Vom Sichtbarmachen des Unsichtbarwerdens –– vom Unsichtbarmachen des Sichtbarwerdens (original) (raw)

Dass Geschichten, in denen von den Erscheinungen des Auferstandenen erzählt wird, mit visuellen Aspekten arbeiten, mag auf der Hand liegen. Überraschendes Sichtbar-und Unsichtbarwerden gehört wohl wesenhaft dazu. Trotzdem fällt in dieser Hinsicht eine Erscheinungsgeschichte ganz besonders auf, nämlich die Erzählung von der Erscheinung des auferstandenen Christus auf dem Weg nach Emmaus in Lukas 24. Die visuelle Spannung von Sichtbar-und Unsichtbarwerden in Lukas 24 Jesus gesellt sich zu zwei Jüngern, die auf dem Weg von Jerusalem zu einem Dorf namens Emmaus sind. Kaum hat die Begegnung stattgefunden, fällt auch der erste visuelle Kommentar des Erzählers: «Doch ihre Augen waren gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten.» (V. 16) 1 Die gehaltenen Augen sehen ihn also, aber erkennen ihn nicht, oder anders gesagt: Er erscheint den Jüngern sichtbar, aber seine eigentliche Identität bleibt ihnen verborgen, unsichtbar. Im Markusevangelium hatte Jesus diese Spannung auch bereits thematisiert, in Anlehnung an Jesaja 6, 9-10: Denen, die draussen sind, hiess es dort, werde alles in Gleichnissen erzählt, «damit sie sehend sehen und nicht erkennen». Aufgrund dieses Nichterkennens nimmt nun die Geschichte für den Leser, der ja weiss, wer sich da zu den zwei Jüngern gesellte, eine ironische Wendung. Auf die Frage, was sie denn für Worte miteinander wechselten, antwortet der eine der Jünger dem Auferstandenen: «Du bist wohl der Einzige, der sich in Jerusalem aufhält und nicht erfahren hat, was sich in diesen Tagen dort zugetragen hat.» (V. 18) Der Nichtsahnende vermutet, der Unbekannte habe von all dem, was sich zugetragen hat, nichts erahnt, und dabei war ja gerade dieser Unbekannte im Zentrum dieses Geschehens! Das Missverständnis 1 Ich zitiere die Geschichte nach der in diesem Jahr erschienenen revidierten Fassung der Zürcher Bibel, Zürich, Genossenschaft Verlag der Zürcher Bibel beim TVZ, 2007.