kältemaximum der letzten Eiszeit im so genannten Micoquien (Keilmessergruppen) vor über 65.000 Jahren, aber auch gegen Ende des Mittelpaläolithikums, im Moustérien vor rund 40.000 Jahren gebräuchlich. Doch nur wenige Artefakte können eindeutig bestimmbaren Werkzeugformen (und Bruchstücken von ihnen) zugeordnet werden, wie etwa zweiseitig bearbeiteten Geräten, Spitzen, blattförmigen Geräten und Keilmessern, darunter auch ein kleiner, aber typischer Faustkeil vom Barmer Baum bei Hagen-Herbeck. In ihrer Gesamtheit belegen diese Oberflächenfundplätze, dass die Neandertaler in Südwestfalen nicht nur Höhlen, hier vor allem ihre Vorplätze, sondern auch das Freiland aufgesucht haben, um an günstigen Stellen zu lagern und zu jagen. Freilandfundplätze aus der mittleren Altsteinzeit sind keineswegs ungewöhnlich, sondern im Rheinland und in Westfalen, beispielsweise im Emschertal und Kleiner Faustkeil aus Feuerstein, beidseitig bearbeitet. Mittlere Altsteinzeit, ca. 60.000 Jahre vor heute. Barmer Baum bei Hagen-Herbeck (Foto: Jörg Orschiedt, Fundverbleib: Museum für Ur-und Frühgeschichte Wasserschloss Werdringen). -49 -Im Museum für Ur-und Frühgeschichte Wasserschloss Werdringen zeigt ein lebensgroßes Modell eines Mammuts die Ausmaße dieser eiszeitlichen Verwandten der heutigen Elefanten (Foto: Heike Wippermann). Rekonstruktion eines Neandertalers im Neander thal Museum in Mettmann (Neanderthal Museum).