Sammelrezension zu: Martin Sabrow (Hrsg.), 1989 und die Rolle der Gewalt. Göttingen 2012 UND Clemens Vollnhals (Hrsg.), Jahre des Umbruchs. Friedliche Revolution in der DDR und Transition in Ostmitteleuropa. Göttingen 2011, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 62/4 (2013), S. 701 - 704 (original) (raw)
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Günter Grass’ Novelle Im Krebsgang (2002), die von der Versenkung eines ostpreußischen Flüchtlingsschiffs am Ende des Zweiten Weltkrieges handelt, und Heinrich von Kleists Drama Penthesilea (1808), in dem die Gründung des Amazonenstaates der vorausgegangenen Vernichtung durch die Äthiopier zugeschrieben wird, haben ein Thema gemeinsam: wie das Gedächtnis an massenhaften Tod von den nachkommenden Generationen getragen wird. In dem vorliegenden Aufsatz zeige ich an den beiden bisher kaum zusammen diskutierten Texten eine gemeinsame Vergegenwärtigungsform katastrophaler Vergangenheit.
Als Edward Palmer Thompson 1971 das in der Forschung zu Hungemnruhen auch heute noch dominante Konzept der "moral economy" entwickelte, betrachtete er Preisfestsetzungsaktionen als charakteristische Form der Subsistenzunrnhe. 1 Bei solchen Aktionen beschlagnahmte die protestierende Menge im Ort vorhandenes Getreide und verkaufte es anschließend in Eigenregie zu einem als gerecht empfundenen Preis, wobei der Erlös des Verkaufs dem Eigentümer des Getreides übergeben wurde. Die "taxation populaire" zeichnete sich damit zum einen durch ein hohes Maß an Disziplin aus, zum anderen verwies sie auf althergebrachte Vorstellungen vom gerechten Preis. Solche vergleichsweise gewaltarmen Formen des Hungerprotestes waren im Frühjahr 1847 in Deutschland und Frankreich jedoch die Ausnahme. 2 Manfred Gailus kontrastiert in seiner wegweisenden Arbeit zu Hungerumuhen in Deutschland 1847 die dem Idealtypus des gewaltmmen Protestes am ehesten entsprechende Umuhe im brandenburgischen Schwiebus mit Vorgängen in Landsberg an der Warthe. Während bei den Ereignissen in Schwiebus Tuchmacher die in einer Gastwirtschaft lagernden Getreidev01Täte beschlagnahmten und zu einem ermäßigten Preis verkauften, kam es bei dem Tumult in Landsberg zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen einen jüdischen Getreidehändler, dessen enorm große Getreidevorräte zum guten Teil geplündert wurden. Während Gailus in den Protestierenden von Schwiebus "Rebellen wider Willen" sieht, ,,deren Handeln weitgehend von den gewohnheitsrechtlichen Normen einer 'moralischen Ökonomie' bestimmt wurde", gelten ihm die "Tumultuanten" von Landsberg als "freche Männer und freche Weiber", denen gesetzwidriges Verhalten bereits zur Gewohnheit geworden war.3 Schließlich hatte fast die Hälfte der Verurteilten Vorstrafen wegen kleinerer Eigentumsdelikte. Eine Motivation im Sinne des Konzepts der "moral economy" sieht Gailus bei diesem zweiten Fallbeispiel nicht als wahrscheinlich an. Doch lassen sich Motive und Intentionen einerseits, Protestfmmen und Gewaltbereitschaft andererseits tatsächlich in dieser Form aufeinander beziehen? Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welchen Ort gewalttätiges Handeln in den Hungerunruhen hatte, die im Frühjahr 1847 in den Regiemngsbezirken Magdeburg und Merseburg der preußischen Provinz Sachsen und in den drei anhaltischen Herzogtümern stattfanden. Im Anschluß an einen kurzen Überblick zu Ereignissen und Hintergründen der Subsistenzunruhen im Untersuchungsgebiet wird anhand des Beispiels Merseburg gezeigt, daß gewalttätige und gewaltmme Edward P. Thompson, The Moral Economy of the English Crowd in the Eighteenth Century, in: Past and Present 50 (1971), S. 76-136. Deutsche Übersetzung unter dem Titel: Die "sittliche Ökonomie" der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert, in: Detlef Puls (Hg.), Wahrnehmungsformen und Protestverhalten.
Evakuationskrieg. Praktiken der Deportation, Räumung und Zerstörung im Rückzug. Themenheft der Militärgeschichtlichen Zeitschrift, 1 (81) 2022, S. 28–61., 2022
Anhand der Polnischen Republik nach dem deutschen Überfall am 1. September 1939 zeigt der Text, dass die Evakuierungsplanungen zum Transport der wichtigsten Gefangenen noch auf die Erfahrungen des Zusammenbruchs staatlicher Herrschaft des Russischen Reichs am Beginn und Ende des Ersten Weltkriegs zurückgingen. Ein Teil der Aufseher der im Süden Polens unweit der deutsch-polnischen Grenze gelegenen Strafvollzugsanstalt Święty Krzyż eskortierte die ihnen unterstellten Gefangenen in Fußmärschen nach Osten. Währendessen ließ der Direktor der Anstalt mehrere Dutzend wegen Hochverrats zu lebenslänglichen Strafen verurteilter polnischer Staatsbürger noch auf dem Gelände des Gefängnisses hinrichten. Die meisten Opfer waren wahrscheinlich Teil eines von der Gestapo bereits vor dem September 1939 aufgebauten Spitzelnetzes in Polen. Das erklärt, warum dieser Gefangenenmordanders als die als Todesmärsche beschriebene Evakuierung polnischer Staatsbürger deutscher Herkunft sowie die Gefangenenmorde des NKVD im Osten Polensnicht von der deutschen Propaganda aufgegriffen wurde und damit bis heute weitgehend unbekannt ist.
in: Das Mittelalter 23/2, 2019, pp. 463-465
sind sie später als Konsuln dokumentiert, waren also in einem Amt tätig, in dem sieähnlich wie die späteren Podestàmit Verwaltungs-und Rechtsfragen betraut waren, ohne doch universitätsausgebildete Juristen gewesen zu sein, weshalb man sie zeitgenössisch als "laici" bezeichnete.
Zerfall und Neuordnung: Die »Wende« in Osteuropa von 1989/91 (Köln: Böhlau, 2019)
2019
Im Zentrum des Bandes steht das Phänomen der «Wende» in Osteuropa von 1989/91. Der Zerfall der sozialistischen Ordnung und die Transformationsprozesse hin zur Neuordnung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systeme verliefen in den Staaten Osteuropas unterschiedlich. Nach der anfänglichen Euphorie des demokratischen Umbruchs trat schnell Ernüchterung ein. Die Einführung von Demokratie und liberaler Marktwirtschaft gestaltete sich in der Praxis oft schwieriger als erwartet. Sie war in einzelnen Staaten von grossen wirtschaftlichen Problemen, gesellschaftlichen Spannungen, tiefgreifenden Identitäts- und Sinnkrisen und in Einzelfällen gar von gewaltsamen Auseinandersetzungen begleitet. Entsprechend unterschiedlich wurde und wird das Phänomen der «Wende» bewertet.