Die fremde Kategorie "Psalm" (original) (raw)

Im Sefer Tehilim/Buch der Psalmen liegt uns eine sehr heterogene Sammlung an althebräischen Texten vor, die sich in ihrer Sprache und ihren Inhalten deutlich von den Erzähltexten und den prophetischen Texten/Reden der hebräischen Bibel unterscheiden. Es handelt sich um »Lobpreisun-gen« ‫,)תהילים(‬ um »Gesänge« ‫.)מזמור(‬ Schon alleine in ihren Bezeichnungen zeigen diese Texte ihre Heterogenität-und doch verbindet diese 150 so unterschiedlichen Texte etwas miteinander: Es handelt sich um Texte, die mit Lyrik in Verbindung gebracht werden. Sie werden mit Musikalität verbunden, jedoch auch ihre Struktur und ihre sprachlichen Eigenheiten sprechen dafür, dass es sich hier nicht um Erzähl-, Gesetzestexte oder Sprüche von Propheten handelt. Sowohl die christliche historisch-kritische als auch die jüdische-rabbinische Bibelwissenschaft haben sich intensiv mit dem Sefer Tehilim auseinandergesetzt und unterschiedliche Zugänge zu diesen Texten freigelegt und erarbeitet. Jedoch können nicht nur Ansätze aus der Bibelwissenschaft, sondern auch solche aus der Literaturwissenschaft einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Aus-einandersetzung mit den hebräischen Texten liefern. Nicht nur das hebräische Denken, sondern auch die hebräische Sprache bringen eine eigene Dynamik mit, die in der Arbeit mit den Texten der hebräischen Bibel ihre Berücksichtigung finden müssen. So ist es nötig, die Eigenheiten (alt)hebräischer Lyrik ernst zu nehmen, diese nicht nicht nur wahrzunehmen, sondern zu beschreiben und für die Arbeit mit dem Sefer Tehilim nutzbar zu machen. Innerhalb der Literaturwissenschaft hat sich im 20. und 21. Jahrhundert ein gattungs-und lyriktheo-retischer Ansatz entwickelt, der großes Potential auch für hebräischsprachige Texte und gerade die heterogene Sammlung im Sefer Tehilim birgt. Klaus W. Hempfer 1 entwickelt einen transhis-torischen und sprachenunabhängigen gattungstheoretischen Ansatz der »Prototypischen Kerne«, der davon ausgeht, dass es für jede Gattung einen (abstrakten) Kern gibt, um den sich Einzeltexte in unterschiedlicher Nähe und Ferne gruppieren. Dabei verbindet er das Konzepte der Wittgen-steinschen Familienähnlichkeit mit kognitionspsychologischen Ansätzen. Gerade für die Lyrik als »spezielle« Großgattung bietet dieses Konzept weitreichende Möglichkeiten. So entwirft Hempfer einen solchen »Lyriktypischen Kern« gibt, der sich u.A. vor allem aus einer lyrikspezifischen Kommunikationssituation ergibt. So sieht er Lyrik als »inszenierte Performativität« 2 : »Das spezifisch Lyrische scheint im Unterschied zum Erzählen gerade darin zu liegen, dass nicht eine Instanz-sei sie nun hetero-oder homodiegetisch-eine Geschichte vermittelt, sondern, dass ein Sprecher im Akt des Sprechens das tut bzw. erfährt, worüber er zeitgleich spricht. Ein lyrisches Sprechen erzählt also nicht, was geschehen ist, sondern konstituiert im Sprechen, worüber gerade gesprochen wird, oder anders formuliert: Lyrisches Sprechen basiert auf der Simultanität bzw. Koinzidenz von Sprechsituation und besprochener Situation. Diese Simultanität ist nun freilich eine fiktionale, insofern der schriftlich fixierte Text diese nicht de facto realisieren, sondern immer nur ›inszenieren‹ kann […]…«. 3 Dieses theoretische Fundament hat den entscheidenen Vorteil, dass ein solcher Prototyp »[…], der die historisch unterschiedlichen kommunikativen Kompetenzen beschreibbar macht, als theoretis-ches Konstrukt nicht einfach unser heutiges Lyrikverständnis nachkonstruiert, […].« 4 Es ist also möglich über die 150 Psalmen (und in weiterem Blick sogar unter Hinzunahme lyrischer Texte